Zum zweiten Mal fand am Vortag der Frankfurter Buchmesse die TOC-Verlegerkonferenz statt. Erneut brachte der O’Reilly-Verlag in Zusammenarbeit mit der Buchmesse den europäischen Ableger der New Yorker Veranstaltung in die Mainmetropole. Was hat sich seitdem an den »Werkzeugen des Wandels« (Tools Of Change) in den Verlagen geändert? Wie sieht die Zukunft der Buchproduktion aus?
Ist die einschneidenste Veränderung nur der Wechsel des Veranstaltungsortes? Statt im Radisson-Blue-Hotel wurde in diesem Jahr im Marriott-Hotel direkt gegenüber der Messe getagt.
Architektonisch-räumlicher Gegensatz
Der Veranstaltungsort stellte den architektonisch-räumlichen Gegensatz zu den Inhalten der Konferenz dar: Plüschteppiche mit Siebzigerjahremuster symbolisierten Werte-Erhalt statt Wandel. Dicke Türen schirmten die Konferenzräume ab, ein rascher Wechsel, ein Blick von Vortragssaal zu Vortragssaal, ein leibhaftiges Verlinken und Reinklicken war erschwert.
Referierte Google, war der Saal voll, bei unbekannten Rednern waren die Stuhlreihen oft peinlich leer. Dabei stand der Innovationsfaktor oft im Gegensatz zum Füllstand des Raumes.
Google beispielsweise hielt genau den gleichen Vortrag wie im Vorjahr und präsentierte seine Google Edition. Selbst die Fragen aus dem Publikum glichen denen des Vorjahres, und auch die Frage an den Google-Referenten, wann denn der Dienst verfügbar sei, brachte die Antwort wie im letzten Jahr: »Later this year.« Nachtrag: »… in the US«.
Apfel am Horizont
Ebenfalls wie im Vorjahr waren Apple und Amazon unter den Referenten nicht zu finden – dafür jedoch indirekt im Publikum. Enorm hoch die iPad-Dichte bei den Konferenzteilnehmern. Kein Wunder, dass die Verlage die Zukunft im iPad sehen, wenn Sie selbst in einer Apple-Welt leben. Denn wo die Keynote- und Powerpoint-Folien im letzten Jahr noch iPhone-Anwendungen zeigten, waren es in diesem Jahr Ansichten der iPad-Oberfläche. Immer noch scheint sich am Horizont der Verleger ein angebissener Apfel statt einer strahlenden Sonne zu befinden.
Die Referenten waren wie im Vorjahr überwiegend aus den USA und England angereist. Verleger aus Deutschland und anderen Staaten haben offenbar zur Zukunft nicht allzu viel beizutragen.
Im Publikum konnte man zumindest einige bekannte Vertreter deutscher Online-Medien entdecken, die im letzten Jahr noch nicht anwesend waren. Ein Zeichen des Wandels?
Und während die Referenten von der Überall-Verfügbarkeit des eBooks sprachen, kämpfte man im Publikum mit dem WLAN.
Vielleicht sollte man den anderen Blick aufs Lesen eher im Foyer als in den Veranstaltungssälen erhalten. Man konnte von einem Mitarbeiter der Hilfsorganisation Oxfam erfahren, welche logistischen Herausforderungen es beim Verteilen kostenloser eBooks gibt. Oder Dr. Jürgen Neffe, der mit seiner Libroid-App fürs iPad in den letzten Tagen ein enormes Medienecho erhielt, präsentierte seine Anwendung allen Interessierten an den Stehtischen im Foyer.
Die Veränderung war im kleinen spürbar, vielleicht auch aufgrund der Abwesenheit deutscher Verleger auf der Bühne. Niemand sprach von bösen Raubkopierern. DRM wird klar als Fußfessel gesehen, die den Verkauf digitaler Werke verhindert. Und selbst, dass eine Preispolitik im unteren Dollarbereich und darunter interessant sein könnte, war zu hören.
Auch wenn Vortragsthemen wie »Connecting Bookshelves« interessante Ansätze versprachen und sich doch wie das Referat eines Oberstufenschülers entpuppten, ist gerade der begrifflich überstrapazierte Community-Gedanke ein Aspekt, der von den Verlagen noch zu wenig beachtet wird.
Was macht ein Buch zum Buch?
Hier war der Vortrag von James Bridle ein wertvoller Impuls – auch wenn kaum mehr als 20 Leute im Saal waren. Bridle ging der Frage nach, was ein Buch zum Buch macht, begann beim immer wieder gern zitierten »haptischen Erlebnis« eines Papierbuches, um festzustellen, dass nach der Lektüre nur noch eine Erinnerung, ein Souvenir zurückbleibt. Hier spielt das Format – gedruckt oder digital – keine Rolle. Bridle plädierte dafür, dass auch eBooks die Anker der Erinnerung wie Lesezeichen, Anmerkungen und Unterstreichungen bieten müssen; nicht nur für den Eigengebrauch, sondern auch für interessierte andere Leser – und das formatunabhängig. Was derzeit z. B. das Kindle bietet, indem es anzeigt, welche Textstellen von anderen wie oft markiert wurden, ist nur ein rudimentärer Ansatz in dieser Richtung.
Blick auf den »Enduser«
Und so wurde einer der größten Veränderung eher nebenbei offenbar: Es ging in diesem Jahr erstaunlich oft um den Kunden, den Leser. Was will er (oder sie)? Welchen Nutzen hat er? Wie lernen wir ihn besser kennen? Was müssen wir ihm statt Multimedia-Schnickschnack wirklich bieten? Lieferten Verlage bislang an den »Kunde Buchhandel«, der schon wusste, was »der Leser« will, ist der Verlegerblick eindeutig auf den »Enduser«, den Leser gerichtet. Er wird endlich als Kunde ernst genommen und nicht nur als potenzieller Raubkopierer und digitaler Rechteschänder angesehen.
Vielleicht bietet der Sprung über diese Hürde tatsächlich neue Perspektiven – hoffentlich sehen wir sie im nächsten Jahr und hoffentlich enden sie nicht wieder beim angebissenen Fallobst.
Wolfgang Tischer