Plötzlich wehte auf der Frankfurter Buchmesse der Atem der Stasi durch die Messehalle 3: Eine kleine Verlagsauslieferung aus dem Stuttgarter Raum hatte am Messefreitag um 17 Uhr 30 zur Happy-Hour eingeladen. Im Vorfeld war bekannt geworden, dass es auch so etwas wie ein inoffizielles Treffen der Parkschützer und S21-Gegner werden würde. Denn warum sollten Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter zur Messe ihr politisches Gewissen abgeben? Immerhin ist freitags Demo-Tag in Stuttgart.
Schon im Laufe des Freitags hatten die Organisatoren Besuch von einigen Herren bekommen, die darauf hinwiesen, dass politische Kundgebungen auf der Messe verboten seien und es ernsthafte Probleme geben könnte, falls die Feier ausarten würde.
Was hat man befürchtet? Ein vielstimmiges »Oben bleiben!« das plötzlich durch die Messehallen schallt? Gewaltbereite Buchhändlerinnen, die mit Papierfliegern auf Polizisten zielen?
Ungefähr 20 bis 30 Menschen fanden sich am Stand zur Happy-Hour ein. Es wurde »RESIST S21«-Bier ausgeschenkt (»21 Cent pro Flasche gehen an den Widerstand«), gegen eine Spende konnte man sich mit »Oben bleiben«-Buttons und Aufklebern für die nächste Demo eindecken, und jemand brachte die grüne K21-Flagge mit, die den Stand schmückte.
Etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch großer und bekannter Verlage aus Stuttgart und der Stuttgarter Gegend und andere Sympathisanten waren anwesend. Die meisten in Anzug oder Kostüm, einige trugen weiterhin ihre Namensschilder mit Verlagslogo, andere waren als Privatperson gekommen. Man stand gemütlich beisammen und machte der Happy-Hour alle Ehre.
Groteske Bespitzelung wie im schlechten Krimi
Doch wer aus Baden-Württemberg stammt, scheint derzeit terrorverdächtig und Staatsfeind zu sein. An einem blauen Stehtisch am Stand schräg gegenüber stand zunächst ein Mann, der ab und zu zur gut gelaunten Versammlung hinüberblickte. Beschleicht einen da schon Paranoia oder wird man tatsächlich oberserviert? Einige Minuten später war die Sache klar, als sich zwei weitere Männer hinzugesellten, deutlich mit Knopf im Ohr. Schwenkte man eine Kamera in ihre Richtung, drehten sie sich sofort weg oder gaben vor, die Prospekte eines Verlagsstandes durchzusehen. Es war eine absurd groteske Szene wie in einem billigen Krimi. Am Ende standen insgesamt vier Männer um den Tisch und observierten die Menschen am Verlagsstand. Ähnlich muss es in der DDR gewesen sein, als Stasi-Spitzel mehr oder weniger auffällig Bürger beobachtet haben, die nicht alles so toll fanden, was »der Staat« da so treibt. Was die Herren später wohl für die Akten notierten?
Die Botschaft war klar: Wir sehen euch, macht bloß keinen Fehler! Bleibt ruhig und muckt nicht auf. Politische Einschüchterung im Jahre 2010 in der Bundesrepublik Deutschland. »Demokratisch legitimiert«, würde man es wahrscheinlich im Baden-Württembergischen Staatsministerium nennen.
Später dann löste sich am Stand die kleine Runde netter Verlagsmenschen auf. Man wünschte sich noch erfolgreiche Messetage, man sehe sich ja vielleicht wieder auf der Demo am kommenden Montag in Stuttgart, und die letzten Worte waren selbstverständlich:
»Oben bleiben!«
und warum habt Ihr sie nicht angesprochen, wer sie waren?
Von der Geschichte glaub ich ihnen kein Wort!
Wenn die wollten, würden Sie die gar nicht sehen. Schon gar nicht mit Knopf im Ohr. Zumal es keinerlei Notwendigkeit dazu gibt.
Der Einzige, dem das nützte, wären Sie, um Stimmung zu machen und sich als Rebell gegen eine feindliche Macht darzustellen.
Sie lassen die müdesten Agit.Prop-Methoden aus den 70er-80ern ablaufen.
Das einzige was an “stuttgart-21” undemokratisch ist, das sind Ihre “Oben bleiben” Methoden.
Denn d wollen Sie hin:
Nach Oben in die Landesregierung.
Finde ich, als ehemalige DDR-Bürgerin und “Besitzerin” einer Stasi-Akte wirklich unglaublich! Bizarr und fast lächerlich auf der einen, beunruhigend auf der anderen Seite. Für so was haben die Herren genug Steuergelder!
Kopfschüttelnden Dank an den Berichterstatter für so ganz ungewöhnliche Streiflichter von der Buchmesse.
C. Lotter
Bitte das nächste mal einfach noch jemanden im Trenchcoat neben die netten Herren stellen, der eine Zeitung “liest”, in die zwei Löcher gebohrt sind.
“der beste platz um etwas zu verstecken ist in voller sicht” (@wallo)
Dasnenntman offene Observation. Es geht hierbei nicht um Informationsbeschahfung, sondern allein um Einschüchterung. Linke kennen diese Praxis seit Jahren. Teilweise sind die Kameras nicht mal eingeschaltet.Allerdings ist so eine Aktion u.U. auch als Zeichen der Schwäche zu werten…
Ich finde das ein bißchen dünn, von vieri Männern mit Freisprecheinrichtung auf geheimdienstliche Observation zu schließen. Gibt’s denn in Stuttgart keine Security? Oder gab’s noch andere Anzeichen?
Fakt ist: ich weiß von einigen Verlagskollegen, die Besuch von der Kripo bekamen und befragt wurden, was denn das sei. Die Kripo selbst hat auf 3 Kripobeamte in Zivil hingewiesen, die vor Ort wären.
Meine persönliche Meinung: ich bin seit 25 Jahren mehr oder weniger regelmäßig auf der Buchmesse, die dort Anwesenden werden höchsten bei Themen der Literaturkritik gewalttätig, bei politischen Themen, die in der Vergangenheit international präsenter waren (siehe “China”) neigt das Verlagsvölkchen eher zu ghandischen Maßnahmen…
Welcher Schmierfink hat diesen Beitrag verfasst? Ich werde Meldung machen!
Jawoll, Herr Stein, machen Sie “Meldung”. Bei Ihrem Führungsoffizier, Sie “Schmierfink”?
Meines Erachtens sind die Stuttgart21-Proteste durch die Politik und Polizei längst durch deren “psychologische Kriegsführung” mit bestimmt.
Ich finde es bewunderswert, wie aufrichtig die Protest-Bewegung bei ihrer Einzigartigkeit bleibt – und sich nicht beeinflussen lässt, von solcher Art “Beeindruckungsmaßnahmen”.
Andererseits ist natürlich auch die meines Erachtens beobachtbare “Dummheit des Systems” beachtlich. Und ie reflexhaften Kommentare derjenigen, die aufgrund (!!!) der Proteste um ‘unsere’ Demokratie fürchten: hach, wie besorgniserregend.
Danke für diesen Bericht.
Ich war selbst in Stuttgart am Bahnhof und habe mich mit Leuten dort unterhalten,vorwiegend Gegner des Projektes S21.
Dann kam plötzlich ein älterer Mann vorbei und mischte sich pro S21-mäßig ein und versuchte unser Gespräch zu unterbrechen.Nur ein kleines Beispiel und eher harmlos.
Ich denke,daß hier so Einiges von Seiten des “Staatschutzes” organisiert und kontrolliert wird,zumindest wird es versucht.Die Mittel und Wege sind vielfältig.
Mit welchen Methoden auch immer,es wird im Großen nicht gelingen,Meinungen zu ändern.
Der Zug ist abgefahren…sozusagen.Mit den Ängsten der Menschen zu spielen war schon immer ein probates Mittel,um eine Sache zu kontrollieren.
In diesem Falle haben die Menschen keine Ängste,es ist Ärger und Wut über eine Sache,die über ihre Köpfe hinweg durchgeboxt werden soll.
Die Versuche, durch Einschüchterung die Dinge unter Kontrolle zu bringen,werden die Wut und den Zusammenhalt derer,die etwas gegen dieses Projekt unternehmen und ihre Meinung nach außen zeigen,nur noch verstärken.
Der Bewusstseinswandel in der gesamtdeutschen Bevölkerung ist zu spüren,es verbünden sich viele Menschen anderer deutscher Städte mit den Stuttgartern.
Es geht um viel mehr als S21.
Ich denke der Protest gegen Stuttgart 21 ist shclicht und ergreifend zu hoch gestapelt. Das Projekt wird den öffentlichen Verkehr in Stuttgart stark verbessern, was allen Pendlern zu Gute kommt. Außerdem werden auch mehr Bäume angepflanzt, als jene die gefällt werden müssen.
Nur Security? Wo war der Wasserwerfer und das Pfefferspray?
Interessant wie die Landesregierung von Baden-Würtemberg mit der im Grundgesetz verankerten freien Meinungsäußerung umgeht. Spontan fallen mir hierzu folgende Paralelen ein: DDR Diktatur, Pinochets Chilenenische Diktatur, China der Gegenwart, Strauß Attacken gegen Studenten, Spiegel etc. und nicht zuletzt das dritte Reich. Haben wir den Weg von den Stazi-Spitzeln zu den Nazi Blockwarten eingeschlagen? Achja, der Staat hat sich ja schon immer demokratisch legitimiert gegen die betroffene Bevölkerung durchgesetzt, siehe Gorleben und Brockdorf. Die Leukämie Kinder Rund um Brokdorf, Stade und Krümmel grüßen auch zu diesem Thema. Übrigens, Nina, die abschaffung der Straßenbahn sollte in vielen deutschen Städtenin den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts den öffentlichen und den allgemeinen Verkehr stark verbessern. Von unfehlbaren Planungen war die Rede. Das Gegenteil war der Fall. Solange die deutsche Wirtschaft florierte und das mit deutschen Arbeitsplätzen (da schließe ich alle mit ein, die zu uns gekommen sind, um für sich und ihre Familien zu arbeiten)
hatten wir in den großen Industriestandorten Regelmäßig morgens, mittags, abends das gewohnte ja noch größere Verkehrschaos. Dies nahm erst mit dem Export der Industrie in Billigländer wie China und Thailand ab.
@Nina: toll, da haben wenigstens unsere Enkel in 100 Jahren was davon, von den neuen Bäumen, gelle?
Was mir immer und immer wieder an Berichten um die Staatsmacht auffällt, ist die unendliche Naivität. Aber die Schuld daran tragen gewissermaßen die staatsnahen Medien, die die alte Mär von der Schuldlosigkeit und Gutartigkeit des Staates ständig herunterleiern.
Wenn die Regierung respektive Staat, in irgendeinem Bereich seine Pfründe gefährdet sieht, geht es auch hier zu wie bei den Chinesen und jeder der das nicht glaubt, ist, herzlichen Glückwunsch, den Medien komplett auf dem Leim gegangen, die ein ach so demokratisches Deutschland vorgaukeln, aber auf die Elemente der direkten Demokratie einen riesigen Haufen machen.
Ich glaube den Messestandbetreibern alles, denn es ist genau so!