Bis zum 4. Dezember noch lädt die 11. Erfurter Herbstlese 2008 zu literarischen Veranstaltungen. Die Reihe wird getragen von Schriftstellern, sprechenden Künstlern und mehr oder weniger schreibenden mehr oder weniger Prominenten. Nicht neu ist, dass vor allem letztere die Ticketreserven schnell erschöpfen, wobei erstere mitunter Mühe haben, die Säle zu füllen. Maximilian Dorner ist in seiner Gruppe dennoch in wahrlich guter Gesellschaft, denn während Ingo Appelt und Sarah Wiener schon vor Wochen an Tickets verarmten, ist selbst Donna Leon noch nicht an die Kapazitätsgrenzen des für Sie reservierten Veranstaltungssaals gestoßen. Dorner gelingt es, das glasstählerne Atrium der Erfurter Stadtwerke annähernd zu füllen und das, obwohl der Samstagvormittag nun nicht gerade unter die Kategorie »Primetime« für Lesungen fällt.
Maximilian Dorner ist kein Betroffener, der in der Entdeckung des Schreibens die Verarbeitung seines persönlichen Schicksals sucht. Maximilian Dorner hatte die Sprache bereits erobert, als man ihm Multiple Sklerose diagnostizierte. So ist »Mein Dämon ist ein Stubenhocker« nicht nur der Einblick in eine unbegreifliche Wirklichkeit, sondern eben auch und vor allem ein literarisches Werk. Dass der Titel des Buches indes gut gewählt ist, wird den Anwesenden an diesem Samstagmorgen schon in der Anmoderation gewahr: Dorner konnte die Reise von München nach Erfurt nicht antreten, sein Dämon bindet ihn an seine Stube. Es ist jedoch sein Wunsch, dass die Veranstaltung dennoch stattfindet und so schickt er mit seiner guten Freundin Susanne Plaßmann eine Vertreterin, deren Qualifikation »Schauspielerin« eine zumindest wohl artikulierte Lesung verspricht. Das Publikum akzeptiert den Ersatz, schließlich ist man am Werk interessiert und nicht in erster Linie an der Person. Was wohl wäre, wenn Sarah Wiener einen guten Freund schickte, der auch ganz gut kochen kann?
Susanne Plaßmann jedenfalls vertritt bravourös: Sie liest angenehm gekonnt, pointiert und unterhaltsam. Sie liest, wie Dorner schreibt. Nicht gedrückt, deprimiert, hadernd, sondern stets ein wenig distanziert, mal schmunzelnd ironisch und mal in der Ernsthaftigkeit der Tragik brüllend komisch. Im nüchternen Atrium weiß man nicht so recht, ob man denn nun lachen darf angesichts der Schwere der Thematik und so bleiben es vorerst zögerliche Vorstöße. In eben jenem Spiel der Sprache vermittelt Dorner auf unterhaltsame Weise die brutale Tragik seines Schicksals – gebunden zu sein an einen Dämon, der einem gute Tage lässt und andere zur Hölle macht.
Wie hautnah verständlich Dorners Worte wirken, stellt mein bekennend hypochondrischer Sitznachbar zur Schau: Schildert Dorner Taubheitsgefühle der Extremitäten, so fängt er an, sich prüfend zu kratzen. Wird die Bewegungsunfähigkeit thematisiert, lässt er Arme und Beine baumeln. Als er letztlich anfängt, sich Notizen zu machen, frage ich mich, ob es sich wohl um eine Checkliste der nächsten Facharzttermine handelt.
Das Publikum besteht zu einem Großteil aus Frauen mittleren bis älteren Alters, die Rate der zumindest augenscheinlich selbst Betroffenen scheint gering. Und so ist es fast ein wenig zu bedauern, dass die Fragerunde zum Ende der kurzweiligen Veranstaltung dominiert wird von denen, die ihre eigene Leidensgeschichte kurz anreißen und dankbar sind ob der Worte, die Dorner auch für sie gefunden hat.
Denn dieses Buch ist kein Werk von einem Betroffenen für Betroffene, sondern es ist nicht weniger als einfach nur ein lesenswertes Stück guter Literatur.
Tobias Freudenreich
Maximilian Dorner: Mein Dämon ist ein Stubenhocker. Gebundene Ausgabe. 2008. ZS - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe. ISBN/EAN: 9783898831987. 16,95 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Maximilian Dorner: Mein Dämon ist ein Stubenhocker: Aus dem Tagebuch eines Behinderten. Taschenbuch. 2009. Rowohlt Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783499625022
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