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Textkritik: Ratio? – Lyrik

Eine Textkritik von Malte Bremer

Ratio?

von Anke Kopietz
Textart: Lyrik
Bewertung: von 5 Brillen

Wenn Gedanken von Liebe getragen,
verwirkliche sie,
ohne zu zagen.

Dein Verstand sagt,
dass du es nicht tuen musst.

Doch tust du es nicht,
hast du später Verdruss.

Denn dann, in späteren Jahren,
beklagt dein Verstand,

dein früheres Zagen!

© 2008 by Anke Kopietz. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Alberne Pseudolebensweisheit, auch noch schlecht verpackt!

Die Kritik im Einzelnen

Ich werde den Teufel tun und einen solchen Rat befolgen! Gott hat seinen Sohn geopfert, weil er angeblich die Welt liebt, aber ich werde meine Söhne nicht opfern! Denn weil ich sehe, dass alle Menschen nur leiden, aber ich sie liebe, werde ich stattdessen die ganze Menschheit (mich eingeschlossen, denn ich gehöre trotz allem dazu) vernichten (auch da gibt es ein bekanntes Vorbild, aber ich lasse keinen Noah zu!), möglichst auf einen Schlag, dann wäre Schluss mit dem Leiden. So will es das Gedicht, es soll mir eine Lehre sein!
Es geht natürlich auch ne Nummer kleiner: Ich liebe meine Frau, und ich weiß, dass sie z. B. von einem alten Triumph-Sportwagen träumt – aber ich habe die Kohle nicht! Da kommt mir der von meiner Liebe getragene Gedanke, eine Bank zu knacken … aber leide zage ich! Mehr Mut, Malte, frisch gewagt ist schon der halbe Triumph, du zaudernder Zage-Zausel!
Oh, ich weiß, natürlich, wie konnte ich nur so etwas Schreckliches unterstellen! Aber ich darf nicht zagen, denn meine Gedanken sind von der Liebe zur Literatur getragen! So steht es im Text, auch wenn es nicht so gemeint ist! Mich interessieren aber nicht die angeblich versteckten Meinungen, sondern die offenliegenden im Text, und der verbreitet Albernheiten!
Immerhin wird hier ein Rhythmus versucht, denn wenn man vor der abgesetzten Zeile zwei Leertakte Pause macht, ergibt sich fast einer – leider nur fast, denn die zweite Zeile fängt unbetont an, statt betont. zurück
Weg ist der Rhythmus und Reime gibt’s auch nicht mehr, vermutlich, weil jetzt der Verstand spricht, nämlich dass ich das nicht tuen muss, die Menschheit ausrotten und so: Recht hat er! zurück
Der Rhythmus ist wieder da, und es findet sich ein Reimwort zu vorangegangenen Strophe. Ich bin jedoch voll davon überzeugt, dass ich nach dem Knacken einer Bank mehr Verdruss habe, Liebe hin – Liebe her, aber es stimmt garantiert & hunterpro, dass ich mitsamt dem Rest der Menschheit keinen Verdruss mehr spüre, wenn ich alle ratzeputz wegmache. Nicht nachvollziehbar ist, warum in den beiden letzten Zweizeilern keine Paarreime mehr verwendet werden, auch ist nicht ersichtlich, warum sie getrennt sind, statt in einem Vierzeiler zusammengefasst, dann gäbe es zumindest einen Schweifreim, und inhaltlich gehören sie ganz eng zueinand, Verstand & Verdruss (zumindest in diesem Gedicht). zurück
Wurde in der ersten Strophe eine oberschlaue Lebensweisheit ausposaunt, in den beiden folgenden Zweizeilern dann mit erhobenen Zeigefingern (es sind schließlich zwei Zweizeiler) vor dem wankelmütigen Verstand gewarnt, folgt jetzt der schlagende Beweis in einem zweipluseins Zeiler (warum dieses Ströphlein nicht wie die erste gestaltet wird, um diesem lyrischen (?) Textlein zumindest noch einen sauberen Rahmen zu geben, braucht man sich eigentlich nicht zu fragen: der Text ist vermutlich von Liebe getragen und wurde geschrieben ganz flink, ohne zagen). Inhaltlich ist auch nichts mehr hinzuzufügen, denn wer den Rest seines Lebens tot ist, ist gefeit vor jedem Verdruss, und wenn ich im Knast sitze, werde ich mich allein darüber beklagen, nicht auf meinen Verstand gehört, sondern stattdessen diesem unsäglichen Text vertraut zu haben. zurück

© 2008 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.