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Textkritik: Die Wolken – Prosa

Eine Textkritik von Malte Bremer

Die Wolken

von Michael Wolf
Textart: Prosa
Bewertung: 2 von 5 Brillen

Die Wolken hingen tief im Tal. Warum hängen Wolken eigentlich manchmal tiefer als sonst? Wollen sie uns den Weg zu den Sternen versperren? Er hob seinen Arm, erreichte aber keine Wolke, um sie zu fragen. Wie fragt man denn Wolken eigentlich? Natürlich, man muss erst in den Himmel, um sie fragen zu können. Doch wie dort hochkommen? Er sprang hoch und fiel hart auf die Erde zurück. Er war ganz nah dran gewesen. Nur noch ein Stück. Er versuchte es noch einmal. Doch er verirrt sich in den Wolken und stieß gegen etwas. Was das wohl war?
Er hielt sich seinen Kopf. Aber ihm tat nichts weh. Er sah erneut hinauf in den Himmel, aber da war nichts. Nur die Wolken, die tief hingen in der Dunkelheit. Woran hatte er sich gestoßen? Er sah hinauf, sah aber nichts als die Wolken. Weiß waren sie. Wie konnten Wolken in der Dunkelheit weiß sein? Er musste sie fragen. Aber um sie zu fragen, musste er hinauf. Hoch in den Himmel. Er hielt den Blick oben. Aber er fand den Himmel nicht. Wo war er hin? Er musste ihn suchen. Eine Welt ohne Himmel war keine Welt für ihn. Er musste ihn im Blick haben. Den Himmel mit den Wolken. Er musste sie fragen. Auch nach den Sternen. Er musste sie finden. Die Wolken. Wo sie wohl waren? Er sah unter sich, doch die Erde stand nicht fest. Sie wackelte und er drohte zu fallen. Er fiel lang und weit. Es schien sehr tief zu gehen. Sehr tief. Als er aufkam, spürte er immer noch keinen Schmerz. Er musste in den Himmel gefallen sein. Kann man nach oben fallen? Und wo waren nun die Wolken. Er sah hinauf. Die Wolken hingen tief. Warum hingen die Wolken bloß so tief? So tief hingen die Wolken. Warum bloß? Egal, er nahm noch ein Bier.

© 2005 by Michael Wolf. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Ein surrealistischer Versuch, ansatzweise gelungen.
Dieser Fünfzehnjährige will es zu genau machen – dadurch schleichen sich Fehler und Ermüdungserscheinungen beim Leser ein.

Die Kritik im Einzelnen

Diese Ortsangabe spielt im weiteren Text keine Rolle mehr: also weg damit! zurück
Wenn man jemanden fragen will: Wozu sollte man dann den Arm heben? Wieso spricht man die Wolke nicht einfach an: »He, alter Wattebausch, hätte da mal ne Frage …«? Würde er aber um Wolkes Aufmerksamkeit heischen, wäre ein Armheben, verbunden mit spitzen Schreien, heftigem Wedeln und Hüpfern, wesentlich wirkungsvoller. Keinesfalls genügt ein Armheben, sei es auch, um jemanden anzustupsen oder gar festzuhalten: mit fragen hat das nichts zu tun. zurück
Auf dieses denn kann verzichtet werden, ohne dass dem Sätzlein Wesentliches fehlte. zurück
Wissen wir: weil er fragen will, muss er hochspringen, muss nicht wiederholt werden: weg mit der Infinitivkonstruktion! zurück
Schon wieder springt er hoch, das wird jetzt zum dritten Male dem Leser ins Auge gedrückt: weg damit, denn warum sollte er plötzlich weit springen? zurück
Wie kann man sich beim Hochsprung verirren? Man will im Stadion über eine Hochsprunglatte hüpfen und landet überraschend im Kino? Glaub ich kein Wort von: hinfort mit dieser geistigen Verirrung! Es genügt vollständig, wenn der Protagonist gegen etwas stößt, das ist überraschend genug! zurück
Die Frage kommt später erneut, sollte hier unbedingt gestrichen werden, sonst wird das zu penetrant mit der Fragerei! zurück
Um den Zusammenhang nicht zu zerstören – was dem Protagonisten selbst unterlaufen ist, denn er hat prompt vergessen, dass er bereits am Hochschauen war -, würde ich diese Frage unmittelbar nach Aber ihm tat nichts weh anschließen. zurück
Wie oft kann man zusätzlich nach oben schauen, wenn man es bereits tut??? Dass er nur die Wolken sieht, ist ebenfalls gerade erst gesagt worden – also: den ganzen Satz streichen! zurück
Wieso sind denn plötzlich die Wolken verschwunden – er sieht sie doch gerade, er schaut doch nach oben? Streichen, diesen ganzen Komplex streichen! zurück
Erstens: Man kann der längelang hinfallen, aber man kann nicht lang fallen, allenfalls lange. Zweitens: Man kann nicht weit fallen – das merkt der Protagonist auch, denn bereits im nächsten Satz fällt er korrekterweise tief – also weg mit weit. Drittens: Er drohte zu fallen hieß es, der Übergang zu tatsächliche Fallen fehlt, ließe sich aber leicht herstellen, wenn der Anschluss lautete: … und er drohte zu fallen. Er fiel. Lange. Das Lange habe ich durch Punkt getrennt, um den Zeitverlauf zwischen drohte zu fallen, dem Fallen und der Feststellung, dass das Fallen dauert, zu betonen. zurück
Seltsam, warum ausgerechnet jetzt die Kopfschmerzen beginnen sollten, denn jetzt müsste er logischerweise einen anderen Schmerz spüren, da es ein anderer Aufprall gewesen wäre, wenn es denn überhaupt einer war: Er prallte nicht auf, sondern kam auf – das ist geradezu sanft! Dieses Rätsel mag ich nicht lösen, plädiere aber für ein wieder statt dem immer noch. zurück
Die letzten drei Sätze würde ich gnadenlos streichen: Die Wiederholungen ermüden zusehends, und am Ende folgt diese Pseudo-Auflösung, mit der der Protagonist beweisen will, dass diese Erzählung doch einen Sinn hat und nicht bloß so dahingeschrieben ist. Als Leser gehe ich davon aus, dass sich ein Schriftsteller Gedanken macht, bevor er etwas schreibt – aber als Leser möchte ich mir meine eigenen Gedanken machen darüber, was in dem Text eigentlich los ist. Wenn ein Leser diese Chance nicht bekommt, taugt der Text nichts.
Das Ergebnis nach Einarbeitung meiner Kritik sähe im Zusammenhang folgendermaßen aus:
Die Wolken hingen tief. Warum hängen Wolken eigentlich manchmal tiefer als sonst? Wollen sie uns den Weg zu den Sternen versperren? Er hob seinen Arm, erreichte aber keine Wolke. Wie fragt man Wolken eigentlich? Natürlich, man muss erst in den Himmel. Doch wie dort hochkommen? Er sprang und fiel hart auf die Erde zurück. Er war ganz nah dran gewesen. Nur noch ein Stück. Er versuchte es noch einmal. Doch er stieß gegen etwas.
Er hielt sich seinen Kopf. Aber ihm tat nichts weh. Woran hatte er sich gestoßen? Er sah erneut hinauf in den Himmel, aber da war nichts. Nur die Wolken, die tief hingen in der Dunkelheit. Weiß waren sie. Wie konnten Wolken in der Dunkelheit weiß sein? Er musste sie fragen. Aber um sie zu fragen, musste er hinauf. Hoch in den Himmel. Er hielt den Blick oben. Aber er fand den Himmel nicht. Wo war er hin? Er musste ihn suchen. Eine Welt ohne Himmel war keine Welt für ihn. Er musste ihn im Blick haben. Den Himmel mit den Wolken. Er musste sie fragen. Auch nach den Sternen. Er musste sie finden. Er sah unter sich, doch die Erde stand nicht fest. Sie wackelte und er drohte zu fallen. Er fiel. Lange. Es schien sehr tief zu gehen. Sehr tief. Als er aufkam, spürte er wieder keinen Schmerz. Er musste in den Himmel gefallen sein. Kann man nach oben fallen? Und wo waren nun die Wolken? Er sah hinauf. Die Wolken hingen tief. Warum hingen die Wolken bloß so tief?
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© 2005 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.

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