StartseiteTextkritikTextkritik: Bei dieser Lyrik hilft keine Meduzin

Textkritik: Bei dieser Lyrik hilft keine Meduzin

Krankheit, Liebeskummer, Tod, sexueller Missbrauch, Umweltkatastrophen und Depressionen: Erlebnisse, die oft spontan in einem Gedicht verarbeitet werden.

Lyrik kann Lebenshilfe sein, doch man sollte solche Werke besser im Tagebuch belassen, bei der Gruppentherapie vortragen oder bei der nächsten Sitzung dem Psychiater zeigen.

Auf keinen Fall sollte man sie veröffentlichen oder gar bei Wettbewerben einsenden, denn dann leiden auch Leser, Kritiker oder Juroren, wenngleich eher unter missglückten Sprachbildern, Grammatik, Syntax, Form und Versmaß.

Unser Kritiker Malte Bremer blickt diesmal auf solches Leid.

Allein

von Andrea Schatt
Textart: Lyrik
Bewertung: von 5 Brillen

An wen soll ich mich noch wenden,
ich weiss nicht mehr wer.
Zu keinem das Vertrauen, mich zu verstehn.
Aber ich kann es nicht alleine,
nur ich und das Papier.
Es spricht nicht, kommt nur aus mir.
Buchstabe für Buchstabe, ein hilfloses Meer.
Sollte ich besser schweigen,
auf Nägeln weiter gehn?
Schmerzen ertragen, Gefühle verwehrn?

© 2012 by Andrea Schatt. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Sinnentleertes Geschwafel

Hat überhaupt nichts mit einem Gedicht zu tun und wäre auch als Text unerträglich. Dafür müsste es eigentlich Minusbrillen geben statt nur keine.

Die Kritik im Einzelnen

Oioioi – da hat das lyrische Ich aber schon eine Menge Menschen behelligt, wenn es nicht mehr weiß, an wen es sich noch wenden soll. Hier gäbe es Rat! Kein Wunder, dass es am Ende der Wendestrecke allein ist (aber mit Verlaub: Ich bin mir sicher, dass es sich an mich nicht gewandt hat!).
Grammatisch ist der zweite Vers völlig verunglückt (ich spreche bei diesem Text doch lieber von Zeile, denn bereits diese hat metrisch/formal mit der ersten so gar nichts zu tun): Logisch müsste es heißen: Ich weiß nicht mehr, an wen. Das aber wäre nur eine Wiederholung der ersten. Vielleicht ist die vorliegende Konstruktion versehentlich nicht beendet worden, sollte eigentlich Ich weiß nicht mehr, wer ich bin lauten – das legt zumindest dieses seltsame wer nahe und würde zudem passen: Da will jemand wissen, wer er ist! Das ist schon wichtig, wenn man keine Ahnung mehr hat …zurück

Jetzt folgt zur Abwechslung ein elliptischer Satz, denn das Prädikat fehlt. Vom Metrum und der Form passt diese Zeile wiederum nicht zu den vorangegangenen: Es sieht so aus, als entstünde ein Gedicht dadurch, dass man Zeilen untereinander setzt – und wenn es ganz besonders toll sein soll, werden die dann auch noch zentriert, als ob Müll hübscher wird, wenn man ihn der Größe nach sortiert! Und ganz schlimm wird es, wenn ausgesprochene Homepage-Dummköpfe illegalerweise Gedichte renommierter Lyriker fehlerhaft abtippen und auch noch zentrieren … aber das nur am Rande!
Hier passiert das glücklicherweise nicht, und das ist das einzig Positive, was mir zu diesem Geschreibsel einfällt!
Die Logik des Satzes holpert: Wieso fragt sich ohne Fragezeichen das lyrische Ich, an wen es sich noch wenden soll, wenn es eh kein Vertrauen hat, verstanden zu werden? Wozu das Gejammer? zurück

Jetzt wird der klare Titel durch das umgangssprachliche alleine verballhornt – und ich hatte mich schon gefreut, dass jemand noch das schöne allein kennt. zurück

Wer eine Erklärung erwartet hatte, was das lyrische Ich allein nicht zustande bringt, wird bitter enttäuscht: Das wird nicht enthüllt. Satt dessen wird dem geneigten Leser weis gemacht, dass nur es (also das lyrische Ich) UND das Papier (Hallo Partner!) es kann – ja aber was denn? Und was hat das lyrische Ich mit dem Papier (nicht irgendeinem, nein: einem bestimmten) zu tun? Wo kommt das her, wo will das hin? Was können die beiden zusammen, was das lyrische Ich allein nicht nicht kann: Sich an jemanden wenden, nicht mehr wissen wer, gemeinsam das lyrische Ich verstehen?
An wen kann ich mich wenden? Mein Hirn droht zu verenden … Ojemine owe, das tut gar schröcklich weh … zurück

Kinder: Überraschung!!! Das Papier spricht nicht! Boah ey, ein nicht sprechendes Papier – so was gibt es nur in Erzeugnissen, die sich für ein Gedicht halten. Aber noch viel schöner ist, dass zumindest die Frage, woher das Papier kommt, geklärt wird: Das Papier kommt aus dem lyrischen Ich!
Mit anderen Worten: Das lyrische Ich ist ein Papierspender, das Gedicht folglich aus der Perspektive eines solchen geschrieben; der wird von niemandem verstanden und kann sich an niemanden mehr wenden, da er z. B. in der Toilette eines aufgegebenen Gasthauses hängt: So bleibt nur noch das Papier als Kumpel übrig, aber eben als ein stummer, da er nicht spricht … zurück

Wort für Wort ein hilfloses Meer … Ach, diente es doch der Selbsterkenntnis, möchte ich da dem Papierspender zurufen … nichts, aber gar nichts vermag ich diesem Buchstabengewimmel zu entnehmen, dass auch nur ansatzweise einen nachvollziehbaren Sinn ergibt oder auch nur andeutungsweise was mit einem Gedicht zu tun hat! zurück

Jaaaaaaaa! Aber bedauerlicherweise ist es 8 Zeilen zu spät für diese treffliche Erkenntnis! zurück

Wer geht denn bereits auf Nägeln, dass er weiter auf Nägeln gehen kann (der Papierspender hängt allenfalls an welchen, wenn er stümperhaft befestigt wurde)? Weiß niemand, ist auch schnurzegal! Doch auf welchen oder wessen Nägeln geht er: den Zehennägeln? Den eigenen? Das ist schmerzhaft, zugegeben, wenn sie lang genug sind, dass man auf ihnen gehen könnte. Auf denen des lieben Nachbarn? Ginge – aber nicht sehr weit, der hat nur zehn Zehn. Oder ist gemeint über ein Nagelbrett? Wo so viele Nägel nebeneinander stehen, dass man bei einigermaßen gesunder Hornhaut (barfuß gehen ist angesagt) problemlos, da schmerzfrei gehen kann?
Aber auf Nägeln gehen? Das geht eigentlich nicht – man kann darauf treten, das geht! zurück

Nein, keine Schmerzen ertragen: Da gibt es Meduzin gegen: Pipi fragen! Gefühle verwehrn? Hängt von den Gefühlen ab: Gegen Freude oder Angst hilft jede Art von Seditiva – am besten Arzt oder Apotheker fragen. Gegen Depressionen gibt es Antidepressiva (sollte ich nach diesem Wordgewusel besser einnehmen). zurück

© 2012 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.