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Stuttgarter Zeitung zu den Marbacher Literaturportal-Pannen

Stuttgarter Zeitung vom 07.02.2007Die Stuttgarter Zeitung berichtete in ihrer gestrigen Ausgabe von unserer Kritik am Marbacher Literaturportal. Leider hat man dort die FAZ-Zusammenhänge nicht ganz verstanden und stellt sie verwirrend und nicht korrekt dar.

Neben Zitaten aus unserem Artikel kommt in der StZ auch Roland Kamzelak, der Leiter der Direktionsabteilung im Deutschen Literaturarchiv Marbach, zu Wort. Bemerkenswert ist, dass Kamzelak mittlerweile die Kosten für das Portal mit 20.000 Euro beziffert. Eine Förderung durch das Bundesministerium in Höhe von 150.000 Euro habe es nicht gegeben. Diese Zahl stamme aus einer Vorlage, mit der der Minister das Projekt in einer Pressekonferenz vorgestellt habe. Mittlerweile habe man auf vieles verzichtet.

Nur ist die Zahl von 150.000 Euro Fördersumme nach wie vor in einer offiziellen Pressemitteilung vom 15.06.2006 nachzulesen, die sich auf der Website des Bundespresseamtes befindet. Arbeitet das Bundesamt so schlampig, dass es solch wichtige Zahl ohne jede Prüfung einfach veröffentlicht? Und auch im Redemanuskript des Ministers ist die Zahl nachzulesen. Hier ist zudem explizit nicht von einer Förderung für Kommendes die Rede, sondern der Minister spricht von einer Förderung "in den Jahren 2005 und 2006" und bezieht sich somit eindeutig auf die Aufbau- und Umsetzungsphase. Seit dem Online-Gang wurde am Portal – außer Fehlerkorrekturen – ja nichts mehr getan. Sicherheitshalber haben wir daher Screenshots der Meldungen angefertigt, denn wir befürchten, dass diese vielleicht nicht für immer online sein könnten.

Unabhängig davon wäre wiederum eine Gesamtprojektsumme von 20.000 Euro für ein Portal, das »die deutschsprachige Literatur und literarisches Leben abbildet«, gerade zu unseriös niedrig veranschlagt. Damit gestaltet ein mittelständisches Maschinenbauunternehmen seinen Image-Auftritt, aber keine Bundeseinrichtung ein übergreifendes Literaturportal. Hierfür mögen 150.000 Euro durchaus gerechtfertigt sein – es kommt eben darauf an, was man daraus macht.

Das Literaturarchiv in Marbach ist eine großartige und kompetente Einrichtung. Nirgendwo sonst sind so viele Informationen über deutschsprachige Autoren gesammelt und katalogisiert. Umso peinlicher war es, als die "Welt" herausfand, dass man zum Start des Portals zum Teil auf aus Wikipedia kopierte Artikel zurückgriff, ohne diese Quelle zu nennen. Schnell wurden danach in Marbach die gröbsten Fehler korrigiert und auf das eigene Archiv verlinkt.

Sehr schnell gab man in Marbach offensichtlich auch die Sprachregelung aus, dass das Literaturportal eigentlich nur ein Literaturkalender sei und dass darauf der Schwerpunkt liege. Im Redemanuskript des Ministers vom Juni liest sich das noch anders: Das Literaturportal leistet deswegen mit seinem Angebot auch einen Beitrag zur kulturellen Bildung, weil es uns neue Wege zu diesen literarischen Welten anbietet. Es ist ein Informationsdienst, durch den man sich weltweit über deutschsprachige Literatur informieren kann.

Kamzelak heute laut der Stuttgarter Zeitung: "Wir haben vielleicht den Fehler begangen, es nicht Literaturkalender zu nennen", sagt er. Dies sei die Hauptaufgabe des Portals. Fünf Termine pro Tag zu nennen, halte er für ausreichend, zumal das Deutsche Literaturarchiv auf Qualität Wert lege. Wir schlagen vor, künftig nur einen Termin pro Tag anzuzeigen. Das würde die Qualität nochmals um das Fünffache steigern.

Im Ernst: Soll literaturportal.de nur ein Literaturkalender sein, dann hätte die Projektsumme in der Tat 0 Euro betragen können, denn der Kalender ist 1:1 das Angebot des kulturkurier – ein Service, den dieser auch anderen Portalen wie brigitte.de anbietet.

Auch mit unserer Feststellung, dass das Portal seit Oktober nicht mehr gepflegt werde, konfrontiert die StZ den Leiter der Direktionsabteilung. Dieser gibt dies offen zu. Der Grund? Der Redakteur sei wegen Urlaubsansprüchen seit Oktober nicht mehr tätig.

Was bitte ist das denn für ein Online-Angebot mit bundesweitem Anspruch, dessen Redakteur einen Urlaubsanspruch von 4 Monaten hat, ohne dass es eine Vertretung gibt? Dass es im Internet drei Dinge sind, die maßgeblich zum Erfolg eines Web-Angebots beitragen, sollte man doch auch in Marbach wissen: Aktualität, Aktualität, Aktualität.

Und wie schätzt Kamzelak das Motiv für unsere Kritik ein? Die StZ hierzu: Den Artikel des Literaturcafés hält Kamzelak für eine Neidreaktion einer "gut gemachten" Literaturadresse, die aber andere Schwerpunkte setze.

Letzteres stimmt, denn selbst 150.000 Euro wäre uns solch ein Ärger nicht wert. Viele Projektverantwortliche blicken in der Tat neidisch auf Fördersummen vom Bund oder gar von der EU. Aber wer je ein so gefördertes Projekt leiten durfte, der weiß, dass man damit selten glücklich wird, da die Energie zwischen all den Beiratssitzungen und Projektberichten so schnell verpufft, dass nur noch vier Monate Urlaub helfen.

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2 Kommentare

  1. Ich weiß aus eigener beruflicher Zusammenarbeit mit der Presse, dass Redakteure keine komplizierten Zusammenhänge mögen – das verwirrt den Leser. Sie haben’s auch gerne vorgeschrieben, kürzen aber dann genau das Falsche.

  2. Die einzige selbstständige Recherche-Leistung des Artikels war doch der Anruf bei Herrn Kamzelak, oder? Wegen der Ungereimtheiten nachgehakt hat man aber auch nicht. Wahrscheinlich, weil man vorher überhaupt nix recherchiert hatte. Dass das Literaturcafé ein Portal in diesem sagenumwobenden Internet ist, darüber informiert uns der Artikel natürlich auch nicht.
    Hat irgendjemand eine Idee, wie man die Ungereimtheiten bei den Zahlen klären könnte?

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