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Scrivener & Co: Textverarbeitung für Autoren

Abbildung 6: Scrivener im Fenstermodus
Scrivener im Fenstermodus

Wer heutzutage schreibt, kann dies noch mit dem Füller auf Papier tun. Das hat den Vorteil, dass überall und jederzeit gearbeitet werden kann, auch im Café oder auf einer schönen Parkbank, und dass es einfach die schönste Art zu schreiben ist. Der Nachteil ist natürlich das Abtippen, das einerseits eine schätzenswerte Nachkorrektur darstellt, andererseits aber zeitaufwendig ist. Häufig wird daher direkt am Computer gearbeitet. Und schon ergibt sich die Frage: Welches Werkzeug ist dafür überhaupt geeignet? Ein Blick ins Internet zeitigt eine überwältigende Zahl von Programmen: OpenOffice Writer, Microsoft Word, InDesign, Ulysses, nano, jEdit, Scrivener, LaTeX … also, wovon sprechen wir hier?

Die Vielfalt an Textverarbeitungsprogrammen ist ungefähr so groß wie die Auswahl an Kochtöpfen. So wie mit dem einen Topf Spargel gekocht, mit dem anderen dank zahlreicher Einsätze so ziemlich alles zubereitet werden kann und der nächste ein Schnellkochtopf ist, gibt es auch unzählige Textverarbeitungsprogramme, die jedes für bestimmte Anwender am besten geeignet ist.

Eierlegende Wollmilchsäue sind selten perfekt

Die bekanntesten sind die eierlegenden Wollmilchsäue, die in Gestalt des kostenpflichtigen Microsoft Word oder des kostenlosen Open- bzw. Libre Office Writer auf wohl fast jedem gewöhnlichen Rechner laufen. Sie kommen in sogenannten »Office«-Paketen gebündelt mit Tabellenkalkulation, Datenbankverwaltung und vielleicht auch einem Grafikprogramm daher. Aber hier soll nur von der Textverarbeitung die Rede sein.

MS-Word und Open Office Writer können ungeheuer viel. Sie haben den Anspruch, nicht nur die überaus komplexen Aufgaben der reinen Texthandhabung zu bewältigen, sondern geben vor, zugleich Layout- und Satzprogramme zu sein. Im Abbildungsbeispiel ist ein Reintext in OpenOffice Writer zu sehen (Abb. 1), wie er für Erzählungen geeignet wäre, rechts mit dem gleichen Programm durchlayoutete Infomappenseiten, die als vollwertiges PDF ins Netz gestellt oder auch (semi-)professionell gedruckt werden können (Abb. 2).

Abbildung 1: Reintext in OpenOffice Writer
Abbildung 1
Abbildung 2: Mit OpenOffice Writer durchlayoutete Infomappenseiten
Abbildung 2

Und so, wie eierlegende Wollmilchsäue eher durchschnittliche Milch und auch mal das eine oder andere faule Ei liefern – ganz zu schweigen von der Qualität der Wolle –, liefern auch diese Programme zwar ansehnliche, aber nur selten perfekte Ergebnisse, und störrisch sind sie manchmal wie ein Schafsbock gekreuzt mit einer beleidigten Eselsdame und einem Huhn, das unter Legestau leidet.

jEdit: Textverarbeitung in Reinform

Abbildung 3: Editor nano im Fenstermodus unter OS X
Abbildung 3

Das genaue Gegenteil hiervon sind die Spezialisten unter den Textverarbeitungen. Sie dienen ausschließlich einem Zweck: dem Bearbeiten von Text. Gestaltung, Layout und Satz werden anderen Programmen überlassen, beispielsweise für den Satz InDesign. Einer der simpelsten unter diesen Spezialisten ist der »Notepad«, den man von MS-Windows her kennt. Doch der erscheint komfortabel im Vergleich beispielsweise zu Vi oder nano, Editoren, die in ihrer Reinfassung komplett über die Tastatur gesteuert werden und auch ohne grafische Benutzeroberfläche arbeiten, also auf einem schwarzen Bildschirm, in dem nur die Kommandozeile, gegebenenfalls Befehlshinweise und eben der Text leuchten (Abb. 3).

Dafür sind sie für denjenigen, der mit Reintext arbeitet, ein überaus mächtiges Werkzeug. Von ihnen hin zu eine Art Hybriden führt der Weg beispielsweise über jEdit. Dieser ist in seiner Oberfläche dem fensterverwöhnten Nutzer schon etwas geläufiger: Er verfügt über Menüs – aber er stellt im klassischen Modus ebenfalls nur »reinen« Text dar, also nicht etwa das, was später aus dem Drucker kommt. Er ist für Scriptsprachen ein gut geeignetes Werkzeug, wo Befehle in Klammern und Haken zwischen den Text gestellt werden. Wie beispielsweise beim Quelltext von Webseiten, wo ein kursiver Text zwischen eine <i>sich öffnende und eine sich schließende</i> spitze Doppelklammer gestellt werden kann. Zudem kann jEdit Befehlsbereiche farblich codieren (Abb. 4). Wer die Befehle im Kopf hat, der schreibt mit einem solchen Editor schneller komplexen Quelltext als jemand, der jeden einzelnen Befehl über das Menü oder über kleine Schaltknöpfe mit der Maus angeben muss. Zusätzlich ermöglichen Erweiterungen den Ausbau des Programms um weitere Funktionen.

Abbildung 4a: jEdit mit dem handgeschriebenen Quelltext einer Webseite ...
Abbildung 4a
Abbildung 4b: ... und das Ergebnis im Browser
Abbildung 4b

Aber im Kern bleibt jEdit ein Reintext-Editor, eher ungeeignet für den Normalbenutzer, der nur schnell einen Brief schreiben und halbwegs vernünftig gestaltet ausdrucken möchte. Eine Kombination aus Scripteditor und Satzprogramm, das besonders im akademischen Bereich großen Zuspruch findet, ist LaTeX. Nicht einfach zu handhaben, ist es ein ebenfalls kostenloses, äußerst mächtiges Werkzeug, zu dem es zahlreiche Erweiterungen und Zusatzprogramme zur einfacheren oder spezielleren Bedienbarkeit gibt.

Hybride Textverarbeitung auf dem Mac mit Scrivener

Hybriden wollen vor allem das eine können, aber auch von dem anderen das spezifisch für ihre Zielgruppe Praktische bieten. Sie sind mal mehr, mal weniger auf die Bedürfnisse ihrer Nutzer zugeschnitten. Im Folgenden soll es um ein solches Programm für Autoren gehen, das soeben in zweiter Fassung erschienen ist: Scrivener.

Scrivener ist ein Textverarbeitungsprogramm, das speziell für Autoren erarbeitet wurde. Keith, ein Lehrer, brachte sich das Programmieren bei, um einen Editor nach seinen Wünschen zu erschaffen. »Ich wechselte zwischen verschiedenen Programmen und auch Dateikarten aus Papier hin und her, um einen Überblick über meine diversen Handlungsstränge zu behalten«, berichtet er über seine Versuche als Romanautor, »und hatte Dutzende von Bildern, PDF-Dokumenten und dergleichen, die ich neben meinem Text zur Hand haben wollte.« So fasste er 2002 den Entschluss, »ein Programm zu schaffen, das dies alles beisammen halten könnte.« Scrivener war geboren und kam fünf Jahre später auf den Markt.

Die Funktionen von Scrivener sollen vor allem beim Schreiben von Drehbüchern, Romanen und dergleichen bieten, was die Office-Programme nicht oder nur unzureichend können: »Ich fand einige Programme, die meinen Wünschen nahekamen, aber es gab keines, das meine drei Hauptaspekte in sich vereinte: einen übersichtlichen Strukturbaum zum Projekt, eine Zusammenfassungsmöglichkeit für einzelne und verschiebbare Szenen und eine Spaltenansicht, in der der eigentliche Arbeitstext neben Bildern und Sachtexten dargestellt werden konnte.« Was Scrivener deswegen gar nicht will, ist die Möglichkeit, Seiten mit verschiedenen Schrifttypen und -farben, Bildern und dergleichen mehr zu behelligen. Es geht hier ums Schreiben. Was es dafür bietet, ist jedoch eine ganze Menge. Andere Texteditoren wie Ulysses schlägt Scrivener dabei in seinem Funktionsumfang um Längen.

Im Gegensatz zu Office-Arten, die Dokumente (scheinbar) als einzelne Dateien speichern, arbeitet Scrivener mit »Projekten«. In einem solchen Projekt kann der Text in eigene Abschnitte aufgeteilt eingebunden werden, es können aber auch Anmerkungen, Recherchedokumente, Bilder und Handlungsnotizen vorhanden sein. Wie auf einer Pinnwand lassen sich all diese Schnipsel und Abschnitte des Textes schnell und einfach überblicken, umsortieren, zusammenführen oder trennen. Jedes einzelne Dokument wiederum kann mit eigenen Randnotizen versehen werden, die nicht etwa im Text, sondern nur in einem eigenen Notizen-Feld neben dem eigentlichen Dokument stehen.

Abbildung 5: Scrivener im Vollbildmodus
Abbildung 5

Scrivener hält auch Möglichkeiten bereit für Freunde des alten DOS-Word, bis heute eines der faszinierendsten Texteditoren insbesondere in seiner Fassung 5.5, der auch 300 Seiten auf einem 16-Megaherz-Computer in Sekundenschnelle lud: Das ist eine außerordentliche Wohltat. Natürlich können die meisten Befehle direkt über Tastatureingaben angesteuert werden, ein essenzielles Merkmal für schnelle und zügige Schreibarbeit. Wie einst Word 5.5 gehört auch Scrivenerzu den seltenen Programmen, die einen echten Vollbildmodus anbieten. Das bedeutet, dass der gesamte Bildschirm schwarz wird und ausschließlich der Text zu sehen ist. Keine Menüs, keine Fenster verstellen den Blick auf das eigentlich Wichtige, wie in Abbildung 5 zu sehen ist (die Berliner Mengenuhr rechts oben ist eine beabsichtigte Ausnahme). Hier kann man endlich wieder nur und ausschließlich schreiben, ohne durch den Firlefanz moderner Technologie von der Arbeit abgelenkt zu werden. Das ist eine außerordentliche Wohltat.

Für die belletristische Arbeit ist Scrivener hervorragend geeignet. Da hier ohnehin von den Verlagen Reintext verlangt wird, kommt der Schreibende auch gar nicht in die Versuchung, den Text mit ärgerlichen Spielereien anzureichern. Die Strukturierung auch sehr komplexer Handlungsstränge und Personenkonstellationen kann über die Möglichkeit, in Abschnitten zu schreiben und Notizen und Recherchen stets griffbereit zu haben, gut vorgenommen werden.

Problematische Fußnoten

Für akademische Arbeiten hält Scrivener inzwischen auch eine passable Fußnotenfunktion bereit. Problematisch wird es allerdings, wenn es sich um eine akademische Herausgeberarbeit handelt. Positiv ist der Umstand, dass auch hier überflüssige und für den Satz nur störende Formatierungen einfach herausfallen; der Text wird von unnötigem Ballast befreit. Leider ist zum einen der Import von Fußnoten (noch) unzuverlässig, vor allem aber gibt es keine Korrekturfunktion (»Änderungen nachverfolgen«) in Scrivener. Einerseits ist auch dies willkommen; eine Fachlektorin merkte an, dass sie auf gar keinen Fall diese Funktion in der Korrektur haben wolle, da es damit in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen gekommen sei. Dieser Umstand konnte auch bei der Arbeit an einem anderen Sachbuch beobachtet werden: OpenOffice verschluckte nach dem Zufallsprinzip Änderungsmarkierungen und färbte andere um, sodass die Funktion ad absurdum geführt wurde. Wenn man der Einfachheit halber jedoch die Änderungsfunktion nutzen möchte, um kürzere Artikel mit den Autoren abzugleichen, dann ist Scrivener eher ungünstig. Immerhin unterstützt das System Multi Markup Language, die beispielsweise von LaTeX zur Markierung von Formatierungen eingesetzt wird, und konnte dabei als recht zuverlässig beobachtet werden. Eine weitere, sehr spannende Funktion ist die Möglichkeit zum Erstellen von »Snapshots«, also quasi Momentaufnahmen, durch die verschiedene Versionen einer Textstelle im Handumdrehen gespeichert und bei Bedarf wiederhergestellt werden können.

Auf Textgestaltung muss nicht ganz verzichtet werden. Denn dafür bietet Scrivener einen recht mächtigen »Compiler«, der aus dem Reintext des Dokuments eine vom Nutzer gestaltbare formatierte Datei erzeugt, die sich durchaus sehen lassen kann. Und noch ein kleiner Bonus: Über eine Exportfunktion kann Text mit Standardformatierungen in einfaches HTML umgewandelt werden – theoretisch ist es also sogar möglich, das eigene Weblog damit zu füttern. Wer Hilfe benötigt oder besondere Wünsche an künftige Programmversionen hat, dem steht ein umfangreiches Forum zur Verfügung, wo auch das Entwicklerteam unvergleichlich schnell mit Hilfe zur Stelle ist. Die Kommunikation zwischen Nutzern und Hersteller ist hier vorbildlich.

Fazit

Für den alltäglichen Briefeschreiber, für den Coder und für den Gestalter ist Scrivener das falsche Werkzeug; er oder sie wird sich wohl mit Open-/LibreOffice beziehungsweise LaTeX oder jEdit wohler fühlen. Für den Massentextschreiber, sei es in Belletristik oder im Fachbuch, hat Scrivener sich aber bislang als überaus praktisches, gut an die Bedürfnisse angepasstes Spezialwerkzeug erwiesen, das die Arbeit sehr erleichtern kann und den Blick zurück auf das Wesentliche lenkt: auf das Schreiben. Wer in diesen Bereichen arbeitet, dem sei ein Testlauf mit Scrivener sehr empfohlen.

Ruben Philipp Wickenhäuser

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Über den Autor
Ruben Philipp Wickenhäuser arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte seit 1996 zahlreiche Romane, Fach- und Sachbücher und ist Herausgeber sowohl belletristischer wie akademischer Anthologien, darunter »Orte der Wirklichkeit. Mediale Lebenswelten Jugendlicher« bei Springer Wissenschaft, »Kriegerträume« bei Herbig  und »Jugger. Der Endzeit-Sport« im Archiv der Jugendkulturen. Weitere Informationen: www.uhusnest.de sowie Aktuelles im Weblog unter www.uhusnest.de/blog.

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6 Kommentare

  1. Schöner Beitrag!

    Alternativen zu Scrivener unter Windows: Liquid Story Binder oder Papyrus… allerdings soll zum Beginn des nächsten Jahres eine Windowsversion von Scrivener erscheinen.

    Wer Drehbücher schreibt und nach einer kostengünstigen Alternative sucht, kann sich auch mal Celtx angucken.

  2. Schöner Artikel, hier aber ein paar Anmerkungen: 1.
    Scrivener besitzt eine Änderungsverfolgung (und Versionsverwaltung)
    durch Snapshots 2. Meinen Sie sicherlich MultiMarkDown, was aber
    rein gar nichts mit LaTeX zu tun hat. MMD erzeugt XHTML, aus dem
    wiederum per XSLT LaTeX erzeugt werden kann. 3. Als Anmerkung zu
    dem Kommentar über diesem: Scrivener kann ebenfalls nach ePub
    exportieren, sowie auch ins Kindle Format. Gruß hwit

  3. Es gibt noch ein weiteres sehr ansprechendes Programm für den Mac. Es heißt Ommwriter. Und besticht durch seine Einfachheit und seine meditativen Funktionen. So können bestimmte Geräuschkulissen aktiviert werden, wie Wasserplätschern oder eine Bibliothek. Es gibt eine kostenlose und eine kostenpflichtige Version. Aber wahrscheinlich ist es nur für kürzere Texte geeignet, also nicht für ganze Bücher.
    Grüße, Katinka.

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