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Praxistipps: Wie Sie Ihren Schreibstil finden und verbessern

Schreibende

Die eigene Geschichte aufzuschreiben – davon träumen Viele. Ich auch. In den letzten Monaten hatte ich – wie viele andere – Zeit. Aber wie finde ich den zu mir passenden Stil und die richtige Sprache für mein Buch, sodass es andere Lesen wollen? Juliane Hartmann hat sich auf die Suche begeben und die besten Tipps zusammengestellt.

Tagebücher, Briefe, E-Mails, Blogbeiträge – ich schreibe regelmäßig. Doch ein Buch ist eine andere Nummer. Wenn die eigene Geschichte von Menschen außerhalb des eigenen Bekanntenkreises gelesen werden soll, muss sie interessant und gut geschrieben sein.

Aber was bedeutet »gut geschrieben«? Wie lerne ich gutes Schreiben? Wie finde ich meinen Stil? Soll ich einer Schreibgruppe beitreten? Einen Online-Schreibkurs machen? Bücher übers Schreiben lesen?

Ich habe die Schreibratgeber vier verschiedener Autoren aus unterschiedlichen Jahrzehnten gelesen. Schnell wurde mir klar: Schreiben ist ein Handwerk, mehr als ich dachte. Es gibt klare Regeln. Die Expertentipps sind sich alle erstaunlich ähnlich.

Jedoch: Die Ratgeber sind voll mit Tipps zu Ideenfindung und Kreativität, zu Figurenzeichnung und Plotaufbau. Zur Sprache, zum Stil und wie man ihn findet und verbessert, findet sich wenig oder wenig Konkretes.

Gängige Schreibregeln: Handwerkszeug als Basis

Spätestens bei der ersten Schreibübung merkte ich: Schreiben ist harte Arbeit.

Ebenso merkte ich: Es ist wie so oft im Leben. Talent mag eine Rolle spielen, bei einem kreativen Prozess wie dem Schreiben noch mehr als bei anderen Tätigkeiten. Aber zum Schreiben braucht man nicht nur Talent. Es gibt einiges, was man lernen kann. Werkzeug, dass man nutzen kann.

Im Folgenden die wichtigsten Regeln für einen guten Schreibstil. Als Basis.

Show don’t tell

Show don’t tell. Zeigen, nicht erzählen.

Es ist die Schreibregel. Die, von der man in jedem Schreibseminar hört. Von der man überall liest. Auch ich hatte sie schon oft gehört. Aber nicht verinnerlicht. Was bedeutet dieses Zeigen? Sol Stein widmet der Schreibregel ein Kapitel in seinem Buch Über das Schreiben. Sein erstes Beispiel wirkte Wunder.

»Er war nervös.« versus »Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch.«

Da hatte ich es verstanden.

»Sie wurde wütend.« versus »Sie trat gegen das Planschbecken, sodass die Hälfte des Wassers heraus schwappte und auf die Pflastersteine platschte.«

Oder: »Mir ist heiß.« versus »Die Jeans klebt an meinem Oberschenkel.«

Aufgabe für Sie: Versuchen Sie, drei eigene Beispiele zu finden. Danach sollten Sie über Ihre eigenen Worte stolpern, wenn diese lauten: »Ich bin müde.« oder »Er wurde aggressiv.« oder »Sie wirkte ungeduldig.«

Was uns zur zweiten Regel bringt …

Keine Adjektive

Nervös. Wütend. Heiß. Das sind im vorherigen Abschnitt die Beispiele fürs Erklären. Mit diesen Adjektiven wird nicht gezeigt, sondern erklärt.

Adjektive sind daher in Expertenaugen störend. Das ist kein Adjektivverbot. Aber eine Aufforderung zum gezielten Einsatz der Eigenschaftswörter. Ludwig Reiners schreibt in seiner Stilfibel: »Setzen Sie Eigenschaftswörter nur, wenn Sie etwas Neues hinzufügen, was der Leser wissen muss.«

Auch der Brockhaus-Ratgaber Kreatives Schreiben mahnt: »Prüfen Sie für jedes Adjektiv oder Adverb, ob es wirklich passend und sinnvoll ist. Wenn nicht, sollten Sie es ersetzen oder gar streichen.«

Oder haben Sie Albert Camus’ »Die Pest« gelesen oder gehört? Die Romanfigur Grand will einen Roman schreiben und bleibt am ersten Satz hängen. Eine Option nach großen Mühen von Grand lautet:

»An einem schönen Maimorgen ritt eine schlanke Amazone auf einer herrlichen Fuchsstute durch die blühenden Alleen des Bois de Boulogne.«

Soll es eine wunderbare, glänzende, kräftige oder gar schwarze(!) Fuchsstute werden? Grand kommt nicht weiter. Am Ende des Buches teilt Grand mit, er habe alle Adjektive weggelassen. Der Humor Camus’.

Kein Nominalstil

Viele Hauptwörter. Nominalstil. Beamtendeutsch. Wissenschaftssprache.

Der Nominalstil schafft Distanz, klingt steif. Wörter mit -ung sind besonders schlimm. Reiners’ Regel: »Wenn Sie in Ihrem Text ein Hauptwort mit -ung finden, das eine Handlung bezeichnet, so prüfen Sie, ob Sie es nicht durch einen Satz ersetzen können!«

Verbalisiert man seine Sätze, klingen sie lebhafter und werden leichter verständlich.

Reiners zitiert in seiner Stilfibel niemand Geringeren als Cäsar:

»Ich kam, sah und siegte.«

Reiners Alternativangebot als Beispiel der »Hauptwörterei-Seuche«:

»Nach erfolgter Ankunft und Besichtigung der Verhältnisse war mir die Erringung des Sieges möglich.«

Aktiv schreiben

Es geht in die Richtung des Verbalisierens: Aktiv schreiben.

Menschen, die selbst aktiv sind und handeln, sind spannendere Persönlichkeiten als solche, die lediglich reagieren. So verhält es sich auch beim Schreiben: Verwenden Sie möglichst die Aktivform und vermeiden Sie das Passiv. Dies macht einen Text lebendiger und spannender.

Zum Beispiel: »Sie wurde von allen beobachtet.«

Besser: »Alle beobachteten sie.« oder »Alle Augen lagen auf ihr.«

Man darf auch aktiv aus der Perspektive von Dingen schreiben (siehe unten: Die Perspektive von Gegenständen einnehmen). Anne Reinecke macht es im Roman Leinsee vor:

»Heute hatte das Café seine grasgrünen Schirme aufgeklappt.«

Klingt doch besser als »Im Café waren die grasgrünen Schirme aufgeklappt.« Oder etwa nicht?

Keine Phrasen, Floskeln und Füllwörter

Warum darf ich nicht schreiben »Das knallgelbe Schild sticht mir ins Auge?« Anfangs tat ich mir schwer, diese Regel zu akzeptieren. Die Antwort: Phrasen und Floskeln sind abgedroschen und langweilig. Der Leser will überrascht und unterhalten werden.

Auf sprachlicher Ebene heißt dies: Ändern Sie Phrasen ab, Schöpfen Sie Wörter, setzen Sie Phrasen und Wörter neu zusammen. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Aber man kann das Fahrrad neu erfinden.

Oder: »Das knallgelbe Schild knallt mir ins Auge.«

Ein weiteres Beispiel aus einem Roman: »Ich trat durch das Hoftor nach draußen und sah zu der Wiese, auf der das Futter saftig und grün stand; schon von Weitem leuchtete es her.« (Reinhard Kaiser-Mühlecker: Der lange Gang über die Stationen). Futter anstatt Gras. Schön.

Wenn Sie sich inspirieren lassen wollen, ist die Seite Sternvogelreisen ein heißer Tipp. Dort geht es um schöne Wörter. Zu verschiedenen Themen kann man sich einen Wortschatz ausspucken lassen. Zum Beispiel bei Rose: 79 duftende Rosenwörter von Rosenangesicht, Rosenblick, Rosenblütenduft zu rosenfrisch. Beim Stöbern auf der Seite will man fast anfangen zu dichten.

Zu den lieben Füllwörtern: Jedes aber, auch, und, so, gar, ja, so, viel will geprüft werden. Eigentlich will jedes Wort in einem Text geprüft werden, ob es überflüssig ist. Bei Füllwörtern ist das Prüfen besonders wichtig. Die meisten (jedoch nicht alle) sind überflüssig. Schauen Sie sich Ihre Texte an, überlegen Sie bei jedem aber und auch, ob es nicht ohne das Wort besser klingt.

Synonyme en masse spucken die Online-Synonymwörterbücher von Woxikon und buchstaben.com aus, falls Sie das Wort einer Redensart austauschen möchten und auf der Suche nach einem ähnlichen Wort sind.

Als ich ein paar meiner Zeilen in Papyrus Autor sah, einer Schreibsoftware für Autoren, fragte mich das Programm bei jedem dritten Wort: »Ist dieses Wort nötig?« Mir wurde klar, dass es oft überflüssig ist (jedoch nicht immer). Die Stilprüfung des Programms wurde nach Überlegungen des Bestseller-Autors Andreas Eschbach entwickelt.

Kurze Sätze und keine Schachtelsätze

Wer kompliziert und in langen Sätzen schreibt, macht es dem Leser schwer. Wird es zu anstrengend, hört er auf zu lesen. Vermeiden Sie lange Sätze und Schachtelsätze mit mehreren Nebensätzen.

Wenn einzigartige und komplexe Satzkonstruktionen zu Ihrem jahrelang elaborierten Schreibstil gehören, können Sie sich damit sicher einen Namen machen. Dann sind Sie aber eine Ausnahme. Dem Anfänger sei geraten: Manchmal ist weniger Mehr. Versuchen Sie es lieber mit kurzen Sätzen. Warum nicht mit Einwortsätzen?

»Unglaublich. Das Fotoshooting. Der Marathon. Die Stadt. New York ist verrückt. Bunt. Riesig. Laut. Herzlich.«

Das heißt nicht, dass Ihr Buch aus Sätzen mit maximal zwei Wörtern bestehen sollte. Variieren Sie in der Satzlänge und fügen Sie ab und an kurze Sätze ein. Das lockert den Text auf. Da sind sich alle Experten einig. Weitere Beispiele für diesen sprachlichen Minimalismus:

»Dunkle Augen, geschwungene Lippen, viel Stirn und scharfe Brauen in schwarz.« Anne Reinecke: Leinsee

»Manchmal braucht es nicht viel. Bloß Anstand. Und Mitgefühl. Und Worte, die eindringlich leise sind. Einen Plan natürlich.« Klaus Brinkbäumer: Der Held, der auf Fakten hört

Vergleiche und Metaphern

Nach vielen Dingen, die man besser lassen sollte, nun etwas, das man in seine Texte einbauen sollte: Vergleiche. Ein äußerst beliebtes Stilmittel. Vergleiche verdeutlichen Sachverhalte und bringen den Leser zum Schmunzeln, wenn nicht zum Lachen.

»… ist der Himmel hellblau wie eine Babydecke.« Christina Baker Kline: Der Zug der Waisen

»Die Sonne sah aus wie ein roter Pfirsich in einer Schüssel Milch.« Wolfgang Herrndorf: Tschick

»… den riesigen Supermarkt, der wie ein Schuhkarton in der Landschaft stand.« Wolfgang Herrndorf: Tschick

»Er fühlte sich wie von einer Dampfwalze überfahren.« Andreas Eschbach: Eine Billion Dollar – obwohl: ist dieser zwischenzeitlich abgegriffene Vergleich nicht schon wieder eine Phrase?

Bisweilen suche ich beim Fahrradfahren oder Kochen nach einem Vergleich. Manchmal taucht der perfekte Vergleich einfach auf, ohne dass ich gesucht hätte. Die Suche nach Vergleichen und Metaphern ist wie kreuzworträtseln.

Der Unterschied: Die Metapher ist ein impliziter, der Vergleich ein expliziter Vergleich, so der Brockhaus-Ratgaber Kreatives Schreiben. Das Beispiel aus dem Buch:

»Ihre Haar ist ein Feld aus Weizenähren.« (Methapher)

»Ihr Haar glänzt golden wie ein Feld mit Weizenähren in der Abendsonne.« (Vergleich)

Die Perspektive von Gegenständen einnehmen

Dinge vermenschlichen. Ebenfalls ein beliebtes Stilmittel. Diana Hillebrand verteilt in ihrem Ratgeber Heute schon geschrieben? die Schreibübung: Biografie über ein Haus. Wem es schwerfällt, Stimmungen zu beschreiben, rät sie: »Geben Sie dem Haus menschliche Eigenschaften.«

Ein Beispiel aus Anne Reineckes Roman Leinsee:

»Den Möbeln waren sieben Jahre und ein toter Vater egal. Den Möbeln war die Raumforderung egal. Den Möbeln war egal, wer auf ihnen saß und in ihnen schlief.«

Fragen und Ausrufe

»Ich betrat das Bad und fragte mich, wo denn die Dusche, Toilette und das Waschbecken seien. Als ich mich einmal im Kreis drehte, stellte ich fest, dass es das alles gar nicht gibt. Das kam mir sehr komisch vor.«

oder

»Das Bad. Aber wo ist die Dusche? Die Toilette? Das Waschbecken? Ich betrete den Raum, drehe mich einmal im Kreis. Gibt es alles nicht!«

Was klingt besser? Variante eins oder zwei. Variante eins klingt wie ein Tagebucheintrag. Und ein Tagebuch schreibt man an sich selbst. Fragen und Ausrufe sorgen für Spannung, Abwechslung und Überraschung,

Der aufmerksame Leser

Notieren Sie sich Formulierungen anderer Autoren

Zeitgleich zu den Schreibratgebern las ich Romane. Immer lese ich Romane und Sachbücher parallel. Auf einen Schlag sah ich bei den Romanen viel genauer hin, nahm die Sprache viel bewusster wahr, saugte kreative Formulierungen und schöne Sprachbilder regelrecht auf. Was für ein neuer Lesegenuss!

»Das Schreiben hat mich zu einem aufmerksameren Leser gemacht«, sagte mir vor wenigen Monaten eine Autorin, die sich selbst als wenig ambitioniert bezeichnete. Jetzt weiß ich, was sie meinte.

Schreiben lernen macht zu einem aufmerksameren Leser! Allein deshalb lohnt es sich, dass man sich mit dem Schreibhandwerk befasst. Die Beschäftigung mit Sprache steigert das Lesevergnügen.

Seit diesem Aha-Erlebnis führe ich ein Word-Dokument mit dem Titel Formulierungen, in das ich Sätze aus Büchern notiere, die mir besonders gut gefallen.

Natürlich nicht um diese zu klauen und 1:1 zu übernehmen – die Sätze von anderen Autoren passen überhaupt nicht in meinen Text, wie ich gemerkt habe. Aber als Inspiration. Als Grundlage für eigene Gedanken. Dieses Dokument ist zu einem wichtigen Hilfsmittel im Schreibprozess geworden.

Das Notizbuch

Mein Notizbuch
Mein Notizbuch

Ergänzend habe ich mir ein Notizbuch gekauft. Ein richtiges Buch mit Seiten aus Papier, in das man mit einem Stift schreibt. Hat mehr Stil als das Word-Dokument.

Falls mir unterwegs ein sagenhafter Vergleich einfällt, falls ich in einem Lied oder Gedicht oder von einem Gesprächspartner einen Satz höre, den ich mir notieren will. Falls mir ein Gedanke kommt, den ich vielleicht für irgendein Projekt mal gebrauchen könnte. Oder einfach ein Gedanke, den ich für mich behalten will.

Schreibratgeber

Die konsultierten Schreibratgeber

Wie bereits erwähnt, habe ich mit mehreren Schreibratgebern gearbeitet. Nicht von vorne bis hinten gewälzt, sondern die Kapitel gelesen, die gerade relevant waren.

Alle Ratgeber haben mir geholfen. Jeder für sich und alle zusammen durch die Wiederholung der gängigsten Schreibregeln.

Diana Hillebrand: Heute schon geschrieben?

Diana Hillebrand: Heute schon geschrieben?

Diana Hillebrand ist Schreibtrainerin. Obwohl ich sie nie persönlich erlebt, sondern lediglich gelesen habe, sah ich in ihren Ratgebern Heute schon geschrieben? eine herzliche und motivierende Lehrerin vor mir.

Im ersten Band geht es um Ideen, Figuren, Perspektive, Handlungsort und Dialoge. Die Grundlagen. Ein interaktives Buch mir vielen Schreibübungen und Beispielen. Im zweiten Band geht es um Plot und Plan, Spannungsaufbau, Schluss und Überarbeitung, Verlage und Marketing.

Diana Hillebrand: Heute schon geschrieben?: Gesamtedition/Set: bestehend aus Band 1 und Band 2 - Ein Schreibratgeber mit vielen Schreibtipps (Heute schon geschrieben?: Mit Profitipps zum Bucherfolg, Band 1 und 2). Gebundene Ausgabe. 2015. Uschtrin Verlag. ISBN/EAN: 9783932522192  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Sol Stein: Ãœber das Schreiben

Sol Stein: Über das Schreiben. Hier zu sehen ist noch die bei Zweitausendeins erschienene Ausgabe. Mit neuem Cover ist das Buch mittlerweile beim Autorenhaus Verlag erhältlich.

Sol Steins Ratgeber ist in die Kapitel Grundlagen, Fiktionale Literatur, Nichtfiktionale Literatur, Literarische Werte und Redaktion unterteilt. Hier werden Grundlagen vermittelt. Dieses Buch hat mir vor allem durch die prägnanten Beispiele weitergeholfen.

Sol Stein; Waltraud Götting (Ãœbersetzung): Ãœber das Schreiben: Der Meisterlektor vieler erfolgreicher Schriftsteller unserer Zeit über Handwerk, Techniken und diue Kunst des Schreibens. Gebundene Ausgabe. 2015. Autorenhaus Verlag GmbH. ISBN/EAN: 9783866711266. 24,90 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Brockhaus: Kreatives Schreiben

Kreatives Schreiben vom Brockhaus Verlag

Kreativität, Genre, Lyrik, Nonfiction, Sprache, Stilmittel, Plot, Erzählen und Figuren lauten die Kapitelüberschriften. Der Ratgeber gibt einen guten Überblick über viele Themen, erklärt kurz und prägnant. An jedes Kapitel ist ein Schreibtraining mit Übungen angehängt. Das Buch ist nur noch gebraucht  erhältlich.

Brockhaus Kreatives Schreiben: Vom leeren Blatt zum fertigen Text. Taschenbuch. 2013. wissenmedia. ISBN/EAN: 9783577003032

Ludwig Reiners: Stilfibel (siehe auch Nachtrag unten)

Ludwig Reiners: Stilfibel

Nun noch ein sehr besonderes Werk. Die Stilfibel. Erstmals in den 1950er-Jahren veröffentlicht. Der Autor Ludwig Reiners wurde 1896 geboren und starb 1957.

Die grundlegende Grammatik übersprang ich und stieg in die zweite Lektion ein. Mein erster Eindruck: Die Stilfibel stammt aus einer anderen Zeit. Der Autor mahnt: »Vermeiden Sie derselbe. Lassen Sie es ganz weg oder ersetzen Sie es durch er, sie, es.«

Ein Beispiel, das genannt wird: »Der Ballon befand sich über dem Garten des Herrn Kommerzienrats Mayer, als derselbe platze.« »Derselbe« sagt man im Jahr 2020 nicht mehr. In diesem Punkt hat Reiners sich durchgesetzt.

Die Stilfibel ist der einzige der genannten Schreibratgeber, die ich von der 2. Lektion an bis zum Schluss las und durcharbeitete. Mit viel Witz und auf abwechslungsreiche Art vermittelt Reiners – bis auf »derselbe« – auch noch heutzutage wichtige Schreibgrundlagen.

Je zwanzig Stilregeln und Stilratschläge bilden den Kern des Buches. Vertieft wird der Stoff durch fiktive Schüler-Lehrer-Steitgespräche und Übungen. Lesen Sie die Stilfibel! Lernen Sie und lassen Sie sich unterhalten. Leider ist das Buch nur noch antiquarisch erhältlich.

Ludwig Reiners: Stilfibel - Der sichere Weg zum guten Deutsch. Taschenbuch. 1963. dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783423300056

Nachtrag: Ludwig Reiners’ Stilfibel gilt als Plagiat der Stilfibel von Eduard Engel

Wie uns in den Kommentaren mitgeteilt wurde, wird Ludwig Reiners’ Stilfibel als Plagiat der Stilfibel von Eduard Engel (1851–1938) angesehen. Laut Wikipedia erschien Engels Stilfibel erstmals 1911. Engels galt als konservativ und deutschnational, war jedoch jüdischen Glaubens, was ihm später zum Verhängnis wurde. Er durfte nicht mehr publizieren, erhielt keine Pension und wurde von den Nazis diffamiert. Er starb verarmt 1938.
Ludwig Reiners (1896–1957) veröffentlichte seine Stilfibel erstmals 1944 beim C. H. Beck Verlag und bediente sich dabei offenbar großzügig bei den Ideen und Formulierungen Engels. Reiners Werk war bis in die 2000er-Jahre bei dtv erhältlich, während Engels Stilfibel nicht mehr verlegt wurde. Erst 2016 erschien das Werk wieder in der Anderen Bibliothek, 2017 veröffentlichte der Persephone Verlag die Ausgabe von 1922 der Engelschen Stilfibel in einer aktualisierten Fassung, die nun wieder auch als Taschenbuchausgabe erhältlich ist. (Red.)

Engel Eduard: Deutsche Stilkunst: Neuauflage des Klassikers. Taschenbuch. 2017. Persephone Verlag. ISBN/EAN: 9783952472903. 19,99 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Sprache

Schreiben ist Handwerk, gleichzeitig ein kreativer Prozess. Es gibt unendliche viele Möglichkeiten, die Buchstaben, Silben, Wortteile und Wörter unserer Sprache aneinanderzureihen.

Die Möglichkeiten können durch die Unerschöpflichkeit erschöpfen. Die Suche nach einem passenden Wort und einer treffenden Formulierung, einem lustigen Vergleich kann zermürbend sein. Harte Arbeit sowieso.

Uns steht ein Sprachmeer der Möglichkeiten zur Verfügung! Es macht Spaß, in diesem Meer zu schwimmen. Tummeln Sie sich darin!

Und wenn es Ihnen zu viel wird, dann machen Sie eine Pause. Rechnen Sie und lassen Sie sich von der klaren Sprache der Mathematik verführen. Oder gehen Sie spazieren.

Versuchen Sie es mit dem Schreiben! Und lassen Sie sich helfen. Von Experten. Von anderen Autoren. Oder von Ratgebern.

Wie haben Sie Ihren Schreibstil gefunden oder verbessert? Welche Tipps können Sie geben und welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Teilen Sie es mir unten in den Kommentaren zu diesem Beitrag mit.

Juliane Hartmann

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16 Kommentare

  1. Hinweis: Zu Ludwig Reiners »Stilfibel« liegt die Dissertation von Heidi Reuschel »Tradition oder Plagiat? Die ‚Stilkunst‘ von Ludwig Reiners und die ‚Stilkunst‘ von Eduard Engel im Vergleich« (University of Bamberg Press Bamberg 2014) vor.
    Fazit (Seite 24): »Reiners hat Engels Stilkunst als Vorlage verwendet und sich ohne Nachweise aus ihr bedient in einem weit größeren Maße, als dies mit dem Konzept „Tradition eines Genre“ zu erklären wäre. Es handelt sich also doch eher um ein Plagiat als um die Fortführung einer Tradition.«

    • Vielen Dank für diesen Hinweis. Siehe auch Eintrag zu Eduard Engel in der Wikipedia. Die Stilfibel von Ludwig Reiners erschien bis zuletzt bei dtv (ursprünglich C. H. Beck) und wurde offenbar 2007 nochmals aufgelegt. Die Stilfibel von Eduard Engel war nicht mehr erhältlich, erlebte 2016 eine zweibändige Neuauflage in der Anderen Bibliothek (Aufbau Verlag) für relativ teure 78 Euro. 2017 erschien das Werk dann in einer »verbesserten Neuauflage« im Persephone Verlag, als Taschenbuch für 19,99 Euro erhältlich. Wir haben diese Ausgabe bestellt und sehen uns beide Bücher einmal an. Den Plagiatshinweis ergänzen wir im Beitrag. Danke.

    • Nicht nur das Stilmittel der Vermenschlichung sollte nur dort eingesetzt werden, wo es passt. »Obwohl die Badezimmerwaage sie am Morgen verspottet hatte, konnte sie am Nachmittag dem verführerischen Lächeln der Sahnetorte nicht widerstehen.«

      • Das mit der Waage erlebe ich ständig – das geht für mein Empfinden auch durch, das mit der Sahnetorte auch. Ob allerdings Cafés Schirme aufklappen … na ja, sagen wir mal: G’schmacksach hat seller Aff gsagt, als-er Schmiersoif gfresse hat 🙂

  2. “Eigentlich will jedes Wort in einem Text geprüft werden, ob es überflüssig ist.” Der Klassiker unter den Füllwörtern ist “eigentlich”. Lustig, das gerade im Kontext mit der Aufforderung, Füllwörter zu vermeiden, einzusetzen.
    OK, ich höre jetzt auf zu lesen, sonst poste ich hier noch mehr.

  3. Na ja, wenn man selbst schreibt, wird man hell-sichtig, was durchaus nicht immer von Vorteil ist, jedoch den Lesegenuss zu steigern vermag. Lustiger als Füllwörter sind vor allem Stilblüten, die einem hin und wieder unterlaufen. OK, sehen wir das alles nicht verbissen, sondern mit einem gewissen Sinn für Humor, denn den braucht es eigentlich fast immer 😉

  4. Bis auf den Tipp mit den Vergleichen finde ich diesen Artikel für Schreibanfänger (und nicht nur für die) äußerst informativ und sehr verständlich/nachvollziehbar geschrieben.

    Vergleiche kann ich persönlich überhaupt nicht leiden. Meiner Meinung nach sind sie überflüssig. Ein guter Autor braucht keine Vergleiche, denn er schreibt so, dass der Leser sieht, fühlt, riecht etc., was gerade beschrieben wird. Und wer wird schon von einer Dampfwalze überfahren …

    Liebe Frau Hartmann, Sie fragen in Ihrem Artikel auch nach Tipps. Hier meine (die auch mit den Ihren ziemlich übereinstimmen): Sorgfältig schreiben, das heißt u. a. nach dem besten Wort suchen. Ich nutze dafür das Internet-Synonym-Lexikon “woxikon”. Ist ganz hervorragend!

    Das fertige Werk selbstkritisch lesen.

    Und dann kommt etwas, was viele Autoren absolut nicht leiden können: das fertige Werk ÜBERARBEITEN. Ich benötige für das Überarbeiten, das mir übrigens enormen Spaß bereitet (ähnlich wie bei der Kür nach der Pflicht) mindestens dreimal so lange wie für das Schreiben als solches.

    Dann noch ein Tipp, den ich in dem Schreibratgeber von James N. Frey “Wie man einen verdammt guten Roman schreibt” gefunden habe. Hier sinngemäß zitiert: Wenn Sie über ein Wort, einen Satz, einen Absatz oder gar ein ganzes Kapitel stolpern und überlegen, ob sie es/ihn streichen sollen – streichen Sie. An diesen Tipp halte ich mich strikt. Auch wenn es mir manchmal noch so schwer fällt. Ich streiche trotzdem, weil ich weiß, dass ich nicht ohne Grund darüber gestolpert bin.

    Herzlichen Dank für Ihren Artikel und alles Gute für Sie!
    Viele Grüße vom Ammersee – Renate Blaes

  5. ich empfinde alle diesen Ratschläge und Korrekturen, als mir ein Körperglied abgeschnitten würde, oder die Hand abgesägt. Ich solle dies und jenes streichen. Was bleibt dann- ein leeres Blatt. Ich will aber meine *Körperglieder* behalten. Daher folge ich diesen allen Ratschlägen nicht.

  6. Ich bin zwar erst ein Anfänger im Handwerk Schreiben, dennoch stellt sich mir hier die Frage, wie Autoren mit extrem langen und komplizierten Sätzen, sehr vielen Füllwörtern, Adjektiven, Floskeln etc. weltweiten Ruhm erlangen konnten. z.B. “Der Herr der Ringe” von JRR Tolkien, um nur einen von vielen zu nennen. Habt ihr hierauf eine Antwort?

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