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Gefunden im Rolling Stone: Plappern on demand

Ein Zug durch die Gemeinde der Stummler und Stammler

Zwischen Bastian Sick und Guidoknoppisierung, »Rund-Hairum«-Friseuren und »Lecker Kuttelsuppe«, »Gaspreis-Rebellen« und dem »Migrationshintergrund« erfasst Rolling-Stone-Autor MICHAEL RUDOLF in seinem kommenden Buch »Atmo. Bingo. Credo« die Schrecken der neuen deutschen Standort-Lingo. Einige erlebnisorientierte Beispiele in Dummgeschwätz für die Lexem-affine Zielgruppe samt Mitnahme-Effekten.

Michael Rudolf: Atmo. Bingo. Credo.

Michael Rudolf, Autor beim Rolling Stone Deutschland, hat in der Februarausgabe in der Rubrik »Nationaltheater« einen höchst lesenswerten Beitrag geschrieben: Er setzt sich nicht mit den Tücken der Grammatik auseinander (dafür haben wir Bastian Sick), sondern mit der politischen Dimension der Sprache, dem Be- und Verhindern von eigenem Denken. Dummgeschwätz und Phrasen überall. Dass Rudolf damit gleichzeitig eine gute Werbung macht für sein demnächst erscheinendes Buch »Atmo. Bingo. Credo«, ist nur recht: So haben wir jedenfalls davon erfahren, und wir warten darauf!

Michael Rudolf: Atmo. Bingo. Credo. Das ABC der Kultdeutschen. Broschiert. Edition Tiamat. ISBN 978-3893201112. EUR 13,00 (Bestellen bei Amazon.de)

Wir danken dem Rolling Stone Deutschland für die Genehmigung, den Artikel auch im literaturcafe.de veröffentlichen zu dürfen. Alle Rechte bleiben weiterhin beim Autor bzw. beim Rolling Stone Deutschland.

Sprache muss und wird sich immer entwickeln, sprunghaft zuweilen, und nicht so linear, wie es Tugendwächter und Lehrer gern hörten. Selbst Floskeln und Phrasen haben feste Funktionen. Sie erleichtern die Kommunikation, wo Unverbindlichkeit erwünscht ist. Gefährlich wird es, wenn sich die Menschen nur noch in Phrasen verständigen. Was wir seit einiger Zeit als Trend- und Stummelvokabeln um die Ohren gehauen bekommen, erfüllt den Tatbestand der schweren Körperverletzung. Von den Langzeitfolgen für den Geist wollen wir gar nicht reden. Der mit amorphen Lexemen bewaffnete Arm der Sprachverschwammung agiert derart aggressiv, dass das eigentliche Sprechen zurücktritt hinter die ständige (stets unverlangte) Versicherung, der Sprecher beziehungsweise was er tue sei so was von wichtig. Dabei illustriert die inflationäre Häufung des Imponier- und Einschüchterungsgestammels nur die Panik der Menschen vor der eigenen Bedeutungslosigkeit, davor, nicht mehr mithalten zu können im alltäglichen Hamsterrad der nachindustriellen Entwürdigung.
     Früher konnten wir zu Recht bemängeln, dass es für viele Menschen vermessen sei, Ich zu sagen. Die neue Qualität ist, dass sie nicht einmal mehr eindeutig Ja oder Nein sagen können. Heute sprudelt genau, korrekt, exakt oder nee, nich wirklich aus ihnen hervor. Ob es Anglizismen sind, die die Verunsicherung der fortgeschrittenen Generationen und demzufolge ihre Anbiederung an die »Jugend« in einer sauber infantilisierten Gesellschaft dokumentieren, der lobbyistische Sekten-Slang rhetorisch schwer vermittelbarer Manager, die trotz größtmöglicher Klappe (Business Brunch und Afterwork Events) jedes noch so idiotensichere Unternehmen zwanghaft in den Sand setzen, das ellipsenepileptische Geschrei von »Bild«, welches sich bis in die letzte Regionalzeitungsredaktion geschlichen hat, das apokalyptische Eitern der Imagewerbung, die man uns mit konstant bleibender Boshaftigkeit als Kunst verkaufen will, die semantische Hohlraumummantelung aus der Hölle des sogenannten Kreativbereichs, die erbarmungslose Rundumdieuhrgebärdensprache von Privatradio und TV, die witzzwangsarbeiterische Verkalauerung jedes zweiten Handwerksbetriebes (»Backwahn«, »Fahrradies«) und schwul-lesbischer Zusammenhänge, der Tellermienendialekt abgehobener Gastronomie all dies und noch viel mehr bildet einen kontaminierten Strudel, der die letzten Bastionen des Verstandes erodieren lässt.
     Menschen, die sich im Umgang mit anderen einen Dreck um Gefühle scheren, kommt auf einmal alles gefühlt vor: die Temperaturen, die Zeit, der Raum, die Konjunktur, das Glück. Jeder Taubenzüchterverein hat eine eigene Philosophie, jeder ehrenamtliche Bürgermeister eine Vision. je mehr man sich im Verwertungszusammenhang erniedrigen muss, weil angeblich alles Wirtschaft ist, desto schriller das eigene Geblök im Unterwerfungsjargon des Allesmitmachenwollens. Wo jedes Feuerwehrfest mit Wettschlauchausrollen, Extrembügeln und Bierfassweitwerfen zum Event erigiert und jedes rockmusikalische Nanomilieu ein eigenes Verbandsorgan vollpinselt, von den tollen Weblogs ganz zu schweigen, formt sich ein ganzes Volk aus Teilzeitjournalisten, die wenig zu sagen haben und es noch weniger ausdrücken können. Nichts zeigt die Leere in den Gemütern besser als das ungeschickt-dreiste Aufblasen des Nichtigen, Überflüssigen oder Ewiggleichen. Nur die (Benutzer)Oberfläche zählt beim niederbayerischen Modelleisenbahner wie bei der Gender-Mainstreaming-Beauftragten mit Doppel , namen aus Duisburg-Beeck. Selbst die evangelische Kirche veröffentlicht Impulspapiere, die ebenso gut als Einladung zum Wellness-Seminar mit Sexgarantie für sozial verödete Betriebswirtschaftler funktionieren könnten. Wer jemals auf Augenhöhe mit der Fließverkehrsexpertenausgrenzungsrunde gekniet oder die Lektüre einer Seite von Mehdorns Enzyklika mobil überlebt hat, weiß, warum.
     Früher sagte man: »Aufgeblasenheit, Wichtigmache, diese Richtung.« Lautet jetzt? Korrekt: »Performance, Installation, diese Schiene.« Dass es nur so knirscht. Nicht verwechseln mit Knirschschienen. Voll geil klingt die Phantomsprache, die selbst bleiben wird, wenn Mehdorn und seine Satrapen die Deutsche Bahn längst zu einem sicher modernen Dienstleistungsunternehmen ruiniert haben werden, welches aber ganz gewiss keine Passagiere mehr befördert, nachdem es sie jahrelang verschaukelt und den Rest, sowieso, von der Schiene auf die Straße verlagert haben wird.

KEIN THEMA, DAS NICHT ANGEDACHT WÜRDE. Am Ende wird dann abgedacht. Vordenker ist sicher das Gegenteil von Nachdenker. Beispiel: Sabine Christiansen: Die nimmt Nachdenken wörtlich. Was schlimm ist: nicht nur sie. Davon geht eine Signalwirkung aus. Diskussionen muss man heute anschieben, sonst wird das nix. Scheint eine insgesamt und unter dem Strich betrachtet positivere Belegung als lostreten zu haben. Oder passte da jetzt Positionierung besser? Das hängt vom Auftritt der Marke ab. Dass unseren Wirtschaftskapitänen von der Bundeskanzlerin persönlich die Schnürsenkel gebunden, ein nahrhaftes Frühstücksbrot zum »Knoppers« geschmiert und dann hundertprozentige Investitionszulagen und ebenso hohe beziehungsweise verdoppelte Verlustausgleichsgarantien in die Aktentasche auf den Weg zum nächsten Geschäft (Deal, Projekt) gepackt werden müssen, welches sie wieder gnadenlos in die Grütze fahren, ist weltweit bekannt. Und wenn die Konkurrenz wieder lacht, nennen sie es eben Anschubfinanzierung.

     Und wie sind sie heute überhaupt wieder aufgestellt? Glaubwürdig auf jeden Fall. Ohne Frage ein Muss für Parteien, Unternehmen und überhaupt alle, selbst Jesus. »Wirtschaftsminister Michael Glos kann für seine Klientel nur noch etwas bewirken, wenn er und sein Team in Brüssel gut aufgestellt sind.« Raten ihm die Bauchredner seiner Geldgeber in »Capital«. Eine innovative Bedeutungserweiterung liefert uns Moritz von Uslar über Leute, »die seit Jahren keine Frau aufgestellt« bekommen. Thomas Kausch behauptet, es nach 18 Monaten mit der »Infoschiene« bei »ungefähr auf Augenhöhe der schon etwas hängenden Schultern der Konkurrenz« geschafft zu haben. Meint: auf Hühneraugenhöhe mit den Quoten. So sehen Kernkompetenzen und Alleinstellungsmerkmale unserer Ausnahme-Künstler, -Töpfer, -Djs, -Moderatoren aus. So und nicht anders ticken sie. Die »Badischen Neuesten Nachrichten« schreiben von der »Ausnahmeerscheinung Heine«. Und die Ärzte? »Sie sind ein Ausnahme-Phänomen«, kräht der »Musikexpress«. Nach Robert Misik gibt es sogar »Ausnahme-Momente«. Gemeint ist ein gemeinsamer Auftritt von Peter Doherty und Adam Green. Sieh an.
     »Ich seh’ das einfach als Chance«, sagen viele zum letzten Drecksjob. Beispiel: im MediaMarkt die Aushilfsbunnies für den »Playboy«. Das mache Sinn, meint ihr Coach. »Wer also nach unverbrauchten Style-Alternativen sucht, sollte die Chance nutzen«, empfiehlt ebenso unverbraucht der »Kreuzer« 4/2006. Besserverdiener haben keineswegs was Besseres verdient, im Gegenteil. Dafür bekommen die Dinge immer mehr Charakter. Defensiv-, Diffamierungs-, Ereignis-, Event-, Fantasy-/ Scifi-, Kleinstadt-/ Großstadt-, Kult-, Modell- Nostalgie-, Offensiv-, Peanuts-, Placebo-, Problem-, Quiz-, Säure-/ Base-, Symbol-, Vorbild-, Zwangs-. Da dürfte doch für jedes Charakterschwein was dabei sein. Gilt übrigens genauso für Potenzial.
     Dialogannahme
suggeriert, mit Autohändlern könne man reden. Dienstleister ist ein Synonym für Knecht, Willi, Sam (»Hab ich ein S auf dem Rücken?!«), Schütze Arsch und Bierholer; neuerdings einer gefährlichen Umdeutung unterworfen. Oder glauben Sie im Ernst, der drogengepeitschte Fahrradkurier, das notorisch überfragte Zugbegleitpersonal, die koksnasige Webdesignerin und der hocheffiziente Postzusteller gingen einer dem Gemeinwesen zuträglichen Tätigkeit nach? Diese Gemengelage ist nachhaltig. Trotzdem behauptet die T-Com steif und fest: »Deutschland startet durch.« Einfacher als mit dem Wort Endverbraucher kann man nicht ausdrücken, dass der Mensch am Ende nur ein Verbraucher (ähnlich schön: Anwender, Nutzer), für den Kapitalismus jedoch längst kein Ende in Sicht ist. Wer am Ende der wirklich Verbrauchte ist? Logisch: Sie. Wir. Wir alle. Da kochen die Emotionen gerne hoch. Andere lassen sich damit aufladen. Wieder andere werden geweckt. Gut zu wissen.

WIE WAR NUR DER LAUF DER WELT am Laufen zu halten gewesen, als wir noch nicht wussten, was fokussieren heißt? Edmund Stoiber liebt ja diese ergebnisoffenen Gespräche, hören wir aus seiner ergebnisgeschlossenen Anstalt. Also werden Ergebnisse, sogar Zwischenergebnisse (vor der Kaffeepause) immer vertraglich festgeschrieben. Daten, Zinsen, auch von Forderungen ist in diesem Zusammenhang schnell die Rede. »Union will Aufbau Ost verbindlich festschreiben«, (N24) und der »Hartmannbund will Weiterbildung festschreiben« (»Ärzte Zeitung«). Dann erst könne man sie fortschreiben. Es muss ja auch nachvollziehbar sein. Schwerpunkte und Schwachpunkte müssen gesetzt werden und dann auf den Prüfstand, damit sich neue Sichtweisen entwickeln. Nur zu. Auch von Eigenverantwortung können sie nie genug kriegen, an der Sollbruchstelle von … äh, na … vergessen, hm. Eigenverantwortung hieß früher Selbständigkeit. Sehr schön auch: »eigenmotiviertes Arbeiten«. Das Attribut neoliberal hingegen hat es nur zum Gedankenpausenclown für jedes Gewerkschaftstreffen gebracht. Darauf ist Fairlass. Kein Thema.
     Besonders hochwertige Produkte werden zunehmend beliebter. »Hochwertiges Eiweiß« in jeder Tiersendung, »hochwertiges Fleisch« bei »VivaVital« (plus) etwa oder auch »hochwertige Kunst« (NDR). Das ist ihr Credo. Doch Vorsicht, wenn es grenzwertig wird! Da ist scheinbar jegliche Akzeptanz gefährdet eine High-End-Schieflage droht! Autohändler haben geniale Preise; Bundeswehrkabarett ist auch ziemlich genial. Von daher wird alles automatisch spannend. Spannende Preise gibt es in jeder Ramschbude, »Spanien ist spannend« (»Gault Millau«), der Weinjahrgang 2007 wird auch total spannend. Weitere Meldungen? »Zähne können so spannend sein. Wie Kinder spielerisch an das Abenteuer Zähne herangeführt werden"« weiß »fit! das DAK Magazin« 3/2006.
     Die Guidoknoppisierung der öffentlichen Speisebereitung nimmt bisweilen beängstigende Ausmaße an. Es irrt, wer annimmt, hier würde bevölkerungs-freundliche Aufklärung betrieben und der vom Sein gebeutelte Mensch mit kulinarischem Rüstzeug versorgt, das ihn gesunden lässt, ihn stärkt oder wenigstens unverwundbar macht. Von »Lafer’s Kulinarium« bis »Schmeckt nicht, gibt’s nicht« verbindet der hemmungslose Gebrauch des Wortes lecker die medialen Lebensmittelvergiftungen mit ihren Zuschauern. Wir beachten bitte seine einwandfrei geschlechtsneutrale Anwendung: Nicht »leckere Kuttelsuppe« heißt das überall, sondern »lecker Kuttelsuppe«. Was nicht nur auf prinzipielle Nahrungs-, sondern auch mehlschwitzenschwere Menschenfeindlichkeit hinweist. Lecker ist das ubiquitäre Mehrzweckwahnwort einer Spezies, die angeblich keine Zeit mehr fürs eigene Brutzeln findet und mit einem Restbissen schlechten Gewissens wenigstens bei den televisionären Stahlpfannengewittern anderer zuschauen möchte. Nach der Sendung holt sie ihr lecker Rührei to go aus der Mikrowelle. Oder taut ein lecker industriell vorgeschmiertes Original Butterbrot auf. Bliebe es nur dabei. Offenbar gibt es kein Entrinnen. Wie vor Guido Knopp.

JE GRÖBER UND ABGEDREHTER der Dünkelfraß, desto gewaltbereiter der Werbeaufwand, dessen Essentials den Leuten schmackhaft zu machen. Ganz hinterlistig haben sich die Fidel Gastros des Genießerwahns in die Medien eingeschlichen. Noch immer heißt es: Keinen Schimmer von Syntax, Lexik, Diktion und der Welt? Kommt zur Zeitung! Sogar beim Bierho­len für den Chefredakteur verlaufen? Lasst die Löffelverbieger eben Gastrokritiken schreiben! »Genuss pur!« lautet der neue Imperativ der an die Mächte der Finsternis Verlorenen, die Biolek für ein naturbelassenes Lebensmittel halten, Wickert für einen Franzosen, Dietrich Grönemeyer für einen Arzt oder Sarah Kuttner für eine Frau.
     Mehdorns Modelleisenbahner nennen es »Genießer reisen« und läuten »eine neue Ära des Kaffeegenusses« bei ihrer Bordgastronomie ein und locken damit ahnungslose Reisende in einen polytoxischen Hinterhalt. »Genießen Sie ein leckeres Essen und helfen Sie!« lautet ein weiterer, wie üblich, knatziger Appellativ der Deutschen Bahn im Schwang ihrer »Genießen und Gutes tun«-Propaganda, die sie sich hat von Alfred Biolek aufschwatzen lassen. Deutschen muss halt alles befohlen werden. Fehlt nur noch das passende Wohlfühlambiente. Kaffeefahrtenwerbung ist hohe und kluge Poesie dagegen. Wo bleiben die kühnen und tapferen Alliierten, die uns helfen der fluchbeladenen Achse Putenwurst-Latte-Macchiato-Sushidas Plastikbesteck endgültig um den Hals zu flechten?
     Kaum ein Schrebergarten-Gulag oder Baumarkt, kaum eine Hotellobby. Arztpraxis, Gaststätte oder Einkaufsarcadenklitsche. wo nicht der mikrowellige Mix aus »Hits der Sechziger, Siebziger und Achtziger und dem Besten von heute« durch die Boxen quillt. Bei den Friseuren der Preislage No-go Area (»Rund-Hairum«) übertönt er das Geschrei der mit Marianne-Rosenberg-Frisuren gefolterten Opfer. Lätta-Bruncher ornamentieren damit ihre morgendlichen Bulimieattacken. Brummifahrer mit den beliebten »Steffen« – und »Jens«-Schildern hinter der Frontscheibe suchen bei diesem obszönen Soziolekt aus Gebrauchtwagenhändlerlexik, Zuhälterwitzchen und humanoiden Klingeltönen semantische und phonetische Zuflucht vor dem eigenen Motoreninferno. Was Privatradios gute Laune und Fun nennen, bricht aus affektlabilen Frühstücksdirektoren hervor, die höchstens den IQ eines über Generationen mit radioaktiv verseuchten Regenwürmern gekreuzten FDP-Nazis unter Verwendung von angeknabberten RTL2-Stammzellen nutzen. In deren »Hirnen« wurden Begriffe wie Event, Highlight, Location oder Kids eigens ersonnen, um den unterhaltungssanitären Bereich vollends von Vernunft geleiteten Prozessen abzukoppeln. Die Sendelizenz als Lizenz zum Nervtöten. Passend hierzu nennt Wolfgang Niedecken seine Combo ein »Rock’nRoll-Kompetenzteam«.
     Fehlen darf im Jargon der vom generösen Verschleudern von Steuergeldern oder Rundfunkgebühren Gelangweilten niemals das Projekt. Für gewöhnlich ist schon der Ansatz ein Muss. Sowas lässt sich nicht auseinanderdividieren. »Projekte ersetz[t]en bürgerliche Karrierevorstellungen« (»taz«) und haben unheimlich viel zu tun mit der Aufhebung des »Widerspruch[s] zwischen Arbeit und Leben« (»taz«) einerseits und der Teilnahme »am technisch-künstlerischen und medien- und kulturpolitischen Diskurs« (Herbert Kapfer, Bayerischer Rundfunk) andererseits. Klar muss lediglich sein, wer die Definitionsmacht hat und wer die Deutungshoheit. Das sind feste Größen. die Rahmenbedingungen wie Eckdaten für den Distinktionsgewinn aufzeigen. Im Zweifelsfall müssen wir das zeitnah hinterfragen, auch wenn irgend so ein Arschloch die Basics immer wieder, ich sag’ mal, neu definiert.

KREATIVITÄT IST RTL2-DEUTSCH für »zwei linke Hände und zusammengenähte Beine«. Sparkassenvollhänger und Performer von Zwieback-Rindswurst-Video-Installationen sind kreativ. Es gibt Restaurants »mit einer kreativen spanischen Weinkarte« (»Gault Millau«), kreativ sind etwas andere Kneipen oder Kult!-Friseure, auch LiteraTour-Veranstalter. Beamte sehen in ihrer Schreibtischlandschaft auch gern ein kreatives Chaos. Die andere Option heißt Vernetzung. Irgendwas kann ja jeder. Kreative Arbeit macht frei, ja, nee, is klar. Doch nicht jedes Volk hat den entsprechenden Raum dafür. Woher also unsere Freiräume nehmen? Auch den Standort Auschwitz sollten wir bei Gelegenheit mal briefen. Aber da muss das Umfeld stimmen, Herrschaften. Sonst »hinkt der Standort bei den besonders wachstumsintensiven digitalen Inhalte-Industrien deutlich hinterher«, wie selbst der »Spiegel« erkannt hat.
     Wichtig zudem die Standortfaktoren. Hier werden gern harte und weiche unterschieden, wie bei den Bleistiften das mal als Eselsbrücke für uns Nichtfachleute. Oder nehmen wir die Tandemlösung: Sie wird nach einem Tauziehen erreicht. Mitnahmeeffekte entstehen unweigerlich über den Verhandlungspoker. Aber nach der unvermeidlichen Zerreißprobe werden die Weichen gestellt. Wichtig ist, ob’s tragfähig ist, notfalls käme die altbewährte Nachbesserung in Anwendung. Achtung! Synergieeffekte berücksichtigen! Und für Transparenz sorgen! Sonst wird das keine Win-Win-Situation. Anschließend das Teil angemessen rüberbringen oder kommunizieren. Fertig ist die Laube.
     Stichwort Laube: Das ist die definitive Erlebnisoase, eine Location mit Romantik pur und extrem hohem Wohlfühlfaktor. Planet Chill. Beeilung, Folks, ihr habt nur ein kleines Zeitfenster, denn unsere Uhren zeigen Zeit pur. Pur pur hingegen ist keine Neue Rechtschreibung für eine bekannte Farbe, sondern es könnte sich um eine konzertante Darbietung der schwäbischen Abenteuerlanderlebniscombo handeln. Am besten ohne Text und ohne Musik. Am allerbesten ohne die Band. Also nur pur.

SONST GERN SO: »Der Opel Tigra Twin Top ist nicht nur ein echter Hingucker, sondern überzeugt neben dem Design auch durch ein stimmiges Konzept. Er besitzt neben dem passenden Mittelmaß für Stadtverkehr und Urlaubstrip auch den gewissen Hinguckfaktor, denn er verzaubert durch ein irgendwie freches und frisches Auftreten.« (Katharina Cramer im »Streicher« 7/2005) Vollinhaltlich wie formal große Konzeptkunst. Vorbildlich. Befremdlich eher dies: »Darum sollten Sie mit Konzept küssen. Starten Sie langsam, nutzen Sie die Lippen zum Saugen, die Zähne zum Knabbern, die Zunge zum Suchen. Versuchen Sie ständig Neues, sabbern Sie nicht. Das war’s schon!« (Sandra Maravolo: »Was Frauen wirklich antörnt«)
     Der oder das Event gilt als Substantivierung von eventuell. Da finden sich bereits im Vorfeld massenhaft Leute ein, denn eventuell passiert ja doch mal was. Wichtig auch »Das Eventmovie« (VOX). Und das »After-Work-Event« (»Woman«). Noch weiter bringt uns das Event-Zapping, eventmäßig jetzt. Oder die Folklore: »Event" Event, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht so’n Blödmann vor der Tür.« Schließlich: »Kunstgerechte Firmenevents zu außerordentlichen Anlässen können die Belegschaftsseele stärken … Seit mehr als 150 Jahren zählen zu den wichtigsten Elementen: ein spektakulärer Veranstaltungsort, Symbole, Musik, mitreißende Keynote-Speaker und nicht zuletzt genügend zu essen und zu trinken.« Danke, uns würden die letzten beiden Sachen genügen. Oder ein Kultiger/s! Event im Autohaus Soundso. Beim Kult!Event ist alles im grünen Bereich. Bei der jungen Welt ist alles im roten Bereich, bei der »Jungen Freiheit« alles im braunen. Eine atmosphärisch nicht ganz dichte Zeitschrift namens »Literaturen« schätzt Herbert Feuerstein als »Kult-Moderator« ein. Nicht zu übersehen: »die Kultfarbe Pink« (»Vogue«). »Der Kultstatus, den Pornografie und Prostitution heute bei Künstlerinnen genießen" ist neu«, konstatiert gewohnt trendaffin »Cosmopolitan«.
     »Welche Instrumente aus Foucaults Werkzeugkiste können für eine fortschrittliche Politik herangezogen werden[,] und wo liegen die Grenzen der Konzeption, die anderen Orte, an denen alternative Lebensentwürfe erfahrbar werden, hier & heute zu verorten?« So was möchte uns auch einmal einfallen, einmal! Und wer ist der Schlawiner? Marvin Chlada und die Anzeige des Verlages alibri zu seinem Buch »Heterotopie und Erfahrung«. Waren das Zeiten, als man nichts ausleben musste, sondern einfach so in den Tag leben konnte. Jetzt müssen Entwürfe gemacht, evtl. angedacht und präsentiert werden. Am Ende bleibt alles ein Entwurf. Und erst hinterm Erwartungshorizont geht’s weiter. Doch Lebensqualität, die gibt es nur am/im Stück. Wir erwerben stets ein Stück Lebensqualität, niemals in Scheiben, es darf gerne etwas mehr sein, Frau … irgendwo im Spannungsfeld von Richtlinienkompetenz und Gelingsicherheit. Und dann leben Sie einfach los! Geben Sie Gas!

ODER LUST AUF LEUTE mit Migrationshintergrund? Die Rapperin Lady Bitch Ray war einst für das Funkhaus Europa »Moderatorin mit Migrationshintergrund und damit nah dran an der Zielgruppe«. Nur: Möchten Sie »Mensch mit Migrationshintergrund« geheißen werden? Ist ja eine ganz politisch korrekte Form der Xenophobie.
     Ergebnisneutral, geschmacksneutral, kostenneutral, wertneutral, eigentlich kann alles neutral sein. Ernst Dieter Roßmann (SPD) ordnet die Senkung der Gewinnsteuer für Unternehmen wie ein? »Die Reform muss aufkommensneutral sein.« Herrlich, man möchte glatt mal SPD wählen. Nur raus aus der Erlebnisneutralität. »Zielstrebig, praxisorientiert, jung und flexibel« wünsche sich die Wirtschaft junge Akademiker laut »mobil«. »Sie sind redegewandt und in der Lage" zielorientierte Gespräche zu führen«, verlangt die Medienagentur Peter Nickel. »Medienberater/innen« für »Das Örtliche« Telefonbuch arbeiten »service- und verkaufsorientiert«, erhalten dafür aber eine »leistungsorientierte Vergütung«. Hoppla! »Zukunftsorientiert«, das haben die Wissenschaftler von der Business School St. Gallen errechnet, wird als Bestandteil verschiedenster Beschwörungsformeln minütlich etwa 1274 Mal in unserer Wirtschaft angewendet. Gebracht hat es bisher nichts.

RADIKAL SIND NÄMLICH nicht mehr subversive Milieus, sondern Preisstürze im MediaMarkt und bei Möbel Biller und, sag’ ich mal, »radikale Lowtech Rotweine aus dem Burgenland« (»taz«). Rebellen finden sich derweil überall: Linux-User sind »Software-Rebellen" (Eigenauskunft), der WDR hat Bürgerinitiativen, z. B. in München, namens »Gaspreis-Rebellen« gesichtet, Sepp Holzer ist »Agrar-Rebell«, Prof. Dr. Klaus Maar ein »Rebell gegen den Krebs« (Buchhtitel), Christian Anders »Literarischer Rebell« (Eigenwerbung), Bruno der Bär hingegen laut »stern« ein »moderner Rebell«. Dazu passen die »Heiderebellen« (Show- und Unterhaltungsband aus der Lüneburger Heide), der »Preis-Rebell« der Wohnkaufhäuser Paderborn/Kassel. Und letztendlich der »Rebell (verstellbar)« von Benninger Bettsysteme. Hey, der ganz normale Wahnsinn. Denn Revolutionen werden nur noch in der Getränkebranche »Die Revolution der Frische« (Gaffel Kölsch) und in der Kosmetik »Dream Mousse. Eine Mousse Revolution!« (Maybelline/Jade) – -angezettelt.
     Damit sich nicht am Qualitätsmanagement zwischen Oben und Unten ändere, haben Landesregierungen und Bund unter anderem auch Zeitschriften erfinden lassen, welche die Aktivitäten eines eventbezogenen journalistischen Nachwuchses bündeln und ihn nebenher kräftig üben lassen, wie man den Würgereiz der alltäglichen Erniedrigung zur hippen Trendsportart hochjazzt. Mittlerweile decken fluter, spiesser, yaez, schekker u. a. so ziemlich das ganze Bundesgebiet inklusive Internet ab. In diesen halbamtlichen Regierungsfanzines lernt die Community allmonatlich, Sozialdarwinismus in schicke neue Rechtschreibung zu übersetzen.
     Die »Kultdeutschen« (Holger Sudau) reden eben, wie ihnen der Schnabel verwachsen ist. Gegen das phrasende Telepromptergequake und die logoästhetischen Willkürakte der Plapper-on-demand-Gesellschaft hilft auch kein Dativ, der dem Genitiv sein Tod ist. Bastian Sick, Deutschlands Deutschlehrer Nr. 1, predigt nur für »Kulturdeutsche«, die ohnehin wissen, was sich sprachlich gehört. Warum so gesprochen wird, dass und warum Sprache Betriebsausweis und Machtinstrument ist, dass »geringfügige sprachliche Kosmetik aus der Machtlosigkeit eine Geste der Macht« (Dieter E. Zimmer) formen kann, würde so einer nie erklären. Das Bürgertum plaudert niemals seine Betriebsgeheimnisse aus. Morgen werden er und seinesgleichen eine andere Sau durchs Dorf hetzen. Also gibt es keine richtige Sprache im falschen Leben? Quatsch! Wir müssen sie nur verteidigen. Vor dem Sprechen sollten wir denken. Das ist die einzige allgemein verbindliche Bauanleitung für den sprachsanitären Bereich, damit wir wissen, wem wir in Zukunft unbedingt aus dem Weg gehen müssen. Die Allmächtigkeit der Phrasen erweckt den Eindruck, »als redeten gar nicht Menschen, sondern Automaten. Als redete es aus ihnen. Als gäbe es ein Sprechen ohne Denken« (Dieter E. Zimmer). Genau! Wer lecker sagt, weiß nichts von gutem Essen, wer geil sagt, weiß nichts von den schönen Dingen dieser Welt, und wer Kult! sagt, weiß überhaupt nichts. So einfach ist das.

Aus: Rolling Stone Nr. 2, Februar 2007, S. 46ff. Nachdruck und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Rolling Stone Deutschland.

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1 Kommentar

  1. Hallo liebes Literaturcafe,

    warum habt ihr das eigentlich veröffentlicht? Sowas habe ich schon hundertmal – besser formuliert – gelesen, Nölerei über aufgeblasene Sprech- und Schreibblasen, sicher irgendwo richtig und leider auch selbst ein Beispiel dafür, was kritisiert werden soll.

    Da wird beklagt, dass “das eigentliche Sprechen zurücktritt hinter die ständige (stets unverlangte) Versicherung, der Sprecher beziehungsweise was er tue sei so was von wichtig.”. Völlig richtig und dieser Artikel ist ein hervorragendes Beispiel dafür.

    Was steht den drin? Dass wir mit Texten überschüttet werden, die außerordentlich pompös nichts zu sagen wissen. Bastian Sick sagt das (manchmal) wenigstens witzig, der Autor Michael Rudolf mit dem Charme einer drittklassigen Comedy-Serie. Da bläst sich einer auf, in dem er beklagt, dass andere sich aufblasen.

    Also ehrlich, da habe ich im Cafe schon weit besseres, pointiertes Gefunden. Das Buch kommt definitiv auf meine Liste der überflüssigen Bücher.

    Hans Peter Roentgen

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