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Die deutsche Sprache stirbt: 23 der 100 am häufigsten gebrauchten Wörter sind bereits englisch?

SlogometerSprachkritiker haben es schon lange befürchtet, doch nun ist es quasi amtlich: Englische Wörter nehmen in der deutschen Sprache immer mehr zu. In der aktuellen Ausgabe 40 der Zeitschrift GEO Wissen berichtet Prof. Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik, über eine erschreckende Zahl, die in einem großen deutschen Nachrichtenmagazin zu lesen war: »Die Zahl der Fremdwörter im Deutschen hat seit 15 Jahren dramatisch zugenommen, wie zum Beispiel der "Spiegel" schreibt. 1985 war nur einer der 100 am häufigsten verwendeten Begriffe englisch, heute sind es 23 – fast ein Viertel!«

Eine Zahl, die selbst für diejenigen erschreckend ist, die sich am »Denglisch« bislang weniger gestört haben. Immerhin sagt es Walter Krämer, der das Lexikon der Populären Irrtümer geschrieben hat und sicher alle Fakten zweimal prüft. Es wäre ja sonst überaus peinlich für ihn. Und diese Zahlen standen auch tatsächlich im SPIEGEL.

Aber glauben Sie das? 23 der im Deutschen am häufigsten verwendeten Begriffe sollen englisch sein?

Und in der Tat: diese Zahlen sind falsch! Oder genauer: Die Zahlen sind richtig, doch die Zusammenhänge sind falsch. Richtig ist: Von den 100 am häufigsten in deutschen Werbeslogans verwendeten Begriffen sind 23 englisch. Das ist weitaus weniger verwunderlich, denn dort werden englische Begriffe weit aus mehr bevorzugt als im allgemeinen Sprachgebrauch. Dies Begriffe sind sogar im so genannten Slogometer verzeichnet, das online abrufbar ist.

Und diese Zahl ist im Dokument einer Schriftenreihe nachzulesen, die im Rahmen des Projektes sprache@web am Deutschen Seminar an der Universität Hannover erstellt wird. Das Dokument ist sehr lesenswert und steht nachwievor als PDF-Datei zum Download bereit (512 kByte). Es stammt aus dem Jahre 2004.

Detlef Guertler von der taz und Stefan Niggemeier zeigen, wie daraus eine Falschmeldung entstanden ist und wie sie selbst von renommierten Verlagshäusern wie dem SPIEGEL und Gruner + Jahr ungeprüft übernommen wurde. Demnach berichtete die New York Times im Dezember 2004 über das »Denglisch« in der deutschen Werbesprache und erwähnte die Zahlen und Zusammenhänge des Dokumentes korrekt. Laut Gürtler und Niggemeier war es dann der FOCUS, der in Ausgabe 11/05 den New York Times Artikel zitierte, aber hier die Tatsache unterschlug, dass es sich nicht um die deutsche Sprache, sondern um die deutsche Werbesprache handelte.

Und so übernahm dieses falsche Zitat im Jahre 2006 auch der SPIEGEL als Tatsachenbehauptung, interessanterweise mit Bezug auf die Studie der Uni Hannover.

So geistert diese Falschmeldung bis heute durch die Presse und findet sich in der aktuellen Ausgabe von GEO Wissen wieder.

Detlef Guertler von der taz macht darauf aufmerksam, dass Prof. Walter Krämer, der diese Aussage traf, nicht nur Autor der Bücher So lügt man mit Statistik und des Lexikons der populären Irrtümer ist, sondern gleichzeitig der Gründer des Verein Deutsche Sprache. Krämer fiel hier offenbar über die eigenen ideologischen Fallstricke.

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4 Kommentare

  1. Das die deutsche Sprache stirbt, ist absehbar, dazu benötigt man keine Statistiken, die mitunter wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen.
    Fragt sich nur in welche Richtung sich Sprache verändert.
    Werden wir in ferner Zukunft Englisch oder Chinesisch sprechen, hängt sicherlich von der Entwicklung der Weltbevölkerung ab, die bisher wohl niemand voraussehen kann.

    Zur Zeit ist der englische Einfluss auf die deutsche Sprache immens.
    Doch im Grunde genommen gab es auch nie eine reine deutsche Sprache.
    In der frühen Geschichte der deutschen Sprache existierten viele Sprachgruppen nebeneinander. Erst die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg ebnete den Weg für eine einheitliche deutsche Schriftsprache. Den größten Einfluss auf diese Entwicklung hatte Martin Luthers Bibelübersetzung.

    Sprache ist also keine feststehende Einheit, sie ist sehr wandelbar. Noch im Mittelalter war lesen und schreiben zu können ein Privileg des Klerus (Priesterstand). Die überregionale Sprache der Gebildeten war Latein. Das änderte sich erst im hohen Mittelalter zu Beginn des 13. Jahrhunderts (geprägt durch die Übernahme französischer Hofsitten). Fahrende Dichter und Sänger verbreiteten Lesen und Schreiben.

    Heutzutage wird unsere Sprache stark durch das meist englischsprachige Internet und durch die englischen Texte in der Musik-Szene beeinflusst.

    Und … wer sagt schon “Heißer Hund” zum Hotdog; der Begriff “Surfen” ist längst im Duden zu finden.

    Interessant: Über Anglizismen in der plattdeutschen Sprache regt sich niemand auf.

    Jeder Mensch nimmt seine Muttersprache nur unvollständig auf und entwickelt sie weiter – kürzt, vereinfacht, experimentiert mit neuen Wort-Schöpfungen.

    Die Evolution lehrt uns, dass das Leben sich fortlaufend entwickelt, bereits entstandene Muster wachsen weiter, neue Muster entstehen.
    Ein Leben ohne Veränderung bedeutet Stillstand, ist kein Leben.
    Eine Sprache ohne Veränderung ist eine tote Sprache.
    Sprache wandelt sich und das ist gut so.

    Lara Legano

  2. Dass Lara ihr Post mit einem Rechtschreibfehler begann, mag thema-immanent bezeichnend sein?

    Es hat deutsche Zeiten gegeben, da es einer schulischen Oberschicht vorbehalten war, Schriftwerke zu erstellen, hauptsächlich wissenschaftlichen Charakters. Damals haben sich lateinische Begriffe eingeschlichen, die heute zu unserem sprachlichen Alltag gehören, als hätte es nie Alternativen gegeben, und die Duden leben ganz gut vom Verkauf der Fremdwörterlexika.

    In ein paar (hundert?) Jahren wird niemand mehr über heutige Diskussionen hören wollen, nicht mal Rechthaber. Sehen Sie, die deutsche Sprache stirbt nicht und soll es auch kaum – das Gegenteil ist der Fall: Die deutsche Sprache entwickelt sich, das hat sie immer getan, und das ist gut so.

    Wer Literatur aus dem 19. Jahrhundert liest, dem fällt die geschwollene Sprache auf, manche lächeln herablassend, oh ja. In hundert Jahren wird man über das Heute lächeln, ebenso, wie man im 19. Jahrhundert das Deutsch des 18. Jahrhunderts als unzeitgemäß abtat. (Paralellen finden wird in der Malerei, in der Musik, uvm.)

    Eine Sprache, die ausstirbt, ist eine Sprache, die aufhört sich zu entwickeln. Latein ist eine tote Sprache, unsere deutsche Sprache aber lebt wie eh und je. Darüber sollten wir uns freuen, auf keinem Fall aber müssen wir den mündlichsten aller epochalen Zeitzeugen zum Schweigen bringen.

  3. Ich will´s mal so formulieren:
    Englisch ist cool und wer deutsch daher quasselt, und dann auch noch
    korrektes deutsch, ist einfach uncool. Man begebe sich in einen Chatroom
    oder höre den Jugendlichen zu, wenn sie sich unterhalten.
    Wenn heutzutage eine Bäckerei aufmacht, dann muß sie natürlich Backshop heißen, wenn sie Kundschaft anlocken will. Die Menschen kümmern sich nicht darum, ob unsere Sprache angeblich stirbt.
    Aber sie kümmern sich wohl darum, persönliche Aufmerksamkeit zu kriegen. Und das geht heutzutage- allem Anschein nach- nur noch mit denglisch. Unsere Sprache entwickelt sich weiter, da geb ich den Kommentatoren über mir völlig recht. Aber in welche Richtung??
    Wenn ein Engländer Backshop liest, dann liest er back als Hinterteil
    und shop als Laden. Also hat er einen “Arschladen” vor sich. Vielleicht erklärt das ein wenig, was ich hier zu sagen versuche.

  4. Thema ist doch gar nicht die sich verändernde (“Denglisierung”) der deutschen Sprache, sondern dass Informationen verfälscht und dann unkritisch genau so übernommen und weitergegeben werden.
    Bei der Behauptung, nun seien 23 der 100 im Deutschen am häufigsten verwendeten Worte Englisch, muss man sich doch als allererstes fragen, welche “Sprachquellen” da herangezogen wurden. Vielleicht das Handbuch des DVD-Players, die Bibel, ein bisschen Waschweibergelaber auf Tonband oder vielleicht die Geschäftsbriefe einer deutschen Manufaktur an den englischen Geschäftspartner?
    Man kann eine Sprache (zumindest die Deutsche) nicht so umfassend auswerten, dass man solche genrellen Aussagen treffen kann.
    Man könnte aber auch einfach mal stichprobenartig diesen Bericht hier als Beispiel dafür nehmen, dass die Zahl von 23% Anglizismen in der deutschen Sprache völlig aus der Luft gegriffen sein muss.
    Auf sowas kommt aber natürlich keiner. Oder es scheint zumindest egal zu sein, solange ma ne tolle Schlagzeile und eine Angriffsfläche hat, um irgendwelche, ansonsten jeglicher Grundlage entbehrenden Thesen, wie zum Beispiel gesellschaftliche Tendenzen, zu unterstreichen und man dafür eine namhafte Sekundärquelle hat.
    Ich sehe das Thema exemplarisch für die schlechte Recherche selbst anerkannter Autoren, aber auch für die Leichtgläubigkeit, die sich über die Menschen verschiedenen Intellekts (also nicht nur die Dummen) zu erstrecken scheint. Dass nun von meinen Vorrednern genau das Thema aufgenommen wurde, das durch den Artikel als von den Medien zu sehr hochgekocht belegt wurde, bestätigt mich nur, wie unterbewusst die Themen, die von den Medien diktiert werden, aufgenommen werden.

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