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»Playlist« von Sebastian Fitzek: Ein Grauen schon beim ersten Satz

»Playlist« von Sebastian Fitzek. Zum Buch mit diesem Titel gibt es eine ebensolche. (Foto: Birgit-Cathrin Duval)
»Playlist« von Sebastian Fitzek. Zum Buch mit diesem Titel gibt es eine ebensolche. (Foto: Birgit-Cathrin Duval)

Birgit-Cathrin Duval fügt sich ihrem Schicksal und liest den Thriller »Playlist« von Sebastian Fitzek. Dass Fitzek Deutschlands erfolgreichster Thriller-Autor ist, sagt nichts über die Qualität seiner Bücher aus. Der Rezensentin graut es schon nach dem ersten Satz.

Exakt um 18 Uhr 42, drei Wochen, zwei Tage und neun Stunden nachdem seine Tochter spurlos auf ihrem Schulweg verschwunden war, klingelte es zweimal an der Haustür, und Thomas Jagow musste erfahren, dass das menschliche Grauen keine Belastungsgrenze kennt.

Der erste Satz im neuen Fitzek-Psychothriller. Mir graut es beim Lesen, nach den 37 Wörtern ist meine Belastungsgrenze bereits überschritten. Ich lese weiter. Zweiter Satz:

Darauf, dass man sich selbst am Ende des Erträglichen angekommen glaubt, nimmt das Schicksal keine Rücksicht.

Also füge ich mich meinem Schicksal – ich erhielt eine Nachricht vom literaturcafe.de mit der Anfrage, ob ich Fitzeks neuen Roman rezensieren würde – und lese Sebastians Fitzeks »Playlist« Um es vorweg zu nehmen: Sebastian Fitzek mag Deutschlands erfolgreichster Thriller-Autor sein, das sagt aber nichts über die Qualität seiner Bücher aus. Es gibt mäßige Fitzek Bücher und schlechte. Playlist stellt eine Ausnahme dar – der Thriller fällt weder in die eine noch in die andere Kategorie. Doch zunächst: um was geht es in »Playlist«? Auf der Buchrückseite heißt es dazu:

Vor einem Monat verschwand die 15-jährige Feline Jagow spurlos auf dem Weg zur Schule. Von ihrer Mutter beauftragt, stößt Privatermittler Alexander Zorbach auf einen Musikdienst im Internet, über den Feline immer ihre Lieblingssongs hörte. Das Erstaunliche: Vor wenigen Tagen wurde die Playlist verändert. Sendet Feline mit der Auswahl der Songs einen versteckten Hinweis, wohin sie verschleppt wurde und wie sie gerettet werden kann? Fieberhaft versucht Zorbach das Rätsel der Playlist zu entschlüsseln. Ahnungslos, dass ihn die Suche nach Feline und die Lösung des Rätsels der Playlist in einen grauenhaften Albtraum stürzen wird. Ein gnadenloser Wettlauf gegen die Zeit, bei dem die Überlebenschancen aller Beteiligten gegen Null gehen …

Fitzek-Fans und treue Leser treffen in dieser Handlung auf zwei Altbekannte: Ermittler Alexander Zorbach (der im Roman als Ich-Erzähler agiert) und die blinde Psychotherapeutin Alina Gregoriev. Sie sind bereits in Fitzeks »Augen-Thrillern« die Protagonisten. Man muss sie nicht gelesen haben, um Playlist zu verstehen, ich habe den »Augensammler« oder »Augenjäger« ebenfalls nicht gelesen. Allerdings erinnert mich die Konstellation »Privatermittler und Helferin mit Handicap« stark an das Duo aus der Bill-Hodges-Trilogie von Stephen King. In den Romanen »Mr Mercedes«, »Finderlohn« und »Mind Control« ermittelt Privatdetektiv Bill Hodges an der Seite seiner Assistentin Holly Gibney, die eine ausgezeichnete Spürnase besitzt, deren Leben allerdings von Selbstzweifeln und psychischen Problemen gekennzeichnet ist.

Bei Fitzek ist die Protagonistin zwar blind, besitzt aber ein außergewöhnliches Hörvermögen und jede Menge Selbstvertrauen, obwohl sie regelmäßig zur Psychotherapie in die ominöse Privatpraxis von Doktor Rej geht.

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Sebastian Fitzek auf der Leipziger Buchmesse 2017 (Foto: Birgit-Cathrin Duval)

Die Playlist, die im Roman Hinweise auf den Verbleib des entführten Mädchens gibt, existiert tatsächlich. Es sind 15 Songs von Musikern wie Rea Garvey, Silbermond, Johannes Oerding, Lotte, Tim Bendzko und anderen. Ein ziemlich ausgeklügelter Coup. Und mehr noch: Auf fitzek-playlist.de kann die Leserin, der Leser selbst an einer interaktiven Challenge teilnehmen. In den Videos, im düsteren Nachtdunkel mit viel Rotlicht gedreht, spielt Sebastian Fitzek sich selbst und spricht mit verschwörerischer Stimme zum Zuschauer. Die Inszenierung ist gut gemacht, es startet ein Spiel, das ich allerdings nach dem Auffinden des ersten Zettels nicht mehr weiterklicken kann. Keine Ahnung weshalb. Vielleicht nicht für das Smartphone optimiert, oder bin ich zu doof dafür? Auch beim zweiten Video finde ich zwar die Hinweise, komme aber auf dem Smartphone nicht weiter. Außerdem mag ich solche Videospiele auch gar nicht.

Die Playlist auf dem Vorsatzpapier des Romans. (Foto: Birgit-Cathrin Duval)
Die Playlist auf dem Vorsatzpapier des Romans. (Foto: Birgit-Cathrin Duval)

Kommen wir also zurück zur Handlung des Romans. Handlung ist vielleicht zu viel gesagt. Es ist eine Aneinanderreihung von Ereignissen, in denen viel zu viel geschwafelt wird. Damit meine ich Sätze wie:

Wenn es irgendwie in unserem Gehirn ein Archiv für Angst einflößende, furchtbare Sequenzen und Bilder gibt, auf die ein für Albträume zuständiger Regisseur zugreifen kann, um aus ihnen einen Film zu weben, der uns nachts schreiend aus dem Schlaf hochschrecken lässt, dann hatte dieser Regisseur in meinem Kopf gerade neues, entsetzliches Material bekommen.

Fitzek macht es sich mal wieder sehr einfach. Anstatt Worte zu finden, die uns dies boshaft ins Gehirn beamen, wählt er diesen umständlichen Schachtelsatz. Soll das etwa die Spannung steigern? Mich törnt das beim Lesen ab. Und so holpert die Geschichte vor sich hin, und irgendwann sind mir die Wendungen auch egal, weil mir – und das erlebe ich zum wiederholten Male bei Fitzek – die Protagonisten fremd bleiben. Und wenn einem die Hauptfiguren egal sind, dann ist auch der Ausgang der Geschichte egal. Keine virtuose Handlung, wie man sie bei Stephen King mit Bill Hodges und Holly Gibney kennt, bei der die Seiten vor Spannung knistern. Anstatt sich um Charakterstudien zu kümmern, konstruiert Fitzek immer wirrere Szenen, baut Erzählstränge ein, die irgendwann nur noch abstrus und künstlich wirken. Gutes schriftstellerisches Handwerk sieht anders aus.

Das Beste an »Playlist« ist vermutlich die Musik selbst. Geschrieben hat Fitzek das Buch, weil er ursprünglich einmal Musiker werden wollte, wie er im Nachwort erzählt. Mit »Playlist« ist ihm jedenfalls eine meisterhafte Inszenierung gelungen, für die er namhafte Künstler:innen verpflichten konnte. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Roman »Playlist« ziemlich übel geraten ist. Die Premierenvorstellung ist gelungen, und wenn Fitzek aus seinem neusten Werk liest, kommt tatsächlich ein wenig Spannung auf. Wer das Buch lesen möchte, ist vermutlich mit dem Hörbuch am besten bedient, das Sebastian Jäger eingesprochen hat. Oder man drückt bei Spotify auf Play und hört sich die Songs der »Playlist« an, von denen einige das Potenzial besitzen, zum Ohrwurm oder sogar zum Hit zu werden.

Birgit-Cathrin Duval

Sebastian Fitzek: Playlist: Psychothriller. Gebundene Ausgabe. 2021. Droemer HC. ISBN/EAN: 9783426281567. 22,99 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Sebastian Fitzek: Playlist: Psychothriller. Gebundene Ausgabe. 2021. Droemer HC. ISBN/EAN: 9783426281567. 22,99 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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5 Kommentare

  1. Ich habe bisher kein Buch von Fitzek gelesen und werde das wahrscheinlich auch nur in der Einsamkeit einer bisher unentdeckten Insel tun, wenn ich sonst keine Gesprächspartner habe.
    Dennoch Frage: nach welchen Kriterien wählt literaturcafe.de seine Rezensenten aus. ?

  2. Ich habe ein Drittel Buch von Fitzek gelesen und es danach erst unterm Urlaubsbett, dann beim Einpacken und mittlerweile auch noch im Kopf vergessen. Sogar den Titel. Ich weiß nur noch, dass ich es von Seite zu Seite weniger mochte, weil ich es hasse, wenn mir das Hirn mit billiger Spannung zugeklatscht wird. Dramaturgisch zwar durchsichtig, aber trotzdem durch die Verwendung von tiefenpychologisch wirksamen Reizwörtern und -situationen zu Herzklopfen und zittrigen Fingern führend. Das muss ich mir wirklich nicht antun.
    Warum er damit Erfolg hat, sehe ich so: Mainstream-Thriller-Leser***********innen sind von Hunderten von sadistischen Serienmördern und Kinderquälern schon derart abgestumpft – die brauchen immer noch schärferen Saft in die Birne, damit sie beim Lesen nicht einschlafen.

  3. Grausig, grausig, dieser Schreibstil. Wie gewollt und nicht gekonnt. Wie von einem Fünftklässler, der eine gute Aufsatznote anstrebt. Ich habe mich durch eines seiner Bücher gequält (“Die Therapie”), um der Person, die es mir empfohlen hat, meine abschließende Meinunung dazu sagen zu können. Das Ganze war so unlogisch und so flach und billig und dann auch noch sooooo schlecht geschrieben… spannend ja, wegen einer billigen Cliffhanger-Masche, aber selbst die ist zu offensichtlich angewandt. NIE WIEDER – Verschwendung wertvoller Lebenszeit, die man mit guter Literatur verbringen könnte. Wobei ich mich andererseits frage: Warum habe ich nicht versucht, eine Menge Geld mit Schreiben zu verdienen? Ich fand mich selber zu schlecht, hätte mich geschämt, mein Geschreibsel zu vereröffentlichen. Aber schamlos lebt es sich erfolgreicher.

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