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Koalitionsvertrag und Claudia Roth: Was kommt für Buch, Autoren und Kultur?

Die künftige Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen) und der Entwurf des Koalitionsvertrags (Foto: Wikipedia/Sven Teschke/CC-by-sa-3.0 de)
Die künftige Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen) und der Entwurf des Koalitionsvertrags (Foto Claudia Roth: Wikipedia/Sven Teschke/CC-by-sa-3.0 de)

Die kommende Regierungskoalition aus SPD, FDP und den Grünen hat den Entwurf ihres Koalitionsvertrags vorgestellt. Die 177 Seiten stehen unter dem Motto »Mehr Fortschritt wagen«. Jeder sucht nun fleißig im Text, was auf ihn zukommen könnte. Was steht für Autorinnen und Autoren drin? Was für die Buchbranche? Die Interpretationen reichen weit.

Der Koalitionsvertrag ist der politische Leitfaden, an dem sich die neue Regierung für die kommende Legislaturperiode bis 2025 orientieren will. Gleichzeitig ist er auch ein Kompromis-Papier, denn zwischen den Koalitionspartnern SPD, Grüne und FDP mussten viele Positionen ausgehandelt werden.

Anders gesagt: Der Koalitionsvertrag ist in großen Teilen sehr vage gehalten (Download als PDF/1,1 MB). Viele Absichten sind dort formuliert, und schon jetzt zeigt es sich, dass man aus dem 177-Seiten-Papier Unterschiedliches herauslesen kann. Bislang ist das Papier noch ein Entwurf, den die Mitglieder der Parteien noch absegnen müssen.

Bekenntnis zur Kultur

Was also können Autorinnen und Autoren, was können Kulturschaffende allgemein und was kann die Buchbranche aus dem Vertragsentwurf herauslesen oder in den Entwurf hineindeuten?

Zur Kultur ganz allgemein heißt es in dem Papier: 

Kunst und Kultur und ihre Vielfalt zu fördern und die soziale Lage von Künstlerinnen und Künstlern zu verbessern ist in diese Zeiten ein Beitrag zur Sicherung unserer Demokratie. Wir setzen uns daher für eine starke Kulturszene und Kreativwirtschaft ein, die fortbestehen und wieder erblühen kann.

Etwas später am Verhandlungsabend war es wohl, als die folgenden Alliterationen in den Vertrag gelangten:

Wir wollen Kultur mit allen ermöglichen, indem wir ihre Vielfalt und Freiheit sichern, unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksform, von Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen. Wir sind überzeugt: Kulturelle und künstlerische Impulse können den Aufbruch unserer Gesellschaft befördern, sie inspirieren und schaffen öffentliche Debattenräume.

Aber immerhin: Künstlerinnen und Künstler sichern die Demokratie und fördern laut Koalitionsvertrag den Aufbruch unserer Gesellschaft.

So heißt es weiter:

Wir wollen Kultur in ihrer Vielfalt als Staatsziel verankern und treten für Barrierefreiheit, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit ein. 

Das klingt konkret, aber auch blumig genug.

Erhalt der Künstlersozialkasse

Konkret spricht sich die Koalition für den Erhalt der Künstlersozialkasse aus. Auch eine erhöhte hohe Zuverdienstgrenze soll erhalten bleiben. Ab einem gewissen Verdienst mit nicht-künstlerischen Tätigkeiten droht ansonsten Künstlern der Rauswurf aus der KSK, die ansonsten für Künstler quasi den Arbeitgeberanteil für Renten- und Krankenversicherung übernimmt.

Für Autorinnen und Autoren weiterhin interessant sind die Aussagen, die über Selbständige bzw. Solo-Selbständige im Vertrag zu finden sind. Hierzu heißt es:

Selbständige sind wesentlicher Teil unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Nach der aktuellen Reform des Statusfeststellungverfahrens führen wir im Lichte der Erfahrungen einen Dialog mit Selbständigen und ihren Verbänden, um dieses zu beschleunigen und zu verbessern. Ziel ist, in der digitalen und agilen Arbeitswelt unbürokratisch Rechtssicherheit zu schaffen.

Zwangsversicherung für Selbständige?

Umstritten ist es immer wieder, inwieweit Selbständige künftig gesetzlich gezwungen werden können, Maßnahmen für ihre Altersvorsorge zu treffen oder inwieweit sie künftig gezwungen werden, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen.

Hierzu heißt es im Koalitionsvertrag:

Wir werden für alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem unterliegen, eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit einführen. 

Die Hervorhebung ist von uns. Die Pflicht soll also offenbar nicht für diejenigen gelten, die bereist als Selbständige arbeiten. Dazu, was eine »Altersvorsorge mit Wahlfreiheit« ist, heißt es:

Selbstständige sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, sofern sie nicht im Rahmen eines einfachen und unbürokratischen Opt-Outs ein privates Vorsorgeprodukt wählen. Dieses muss insolvenz- und pfändungssicher sein und zu einer Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen. Bei jeder Gründung gilt jeweils eine Karenzzeit von zwei Jahren. Die geförderte zusätzliche private Altersvorsorge steht allen Erwerbstätigen offen.

Die Versicherungen dürften sich die Hände reiben und an bereits mehr oder weniger sinnvollen »Vorsorgeprodukten« arbeiten. Allein das Wort klingt schon so, als stamme es direkt aus der Branche.

Und auch eine Namensänderung mag für einige Autorinnen und Autoren nicht ganz unwesentlich sein: Hartz IV wird künftig Bürgergeld heißen.

Was kommt für Buchbranche und Buchhandlungen?

Die relevanten Passagen zu Buchhandel und zu Verlagen hat sich der Börsenverein des deutschen Buchhandels bereits näher angesehen. Man sehe »positive Signale für die Buchbranche«, heißt es seitens des Vereins. Neben dem oben bereits erwähnten Bekenntnis zur Rolle der Kultur lobt man die geplante Förderung der Innenstädte im Vertragsentwurf. Dort ist zu lesen:

Wir nutzen das Förderprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ und führen die Innenstadtstrategie des Bundes fort, insbesondere das Programm „Lebendige Zentren“ im Rahmen der Bund-Länder-Städtebauförderung. Sie sollen für eine Verbesserung der Aufenthalts- und Erlebnisqualität in den Innenstädten genutzt werden.

Und weiter:

Wir bemühen uns weiter um fairen Wettbewerb zwischen Geschäftsmodellen digitaler Großunternehmen und den lokal verwurzelten Unternehmen.

Das Wort »bemühen« gilt bereits in Arbeitszeugnissen als schwächste Initiative überhaupt. Das Wort »Verlag« taucht im Entwurf einmal auf:

Wir prüfen mit den Ländern eine Förderung unabhängiger Verlage, um die kulturelle Vielfalt auf dem Buchmarkt zu sichern.

Auch hier fällt einem sofort das abschwächende »prüfen« auf. Wie bereits eingangs festgestellt: Ein solches Papier ist leider sehr blumig formuliert, um vieles bewusst unkonkret und offen zu lassen, damit man später nicht ganz genau daran gemessen werden kann.

Urheberrecht: Was ist fair?

Am interessantesten ist dieser Interpretationsaspekt beim Thema Urheberrecht, das auch im Entwurf erwähnt wird. Hier heißt es:

Beim Urheberrecht setzen wir uns für fairen Interessenausgleich ein und wollen die Vergütungssituation für kreative und journalistische Inhalte verbessern, auch in digitalen Märkten. Wir wollen Informations- und Meinungsfreiheit auch bei automatisierten Entscheidungsmechanismen sicherstellen. Die gerade in Kraft getretene Reform werden wir u. a. in Hinblick auf Praxistauglichkeit evaluieren. Wir wollen faire Rahmenbedingungen beim E-Lending in Bibliotheken.

Und:

Open Access wollen wir als gemeinsamen Standard etablieren. Wir setzen uns für ein wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht ein.

Die Begriffe »Open Access« und »wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht« lassen natürlich schon jetzt einige Verlage hyperventilieren.

Doch auch die Passage davor ist vage und wachsweich. Für wen oder zu wessen Gunsten muss beim Urheberrecht ein »fairer Interessenausgleich« erfolgen? Genügt eine Verbesserung der Vergütung?

Ein überaus heißes Eisen sind die »fairen Rahmenbedingungen beim E-Lending in Bibliotheken«. Hier sorgte unlängst eine Zeitungsanzeige der Urheberinitiative »Fair lesen« für reichlich Diskussion und Zündstoff.

Die Initiative meldete sich daher sofort nach Bekanntwerden des Vertragsentwurfs mit einer Pressemeldung und sorgte dafür, dass das Wort »fair« nur in ihrem Sinne gemeint sein kann. In der Meldung heißt es: »Mit dieser klaren Haltung zur Beibehaltung der Entscheidungsfreiheit von Autor*innen und Verlagen unterstützt die kommende Regierung in ihrem Koalitionsvertrag die Chance, zukunftsfähige und ausgewogene Wege für die Digitale Leihe in Öffentlichen Bibliotheken ohne gesetzliche Zwangsregulierung zu entwickeln.«

Erstaunlich, was die Initiative da alles aus dem Satz im Koalitionsvertrag herausliest.

Claudia Roth soll Kulturstaatsministerin werden

Ob aus dem Entwurf dann auch ein unterzeichneter Vertrag wird, darüber werden nun die Mitglieder der Koalitionsparteien in Urabstimmungen bis Anfang Dezember 2021 abstimmen.

Eine andere Entscheidung scheint jedoch bereits gefallen und wurde von der grünen Partei bestätigt: Claudia Roth (Die Grünen) soll neue Kulturstaatsministerin werden und Monika Grütters (CDU) in diesem Amt ablösen. In Sachen Kulturmanagement hat Roth zumindest Erfahrung: In den 1980er-Jahren war sie die Managerin der Band »Ton Steine Scherben« um Rio Reiser.

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