»Wie echt sind wir?« Die Frage stellt Avishai seiner Freundin Emily, und es bleibt offen, ob er ihre Beziehung oder das Leben generell meint. Er ist der letzte Bibliothekar auf Erden. »All die Bücher, die du gesammelt hast, die werden uns helfen, die Welt wieder aufzubauen, wenn die Fabrik weg ist«, sagt Emily. Die Fabrik versorgt die letzten noch lebenden Menschen mit Waren, die sie nicht brauchen und zerstört für die Produktion den Rest der Erde.
»Philip K. Dick’s Electronic Dreams« ist eine Serie, die aus zehn herausragenden und voneinander unabhängigen Mini-Filmen besteht. Eine Serie, die auf Erzählungen des Science-Fiction-Autors Philip K. Dick basiert.
Die zehnteilige Serie wurde im letzten Jahr von Sony Pictures für den britischen Sender Channel 4 produziert und ist nun komplett und auch in deutscher Synchronisation via Amazon Prime abrufbar.
Ähnlich wie bei »Sherlock« haben die Drehbuchschreiber die Vorlagen neu und zeitgemäß interpretiert. In diesem Fall waren es nicht die Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle, sondern Kurzgeschichten des amerikanischen Science-Fiction-Autors Philip K. Dick, die dieser in den 1950er-Jahren verfasst hat. Auf Erzählungen und Romanen Dicks beruhen bereits Filme wie »Total Recall«, »Minority Report«, »Blade Runner« und die Serie »The Man in the High Castle«. Fast immer kreisen die Geschichten von Dick um die Fragen »Wie wirklich ist die Wirklichkeit, in der wir leben?« und »Wie echt sind wir Menschen?«.
»Do Androids Dream of Electric Sheeps?«, Träumen Androiden von elektrischen Schafen?, lautet der ursprüngliche Titel des Romans, auf dem das Drehbuch von Blade Runner basiert, und die Serienmacher referenzieren mit »Philip K. Dick’s Electric Dreams« natürlich diesen Titel. Alle 10 Folgen stammen von unterschiedlichen Drehbuchautoren und wurden von unterschiedlichen Regisseuren mit wechselnden Schauspielern inszeniert. Neben vielen eher unbekannten Gesichtern sind u. a. auch Bryan Cranston (Walter White aus »Breaking Bad«) und Steve Buscemi mit dabei. Cranston gehört auch zu den ausführenden Produzenten der Serie.
Jede Folge steht für sich. Diese sind – wie Folge 1 oder 2 – in einer Zukunft angelegt und zitieren auch visuell den Anflug auf die Tyrell-Corporation aus »Blade Runner« oder die Wisch-Oberfläche aus »Minority Report«. Andere Folgen beginnen im Hier und Heute oder spielen in einer künstlich-dystopischen Welt mit überdrehten Farben (Folge 4). Vom großen Science-Fiction-Setting bis zum fast schon minimalistischen Kammerspiel (Folge 7: Das Vater-Ding) ist alles dabei.
Die Serie vertraut darauf, dass die Zuschauer nicht alles im Detail erklärt bekommen wollen. So dürfte Folge 9 »Der Pendler« wohl die poetischste, verstörendste und doch wunderbarste TV-Produktion der letzten Jahre sein, mit einem großartigen Timothy Spall in der Hauptrolle.
Die Adaptionen bewegen sich mal mehr mal weniger weg vom Originalstoff Philip K. Dicks. Im Falle von »Das Vater-Ding« schafft es Regisseur und Drehbuchautor Michael Dinner sogar, den Figuren und ihrer Beziehung eine Tiefe zu geben, die bei Dick so nicht zu finden ist.
Der Vergleich zwischen Original und zeitgemäßer Serienadaption ist interessant und könnte dazu führen, dass auch die Kurzgeschichten Philip K. Dicks wieder gelesen werden. Da ist es löblich, dass der S. Fischer Verlag die Romane und Erzählungen des 1982 im Alter von nur 53 Jahren verstorbenen US-Autors wieder neu aufgelegt hat. Ursprünglich erschienen die ersten deutschen Ausgaben bei Bastei-Lübbe, bei Haffmans, später dann auch bei Heyne.
Ohne Frage sind es die Verfilmungen, die Philip K. Dick aus der Schmuddelecke des am Fließband schreibenden Science-Fiction-Autors herausholten und die Tiefe seiner Geschichten zum Vorschein brachten. Jetzt hat dies auch eine Fernsehserie geschafft, und der Vorspann erweckt am Ende sogar Philip K. Dick als Cyborg zum Leben.
Wolfgang Tischer
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