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Lovelybooks-Event: Betreutes Twittern im Münchner Literaturhaus

Lovelybooks: Das gut gefüllte Münchner LiteraturhausAm Schluss waren 134 Leute auf der Teilnehmerliste des »Lovelybooks-Events« zu finden. Und tatsächlich war der große Saal des Münchner Literaturhauses am 5. Februar 2010 bis auf den letzten Platz gefüllt.

»Social Web: Der direkte Kontakt zum Leser« lautete der Titel der Veranstaltung. In erster Linie wollten die Lovelybooks-Betreiber Verlagen nahebringen, welche wichtige Rolle das Internet und speziell aktuelle Anwendungen wie der 140-Zeichen-Mitteilungsdienst Twitter und die Vernetzungsplattform Facebook spielen.

Die kostenfreie Veranstaltung stand auch Autoren, Buchhandlungen und »Nur-Lesern« offen, und den Organisatoren ist das fast Unmögliche gelungen: Die sonst bei solchen Tagungen enorm hohe Dichte an Beratern, selbst ernannten Experten und Dampfplauderern war hier nicht zu finden.

Im Publikum saßen die Mitarbeiter bekannter Verlage und Buchhandlungen, und darüber hinaus war es ein Gewinn, die Personen hinter manchem Twitter-Profil persönlich zu treffen. Auch die übliche Fluktuation am Ende solcher Konferenzen war erstaunlich gering.

Werbung und Buchdiskussionen verschwimmen

Lovelybooks ließ sich nicht lumpen: Frühstück, Mittagessen, Kaffee und Kuchen wurden aufgefahren. Kein Wunder, steht doch hinter der virtuellen Buchgemeinschaft – wie bei der Partnerbörse Parship oder StudiVZ – der Holtzbrinck-Konzern, zu dem Buchverlage wie Droemer Knaur, Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch oder S. Fischer gehören. Ohne dass es den Nutzern unbedingt klar ist oder vom Betreiber gekennzeichnet wird, verwischen und vermischen sich hier Werbung und Buchdiskussion. Wie in den Filialen der großen Buchhandelsketten sind Buchtipps oder Autorenaktionen weniger qualitativ oder redaktionell ausgewählt, sondern in der Regel von Verlagen bezahlt.

Per Live-Stream wurden alle Vorträge der Tagung ins Web übertragen. Dies gestaltete sich holprig, und Probleme mit dem WLAN oder der Kommunikation zwischen Vortragsnotebook und Beamer scheinen bei solchen Veranstaltungen obligatorisch zu sein. Für die zahlreich vorhandenen tragbaren Rechner standen nur maximal 50 IP-Adressen zur Verfügung. Eine sogenannte Twitter-Wall hinter dem Rücken der Referenten zeigte live die Kommentare der anwesenden Teilnehmer und der Zuschauer daheim an den Empfangsgeräten.

Teilnehmer waren keine Anfänger

Beim Blick auf die Teilnehmerliste schien klar: Die meisten waren über den Anfängerstatus längst hinaus, die als betreutes Twittern konzipierten Vorträge waren für sie kalter Kaffee und nach Athen getragene Eulen.

Deutlich war anhand der aufkommenden Fragen zu spüren, dass es für das Publikum immer dann interessant wurde, wenn Menschen aus Verlag oder Buchhandlung offen und ehrlich über ihre Praxiserfahrungen berichteten. Dann setzten auch die ironischen und kritischen Kommentare auf der hinter den Referenten eingeblendeten Twitter-Wall aus.

Nina Reddemann, bei den Hanser Verlagen für die Online-Aktivitäten und die Inhalte der Websites zuständig (Neudeutsch: Content-Management), zeigte, wie die Hanser Verlage Facebook nutzen, um dort die Leser zu erreichen. Sie demonstrierte verschiedene Ansätze und deren Vor- und Nachteile. Da ist zum einen die Fanseite des Verlages, auf der neue Bücher und Aktivitäten der Autoren verkündet werden. Eine Form, die im Publikum die Frage aufwarf, ob der Leser tatsächlich am Verlag oder nicht vielmehr an Büchern oder Autoren interessiert sei. Dass das bei einer engeren Bindung der Leser an einen Verlag z.B. im Fantasy-Genre funktionieren kann, berichtete der PAN-Verlags in einem Zwischenkommentar. Wichtig ist jedoch, dass sich Verlage auf Facebook den eigenen Kurznamen reservieren.

Hanser betreibt auch autorennahe Facebook-Seiten: Die Seite von Daniel Glattauer widmet sich speziell diesem Autor und seinen erfolgreichen eMail-Romanen (»Gut gegen Nordwind«, »Alle sieben Wellen«). Der Schriftsteller ist hier jedoch – wie bei seinem Twitter-Account – nicht selbst aktiv. Um Enttäuschungen vorzubeugen, müsse dies den Lesern in der Profil-Beschreibung klar und deutlich kommuniziert werden, so Reddemann. Dennoch wird der Autor von seinen zahlreichen Facebook-Fans meist direkt angesprochen.

Leser bevorzugen den direkten Kontakt zum Autor

Einen Schritt weiter geht der Autor Thomas Glavinic (»Das Leben der Wünsche«, »Das bin doch ich«). Er kommentiert selbst auf seiner offiziellen Fanseite mit, nachdem er sich vor wenigen Jahren im Web noch deutlich zurückhielt.

Dass die Leser diesen relativ engen Kontakt zum Autor bevorzugen, zeigten die eingehenden Kommentare auf der Twitter-Wall. Am häufigsten wünschte man sich Schriftsteller, die selbst aktiv im Netz unterwegs sind und mit dem Leser kommunizieren.

Da traf es sich sehr gut, dass an diesem Tag gleich zwei Autoren auf der Bühne standen. Einer davon, so hatte es den Anschein, wurde regelrecht zum Twittern gezwungen. Krimi-Autor Andreas Franz war extra aus Hattersheim bei Frankfurt angereist, um – so ward es im Vorfeld verkündet – live und vor Publikum seinen Twitter-Account zu eröffnen. Der war ihm jedoch schon einen Tag früher von Dritten angelegt worden und Franz freute sich diebisch, dass der Anwesende »Internet-Evangelist« die gleichen Probleme wie er beim Einloggen hatte.

Live errichtete Twitter-Leiche?

Aufs Twittern zu freuen, schien sich Franz nicht. Er wisse um die Suchtgefahr des Internet und habe sich daher sehr bewusst diesen sehr speziellen Aktivitäten enthalten. Schon jetzt ertappe er sich dabei, dass er morgen nach dem Aufstehen vor anderen Dingen als Erstes den Rechner einschalte, um rasch in die Mails zu schauen.

Die von Franz provozierend angestoßene und längst überholte Diskussion, ob man bei so viel Virtuellem nicht das reale Leben vernachlässige, hatte zweifelsohne einen hohen Unterhaltungswert. Als literarischer Stand-Up-Comedien musste er so die technikbedingten Zwangspausen überbrücken.

Die Kommentare an der Twitter-Wall machten deutlich, dass die Twitter-Welt solche hemdsärmeligen Charaktere mag. Viele verkündeten, dass sie diesen Autor sehr gerne einmal live bei einer Lesung erleben wollten. Der erste Erfolg der Franzschen Social-Media-Aktivitäten, wenn man so will.

Momentan sieht es jedoch noch danach aus, als wäre auf der Bühne eine Twitter-Leiche erschaffen worden, denn selbst am dritten Tag nach der Veranstaltung ist bislang keine weitere 140-Zeichen-Botschaft von Andreas Franz verfasst worden. Nachtrag vom 21.02.2010: Nach diesem Artikel hat man Andreas Franz offenbar gebeten, er möge zeigen, dass sein Account doch keine Twitter-Leiche sei, worauf er am 9. Februar innerhalb von 45 Minuten einige Tweets verschickt hat. Seitdem herrscht wieder Funk- bzw. Twitterstille. Franz‘ Account ist ein gutes Beispiel dafür, dass es nicht funktioniert, die Leute »zum Twittern zu tragen«.

Ernüchterung über die Erfolge der Web-Aktivitäten

Ähnlich und doch ganz anders der Bericht des Wiener Krimi-Autors Marcus Rafelsberger, der von seinen Web-Aktivitäten anlässlich seines bei Emons erschienenen Romans »Menschenteufel« berichtete. Rafelsbergers Twitter-Account war dummerweise zwei Tage vor der Veranstaltung von Twitter »due to strange activity« gelöscht worden. Der Autor kann sich das nicht erklären. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass Twitter unlängst die Passwörter einer ganzen Reihe von Accounts zurücksetzte.

So unglücklich dieses Timing war, so sehr offenbart es den Risikofaktor vieler Social-Community- oder Web-2.0-Aktionen: Man begibt sich und seine Daten in die oft kostenlos dargebotenen Hände eines (meist us-amerikanischen) Anbieters. Doch ohne Vorwarnung kann plötzlich alles kommentarlos gelöscht und die Mühe vergebens gewesen sein. Was auf dem eigenen Webserver liegt, kann die hoffentlich regelmäßig erstellte Datensicherung zurückbringen – was den sozialen Gemeinschaftsanwendungen anvertraut wird, kann für immer versenkt sein.

Rafelsberger demonstrierte daher seine Facebook-Aktivitäten, berichtete von netten Aktionen, kleinen Wettbewerben und anderen Dingen, die er rund um seinen Roman inszenierte. Das ging so weit, dass selbst sein fiktiver Kommissar einen realen Facebook-Account erhielt und mit dem des Autors in Verbindung trat (Vortrag hier zum Download).

Rafelsbergers Vortrag klingt jedoch in Wiener Melancholie aus. So richtig begeistert schien er nicht. Der Erfolg, geschweige denn die Zahl der dadurch mehr verkauften Bücher sei schwer bis gar nicht messbar. Kein Erfolgsbeispiel, aber zumindest ein ehrlicher und ungeschminkter Einblick in manch vergebliche Müh‘.

Niemand kann den Erfolg der Web-Aktivitäten garantieren – doch wer kann dies bei Print- oder Plakatkampagnen?

Die wirklich wichtigen Fragen am Schluss

Der zweifelsohne beste Vortrag des Tages kam kurz vor Schluss: Susanne Martin, Eigentümerin der Schiller Buchhandlung in Stuttgart-Vaihingen berichtete von ihren Web-Aktivitäten. Seit Martin sich anlässlich der Premiere eines neuen Eragon-Bandes, um eine kleine Werbe-Beteiligung des Verlags bewarb, produziert sie einen regelmäßigen Podcast mit Buchtipps und Autoreninterviews. »Außer Zeit kostet mich das nichts«, so die Buchhändlerin. »Wenn ein Autor ohnehin zu einer Lesung im Haus ist, mache ich gleich ein Interview mit ihm.« Als Weihnachtspräsent auf CD gebrannt, finden die Audio-Dateien zudem ihren Weg im Rahmen der Zweitverwertung zu nicht web-affinen Kunden.

Seit einiger Zeit gibt es unter dem Namen der Schiller-Buchhandlung zusätzlich einen recht erfolgreichen Facebook– und Twitter-Account. Lässt es die Pause zwischen zwei Beratungsgesprächen zu, schaut Susanne Martin ins Web. Oft komme ihr dann der Blick in die virtuelle Welt sehr surreal vor.

Dank ihrer Engagements ist die kleine Schiller-Buchhandlung eine der bekanntesten Buchhandlung im Web, und der positive Nebeneffekt der Presseberichterstattung stellt sich ein. Martin ist derzeit die Fachfrau, wenn es um die Web-Aktivitäten speziell des Buchhandels geht.

In ihrem Vortrag reißt Susanne Martin für die relativ kleine Welt ihrer Buchhandlung das an, was auch die anwesenden Verlage stärker interessiert hätte: Wie verknüpfe ich die Werbung der On- und Offline-Welt, um für beide Bereiche das optimal Mögliche zu erzielen? Welche Regeln muss ich bei der Nutzung aufstellen (Martin: »Ich twittere nie über Kunden!«) und wie geht man mit kritischen Beiträgen und Kommentaren um?

Man muss es ausprobieren, man muss es wollen

Die bekannte Buch-Podcasterin und jetzige Lovelybooks-Mitarbeiterin Karla Paul (»Buchkolumne«) bringt es in ihrem Abschlussvortrag nochmals auf den Punkt und wiederholt, was Nina Reddemann von Hanser und Susanne Martin von der Schiller Buchhandlung berichteten und was für viele Marketing-Menschen ein Problem bei ihren Aktivitäten im »Social Web« ist: Man muss es ausprobieren, man muss es wollen. Vieles lässt sich nicht planen, und es gilt, den für das eigene Unternehmen besten Weg in diesem Medium zu finden, der nicht immer gradlinig verlaufen muss. Das kann eigene Zeit- und Budgetplanungen oft schwierig machen.

Trügerische Zahlenwelt

Die vermeintlich genaue Zahl von Visits, Klicks, Followern, Fans, Rankinglisten und Downloads vermittelt ein falsches Bild der Erfolge oder Nicht-Erfolge im Web. Gerade die längerfristige Verankerung und Kundenansprache im Web und die bessere Platzierung in den Suchmaschinen können positive Auswirkungen auf die Gesamtpositionierung im Internet sein. Wer hinterfrägt schon den Sinn und Unsinn teurer Anzeigen in gedruckten Zeitungen? Auch hier kann niemand die Mehrverkäufe zählen, wie es im Web trügerisch der Klick auf den »Kaufen«-Link suggeriert.

So kann man sich fragen, ob das betreute Twittern und »Facebooken« auf einer solchen Veranstaltung sinnvoll ist. Muss das Retweeten wirklich auf der Bühne erläutert werden? Oder ist der Blick auf das große Ganze nicht wesentlich sinnvoller? Zudem wäre eine professionellere Tagesmoderatorin wünschenswert.

Die Veranstaltung hat durch ihre angenehme Atmosphäre und den guten Teilnehmerkreis einen idealen Grundstein für weitere, vertiefende Events dieser Art gelegt. Für dieses nicht unerhebliche Verdienst muss man den Veranstaltern danken. Es bleibt zu hoffen, dass es Lovelybooks zu weiteren Veranstaltungen animiert und der Erfolg dieses Tages nicht nur in zusätzlichen verlagsbezahlten Lesekreisen bemisst.

Wolfgang Tischer

Links zu weiteren Berichten im Web:

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6 Kommentare

  1. „Mir schwirrt der Kopf“, klagte Verleger Klaus Kellner am zweiten Tag der AkV-Jahrestagung in Berlin. Er war wahrscheinlich nicht der Einzige, dem die Fülle an Information aus der großen Welt des Internets zu schaffen machte. Grund für die Irritation war das Thema Social Media Marketing und die damit verbundene Frage wie Verlage soziale Netzwerke nutzen können.“
    Dieses Zitat stammt aus einem Böbla-Artikel (http://www.boersenblatt.net/356601/) und umreisst die momentane Gefühlswelt vieler Verleger sehr treffsicher. Schließlich ist es noch gar nicht so lange her, da kannten Verlage nur zwei Publikationswege: einmal in den (Buch-)Handel hinein, um die Sortimenter davon zu überzeugen, bitteschön die Regale mit den eigenen Produkten zu bestücken und über die klassische Buch-PR, um Journalisten und Redakteure dazu zu animieren, die Neuheiten nach Möglichkeit zu belobhudeln. Eher die Ausnahme war dann vielleicht gerade noch der Messeauftritt auf Fachmessen.
    Nun passiert etwas, dass für viele wirkliches Neuland ist – direkte Kommunikation mit den Endkunden, zudem noch über verschiedene Plattformen, im „schlimmsten“ Fall sogar in Echtzeit. Die alten Regeln gelten nicht mehr, neue müssen erst aufgestellt werden – falls dies überhaupt möglich ist.
    Insofern war die Veranstaltung durch die Heterogenität der Zuhörer und die Multimedialität der Medien ein sehr gutes Beispiel, wie sich dabei der eine oder andere überfordert fühlte (oder eben auch unterfordert), sozusagen ein Abziehbild der Realität da draussen.
    Und eine weitere Regel solcher Veranstaltungen galt in München ebenfalls nicht mehr – die gefürchteten „Best Practise“-Beispiele, die man idR daheim am eigenen Schreibtisch eh nicht umgesetzt werden konnten, wurden durch eine erfreuliche Offenheit ersetzt, die aber genau deswegen vielfach Unsicherheit und weitere Fragen auslöste. Es gibt hier keine Patentrezepte.
    Probiert aus, macht Fehler, lernt – das Leben ist bunt…und dies finde ich als Fazit der Veranstaltung eigentlich sehr schön. Da darf dann durchaus auch mal betreut getwittert werden…

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