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Louisiana Literaturfestival 2018: »Als Autor ist man immer ein Anfänger«

Louisiana Literaturfestival: Christian Kracht (ganz rechts) wird interviewgerecht verstöpselt (Foto: Fellgiebel)
Louisiana Literaturfestival: Christian Kracht (ganz rechts) wird interviewgerecht verstöpselt (Foto: Fellgiebel)

Für alle die im Zweifel sind: Das Louisiana Literaturfestival findet nicht in den USA statt, sondern in Humlebaek, Dänemark, südlich von Hamlets Schloss in Helsingör, nördlich von Kopenhagen, in Europas schönstem Museum für moderne Kunst. Immer am 3. Augustwochenende, immer nach dem Saunaprinzip (siehe unten).

Wer (so wie ich) Anhänger lebendiger Literatur ist, kam einmal und kommt seitdem immer wieder. Die Mischung aus grandioser Kunst, faszinierender Natur, gelungener Architektur, guter Literatur und köstlichem Bier ist unwiderstehlich und muss erlebt werden. Von Barbara Fellgiebel.

Mein Louisiana Literaturfestival 2018 beginnt am Freitag mit einer Reihe von Enttäuschungen: Zunächst mit dem grau verhangenen Himmel, der den sonst so atemberaubenden Ausblick trübt.

Die sonst so spektakuläre Aussicht ist in diesem Jahr von grauen Wolken getrübt (Foto: Fellgiebel)
Die sonst so spektakuläre Aussicht ist in diesem Jahr von grauen Wolken getrübt (Foto: Fellgiebel)

Die viel gepriesene Gabriele-Münter-Ausstellung ist vier Tage vor dem Literaturfestival beendet – und durch nichts ersetzt worden. Die nächste Ausstellung beginnt erst Mitte September! Warum? Hätte man nicht noch dieses so wichtige Wochenende mit einbeziehen können, an dem Tausende Extrabesucher kommen? Nicht nur gibt es keine Ausstellung, es wird derzeit umgebaut und man hat schnell den Eindruck: Das Literaturfestival ist eigentlich im Weg. Es passt gerade nicht ganz rein. Ich hatte mich in diesem Jahr besonders auf die deutschsprachigen Autoren gefreut: Peter Nadas, Daniel Kehlmann, Christian Kracht und Yoko Tawada – und stelle zu meinem Entsetzen fest, dass Peter Nadas nur am Donnerstag Nachmittag liest, die restlichen drei mehrfach gleichzeitig auf verschiedenen Bühnen auftreten.

Liebe Programmdirektion! Kann man bitte darauf achten, dass internationale Autoren – insbesondere derselben Sprache – nicht parallel auftreten? Deren Publikum ist doch ein und dasselbe!

Das Saunaprinzip: Ganz heiße, angesagte Autoren und Künstler werden mit talentierten, (noch) unbekannten Kolleginnen und Kollegen eingeladen. So höre ich mir Mariana Enriquez an. Eine junge Argentinierin, deren Bühnenpräsenz leider nicht so faszinierend ist wie die Qualität ihrer Kurzgeschichten.

Ganz anders dagegen Sally Rooney: Die 27jährige sieht aus wie eine 47jährige Hausfrau  der 50er Jahre und spricht mit verblüffender Selbstsicherheit über das intelligente Viereck aus zwei Paaren (eines hetero, eines homosexuell), das die Grundlage für ihren Roman bildet. Sie reißt mit, und von ihr will man mehr hören und lesen; ich nenne das ALFA-Effekt.

Louisiana Literaturfestival: Christian Kracht (ganz rechts) wird interviewgerecht verstöpselt (Foto: Fellgiebel)
Louisiana Literaturfestival: Christian Kracht (ganz rechts) wird interviewgerecht verstöpselt (Foto: Fellgiebel)

Christian Kracht, das enfant terrible der deutschsprachigen Literatur, tritt im grünen Anorak auf, wird gleich neben mir mikrofontechnisch ausgerüstet, und ich kann mir nicht verkneifen, ihn zu fotografieren. Nichts passiert. Das war vor Jahren anders, als ich auf der Frankfurter Buchmesse wagte, ihn abzulichten. Da schoss seine Managerin auf mich zu und untersagte mir hysterisch, Herrn Kracht zu fotografieren. Zwei Minuten später stellt er sich vor die Menge und macht sein eigenes Mobilfoto. So ändern sich die Zeiten. Er wird von Philipp Alexander Ostrowicz interviewt und besteht (angeblich aus Rücksicht für das dänische Publikum) darauf, das Gespräch auf Englisch zu führen. Eine unglückliche Entscheidung, denn sein Englisch ist nicht so facettenreich und ausdrucksstark wie sein Deutsch, und das ewige »äh, hm, äh« von nervösem Durch-die-langen-Haarsträhnen-Geraufe begleitete Nach-Worten-Suchen ist ermüdend, auch wenn die dabei ungewollt entstehenden, an Urban Priol erinnernden Haarkreationen eines gewissen Unterhaltungswertes nicht entbehren.

Marc-Christoph Wagner (l) interviewt Daniel Kehlmann (r)
Marc-Christoph Wagner (l.) interviewt Daniel Kehlmann (Foto: Fellgiebel)

Ziemlich frustriert ob so vieler Enttäuschungen begebe ich mich zur Parkszene, der größten Bühne des Festivals, um Daniel Kehlmann über Tyll – sein soeben auf Dänisch erschienenes Buch – reden zu hören. Welch Unterschied! Welch Höhepunkt, nicht nur des Tages, sondern des gesamten Festivals! Er lässt sich von Marc-Christoph Wagner auf Deutsch interviewen, was sich keineswegs als Zumutung für das an allen richtigen Stellen lachende dänische Publikum erweist. Kehlmann ist in seinem Element, jungenhaft, bescheiden, eloquent, spontan – begeisternd. Er klingt mit seinen reifen 43 Jahren genauso jung wie vor 20 Jahren, als ich ihn erstmals hörte. Inzwischen ist er mit wichtigen Preisen überhäuft worden, darunter dem Schirrmacherpreis, den er für herausragende Leistungen zum Verständnis des Zeitgeschehens, seine geniale Handhabung der deutschen Sprache sowie der Analyse der deutschen Geschichte erhält. Die Laudatio hielt Bundespräsident Steinmayer. Kehlmanns Dankesrede finden Sie hier.

Tyll ist kein trockener Historienschinken. Man muss herzlich lachen, während die da sterben, meint Wagner. Kehlmann erzählt, wie er oft gehört hat, dass sich Romanfiguren verselbständigen, aber das war ihm noch nie passiert. Bis jetzt. Bis Elizabeth Stewart das Buch unerwartet an sich riss. Die englische Elizabeth und ihr deutscher Gemahl haben Shakespeare im Originaltheater in London gesehen, und nach 20-jähriger Ehe in Deutschland resümiert sie: Wie kann man 20 Jahre schlechtes Essen, schlechte Kultur und schlechtes Theater aushalten? Tyll erschien passenderweise zum 400. Jubiläum des Beginns des 30-jährigen Krieges (1618-48).

Die Beschäftigung mit dem 30-jährigen Krieg hat Kehlmann im Hinblick auf die gegenwärtige Situation in Syrien sehr pessimistisch gemacht. Wenn ein Land einsieht, dass das Aussteigen aus dem Krieg teurer ist als das Weitermachen, ist an Frieden nicht zu denken …

Daniel Kehlmann beim Signieren
Daniel Kehlmann beim Signieren (Foto: Fellgiebel)

Marc-Christoph Wagner, den ich an dieser Stelle schon öfter hart kritisiert habe, ist bis zu den Haarwurzeln vorbereitet, führt ein glänzendes Interview und vergisst doch nicht, die schwierigen, aber für nicht Deutsch verstehende Dänen notwendigen Zusammenfassungen auf Dänisch einzustreuen. So gut habe ich ihn noch nie erlebt. Man merkt, es macht beiden Spaß. Die Chemie stimmt.

Orlando - eine Kostprobe des kommenden Theaterstücks
Orlando – eine Kostprobe des kommenden Theaterstücks (Foto: Fellgiebel)

Orlando – auf der Parkbühne gibt eine dänische Theatergruppe einen kleinen Einblick in Virginia Woolfs Klassiker, den sie in diesem Herbst in Kopenhagen aufführen.

Übertragen in den Park: Javier Marias
Übertragen in den Park: Javier Marias (Foto: Fellgiebel)

Auf den spanischen Autor Javier Marias bin ich neugierig. Sein Weltbestseller Mein Herz so weiß hat mich vor 25 Jahren sehr berührt. Er hat seitdem so einige Romane geschrieben – alle ohne Botschaft meint er, weder moralisch noch politisch. Romane sind das Gegenteil von Prozessen, erklärt er, sie sollten nicht verurteilt werden, schuldig oder nicht.

Er schreibt seit Jahren soziologische und politische Sonntagskolumnen in der spanischen Tageszeitung El Pais. Man kann nicht allen Leuten das Sonntagsfrühstück verderben, meint er, und erzählt faszinierend, wie er schreibt: »Im Roman gehe ich nie zurück, schreibe keine zweite Version. Nie. Ich korrigiere, aber ich schreibe den Roman nicht um. Meine Romane sind wie das Leben. Das kann ich auch nicht “umleben”. Ich staune manchmal über die unerwartete Kohärenz meiner Romane. Ich habe Spaß beim Schreiben, aber ich bin nie zufrieden mit dem, was ich schreibe. Ich denke oft: Früher habe ich besser geschrieben.«

Ein sympathischer Autor, dem man noch lange zuhören möchte.

Am Samstag ist zwar Regen angesagt, doch wir werden von strahlendem Sonnenschein geweckt, der über die frischen 13 Grad hinwegtäuscht. Auf nach Helsingör, ein Blick auf Hamlets Schloss Kronborg geworfen und rein in die Samstagmorgenwuseligkeit des beschaulichen Städtchens. Auf dem Weg nach Louisiana entdecken wir Zaun an Hecke mit Europas imposantestem Museum für moderne Kunst einen Friedhof ungewöhnlicher Art: Rund um einen pittoresken See, den wir gestern schon aus dem Giacomettisaal bestaunten, liegen kleine, von Pflanzen versteckte Grabsteine. Vielerorts Parkbänke zwischen Steinen und See. Ein einladender Ort, Toter zu gedenken.

Ars Nova – eine eigenwillige Musikgruppe heißt uns auf der Villabühne willkommen. Wir freuen uns auf das als besonders lecker in Erinnerung gebliebene Lunchbuffet. Auch eine Enttäuschung für Vegetarier.

CaConrad

CaConrad wird von Festivalleiter Christian Lund interviewt. Im Konzertsaal, dem Saal, in den man normalerweise keinen Einlass findet, weil er immer im Handumdrehen hoffnungslos überfüllt ist, sind an diesem Festivalsamstag ganze Stuhlreihen leer. Ich verstehe die Welt nicht mehr.

Der ungewöhlich leere Konzertsaal
Der ungewöhlich leere Konzertsaal (Foto: Fellgiebel)

CaConrad ist ein beeindruckender amerikanischer Poet, dessen Buch The Book of Frank nun auf Dänisch erschienen ist. Er erzählt, wie er sich aus der Literaturlosigkeit seines Elternhauses in Tennessee befreite und im Alter von neun Jahren auf die Poesie von Emily Dickinson stieß.

Louisiana Literaturfestival 2018: 5
CaConrad (l) im Gespräch mit Festivalleiter Christian Lund (r)

Er sagt interessante Sätze wie »Effizienz fördert Brutalität« oder »Zoos sind Gefängnisse, in denen keiner der Insassen je einen Rechtsanwalt gesehen hat.«

CaConrad verursacht klare ALFA-Effekte: Von ihm will man mehr hören.

Höhepunkt des heutigen Tages: Marc-Christoph Wagner interviewt Daniel Kehlmann und Christian Kracht zusammen. Wieder im Konzertsaal, direkt nach CaConrad, sodass man entweder ihm zuhören konnte oder draußen in der Schlange an der Drängelei nach den begehrten Plätzen mitmischte. Ein enervierendes System, besonders für Journalisten, die von beiden Veranstaltungen berichten wollen. Ich werde zur Außenübertragung geschickt und darf mir die Veranstaltung zweidimensional ansehen, spärlich geschützt von einer Plane, die dem gewaltigen Regenguss kaum stand hält.

Übertragen im Park: (v. l. n. r.) Daniel Kehlmann, Christian Kracht und Marc-Christoph Wagner
Übertragen im Park: (v. l. n. r.) Daniel Kehlmann, Christian Kracht und Marc-Christoph Wagner (Foto: Fellgiebel)

Leider hat Christian Kracht – heute wie gestern – wieder darauf bestanden, das Gespräch auf Englisch zu führen, wieder aus vermeintlicher Rücksicht auf das dänische Publikum. Welch Genuss an Sprachakrobatik und Wortgewalt dadurch verloren geht, scheint ihm nicht klar zu sein. Zu schade, zumal ihm während des Gesprächs mehrfach bewusst wird, wie stockend und begrenzt seine englische Ausdrucksweise ist. Ein Jammer. Daniel Kehlmann ist auf Englisch überlegener, doch im Vergleich zu gestern ebenfalls bedeutend ausdrucksschwächer.

Beide haben viele Gemeinsamkeiten: Kehlmann lebt in New York, Kracht in Los Angeles, beide kennen einander schriftlich, haben sich aber  noch nie getroffen. Beide achten einander und beginnen mit einer fast peinlichen Lobhudelei, die übertrieben wirkt, wohl aber ehrlich gemeint ist. Kracht gibt zu, dass er von Kehlmann stiehlt, und Kehlmann, dass er von Esterhazy stiehlt. Sympathisch.

Heute wie gestern ist Wagner bestens vorbereitet und stellt interessante Fragen, die Kehlmann bescheiden und gut beantwortet, während Kracht verwirrt meint, dazu könne er nichts sagen, er sei von dieser Sprachgewalt überfordert.

Beide schildern detailreich, wie sie Amazon-Kritiken von Lesern lesen.

Louisiana Literaturfestival 2018 (Foto: Fellgiebel)
Louisiana Literaturfestival 2018: Zelt im Außenbereich (Foto: Fellgiebel)

Wagner erntet einen riesigen Lacherfolg, als er beim Vorlesen einer Textstelle von Kracht auf dänisch »Eileiter« statt »Eiteiler« liest. (äggledare – äggdelare). Das entspannt die Atmosphäre, die zuvor wie elektrisch geladen war, als die Sprache auf die Frankfurter Poesievorlesung kam, in der Kracht geschildert hatte, dass er als 11-Jähriger im kanadischen Internat missbraucht worden sei und seine Eltern mit »das bildest du dir ein« reagiert hätten.

Man kann nur verlieren, wenn man seine alten Bücher später nochmals liest, meint Kehlmann und empfiehlt: Weiter schreiben! Als Autor ist man immer ein Anfänger. Selbst ein großer Erfolg (in seinem Fall Die Vermessung der Welt, in Krachts Fall Faserland) garantiert nicht, dass das nächste Werk ein Erfolg werde. Allein die Erfahrung helfe.

Summa Sumarum: Auch wenn das Louisiana Literaturfestival 2018 nicht zu den besten der bisher stattgefundenen zählte, es ist immer einen Besuch wert, und ich freue mich auf das dritte Augustwochenende 2019.

Barbara Fellgiebel

Barbara Fellgiebel ist langjährige Buchmessen- und Literaturfestival-Beobachterin. Sie verweigert sich nach wie vor erfolgreich den sozialen Medien, freut sich aber über Ihre Reaktionen hier als Kommentar.

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