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Büchermachen XV: Kinder lesen lieber und die Hamburger Erklärung

Unregelmäßig und immer am Samstag berichtet der Lektor, Verleger und Literaturagent Vito von Eichborn über das Büchermachen. Es geht ihm nicht um Theorien, sondern um das Handwerk auf dem Weg zur »Ware Buch«. Er redet Klartext, räumt mit Vorurteilen auf – und will zum Widerspruch anregen. Und er bittet um Fragen über den Buchmarkt, um an dieser Stelle darauf einzugehen.

Eine Kolumne von Vito von Eichborn

Heute sei mal referiert, denn dies finde ich spannend: Die Überschrift zu einer großen Studie zur Nutzung der Medien hatte kürzlich die Überschrift: »Kinder mögen am liebsten gedruckte Bücher«. Das hört ich doch richtig gut an – tatsächlich lesen drei Viertel der Kinder zwischen 4 und 13 Jahren mehrmals pro Woche Bücher oder Zeitschriften. Dreiviertel von ihnen dürfen ihr Taschengeld – durchschnittlich 23 Euro – beliebig ausgeben. Nach Süßigkeiten folgt Lesestoff statt Spiele oder Apps. Elektronische Endgeräte und Lesemedien spielen dabei keine besondere Rolle. Dabei wird das Kinderzimmer naturgemäß mit zunehmendem Alter digitaler; 92 % der 13jährigen besitzen ein Smartphone.

Dabei verfügen Kinder laut Studie über »eine gute Balance zwischen der analogen und digitalen Beschäftigung« – am wichtigsten ist »mit Freunden zusammen sein« und »im Freien spielen«. Für sie ist das Internet »wie ein Buch, wo alles drinsteht, nur dass es eben auf dem Bildschirm ist«. Aber wenn es heißt, »der Papa sitzt stundenlang drin und redet nicht mit uns«, finden sie es doof. Und wenn sie es mit Superkräften benutzen könnten, um die Welt zu verändern, würden sie »die Welt gerechter machen«. Und am liebsten »die Politik abschaffen, denn darüber ärgern sich meine Eltern immer«.

Die Untersuchung macht zwar Mut – jedoch gibt s eine Kehrseite. Im Internet findet man die »Hamburger Erklärung: Jedes Kind muss lesen lernen«. Ich denke, diese Petition verdient es, unterstützt zu werden. Darin heißt es:

Knapp ein Fünftel der Zehnjährigen in Deutschland kann nicht so lesen, dass der Text dabei verstanden wird. Im internationalen Vergleich ist Deutschland seit 2001 von Platz 5 auf Platz 21 aller beteiligten Länder abgerutscht. Zudem ist in Deutschland das Ergebnis am stärksten von der sozialen Herkunft abhängig. Wer nach der Grundschulzeit nicht sinnentnehmend lesen kann, wird es in den weiterführenden Schulen nicht lernen. Lesen ist noch immer die Schlüsselqualifikation für die Teilhabe an der Gesellschaft.

Die Unterzeichner fordern auf, für folgende Punkte Sorge zu tragen:

  • Das Lesenlernen und Lesen gehört stärker in den Fokus der Bildungspolitik.
  • An den Grundschulen müssen frühzeitig Fördermaßnahmen in Kleingruppen eingeführt werden.
  • Diese Förderstunden dürfen nicht für Vertretungsunterricht zweckentfremdet werden.
  • Es müssen ausreichend Grundschullehrer eingestellt werden = mehr Studienplätze für die Lehrerausbildung.
  • Es muss Schulbibliotheken, Lesungen und Lektüreprogramme gerade auch an solchen Schulen geben, deren Schülerschaft eher bildungsfern ist.
  • Für all diese Zwecke müssen jetzt genügend Mittel in den Haushalten ausgewiesen werden. Das Lesen darf nicht den Bemühungen um die Digitalisierung der Schulen zum Opfer fallen.

Ich finde, die haben recht. Punkt.

Vito von Eichborn

Fragen? Meinungen? Kommentare? Vito von Eichborn freut sich über Rückmeldungen! Am besten unten in den Kommentaren oder per Mail an buechermachen(at)literaturcafe.de.

Vito von Eichborn, 1943 geboren, Studium, Journalist und Aussteiger, begann 1973 im Lektorat bei Fischer in Frankfurt. 1980 Gründung des Eichborn Verlags, den er 1995 freiwillig verließ: »Das war der Fehler meines Lebens.« Geschäftsführer bei Verlagen in Hamburg. Lebt seit 2007 in Bad Malente. Gründete zwischenzeitlich auf Mallorca den Verlag Vitolibro, den er mit norddeutschen Regionalia, literarischen Ausgrabungen und Kuriosa fortsetzt. Ist manchmal Agent für Autoren (»nur, wenn das Projekt marktfähig ist«), schreibt, lektoriert, entwickelt Projekte.

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