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Büchermachen XXIV: Vom Schreiben wie vorgestern – und Selbstkritik

Unregelmäßig und immer am Samstag berichtet der Lektor, Verleger und Literaturagent Vito von Eichborn über das Büchermachen. Es geht ihm nicht um Theorien, sondern um das Handwerk auf dem Weg zur »Ware Buch«. Er redet Klartext, räumt mit Vorurteilen auf – und will zum Widerspruch anregen. Und er bittet um Fragen über den Buchmarkt, um an dieser Stelle darauf einzugehen.

Eine Kolumne von Vito von Eichborn

Auf die China-Kolumne hin bekam ich Angebote – jedoch keine, die was mit meinem Text zu tun hatten. Meister Tischer sagt, ich solle doch noch mal erklären, was Sinn macht – und was nicht.

Zwei Autorinnen meinten, ihre Kinderbücher wären doch sicher was für chinesische Kinder. Das hatte zwar inhaltlich nix mit dem zu tun, was ich geschrieben habe – aber, naja, man kann ja mal fragen. Ich hatte sinngemäß gesagt, es sollten Chinesen drin vorkommen. Und vor allem: Es solle so professionell sein, dass es zunächst hierzulande verlegt werden könne. Von einer anderen Autorin kamen lauter Bilder, weil ich was von guten Illustrationen gesagt hab. Die Bilder gefielen mir zwar durchaus – aber es war kein Text dabei. Der kam dann – und war okay, aber eben nix Besonderes. Und schon gar kein »Bilderbuch« – das sind die mit meist 32 Seiten oder so.

Schließlich kam in dieser Woche noch was ganz anderes – eine Autorin schickte Märchen! Da ging jemand in den Wald … Ich antwortete: Es macht keinen Sinn, im Jahre 2018 Märchen zu schreiben, als ob sie aus dem 19. Jahrhundert stammen. Märchen sind eine Gattung, die einst als Volksmärchen ihre Berechtigung hatte – nämlich im »Volk« mündlich weitergegeben wurden. Die Menschen waren hungrig, unterdrückt, ungebildet – Geister, Gold und Glück spielten eine andere Rolle, unser Begriff von »Kindheit« war so noch nicht erfunden. Später lebten sie als Kunstmärchen weiter – das sind die mit eindeutigem Autor. Ist »Der kleine Prinz« ein Märchen? Heute fürs »Volk« gestrige Märchen zu schreiben ist wie der Versuch, in der Sprache von Tolstoi und Dostojewski von Taten und Untaten zu erzählen.

Also ganz generell: Schreiben kann ja alles Mögliche für einen selbst bedeuten. Wer meint, dass es für eine breitere Öffentlichkeit sein soll, also Texte an Agenten oder Verlage schickt, sollte überlegen: Ist es, eben: Was Besonderes? In Form und Inhalt? Ist jedes Wort überlegt?

Wir kennen die Beispiele der Außenseiter, die von den Zeitgenossen missachtet wurden (Henning Boetius hat Romane über sie geschrieben: Brentano und Lenz, Rimbaud und Lichtenberg). Und wir kennen Mainstreamautoren, zurzeit in den Krimifluten, die oft übers Thema funktionieren, z. B. als Regionalia. Okay, Handwerk. Jedoch: »Me too«-Bücher, die geschrieben sind »so wie …«, gibt’s genug. Wir Büchermenschen suchen das Ungewöhnliche.

Was für ein Autor bin ich? Schreibe ich, wie so viele, naive Gedichte und Geschichten? Harmlose, gut gemeinte Zeigefingertexte für die Verbesserung der Welt? Viel Spaß dabei.

Was mich oft erstaunt, ist die fehlende Selbstkritik. Wer schreibt, der liest doch? Viel! Schaut man nicht von außen voller Zweifel auf die eigenen Texte?  Würde ich dies freiwillig ganz lesen wollen? Dafür Geld ausgeben? Es anderen zur Lektüre weiterempfehlen?

Ja? Dann her damit. Ich schau mir alles an. Sage allerdings auch, wenn ich es nicht für professionell halte. Denn das zumindest sollte es sein!

Vito von Eichborn

Bewerbungen? Fragen? Meinungen? Manuskripte? Kommentare? Vito von Eichborn freut sich über Rückmeldungen! Am besten unten in den Kommentaren oder per Mail an buechermachen(at)literaturcafe.de.

Vito von Eichborn, 1943 geboren, Studium, Journalist und Aussteiger, begann 1973 im Lektorat bei Fischer in Frankfurt. 1980 Gründung des Eichborn Verlags, den er 1995 freiwillig verließ: »Das war der Fehler meines Lebens.« Geschäftsführer bei Verlagen in Hamburg. Lebt seit 2007 in Bad Malente. Gründete zwischenzeitlich auf Mallorca den Verlag Vitolibro, den er mit norddeutschen Regionalia, literarischen Ausgrabungen und Kuriosa fortsetzt. Ist manchmal Agent für Autoren (»nur, wenn das Projekt marktfähig ist«), schreibt, lektoriert, entwickelt Projekte.

4 Kommentare

  1. Mist!
    ich schreibe gut gemeinte Zeigefingertexte, in denen zwar SS-Männer vorkommen, die eigentlich gar nicht so schlecht sind. Aber Mist! Die müssen böse sein und man soll doch bitte nicht Zeigefingertexte jenseits des Mähnstreams veröffentlichen, auch dann nicht, wenn sie gut gemeint sind. Habe ich das jetzt richtig verstanden?
    Spaß beiseite: Als Autor ist man seinem Werk gegenüber zwangsläufig unkritisch. Einerseits fragt man sich, warum man nicht in die Shortlist des Literaturnobelpreises kommt und dann schämt man sich im nächsten Moment für den Schwachsinn, den man produziert hat. Zumindest mir geht das ständig so.
    Nur eines muss man als Autor können: Man muss negative Kritik einstecken können. Kann ich nach fast vierzig Jahren aktiv in der Lehrerfortbildung Spanisch. Doch: Scheiße nein. Ich würde dem Vito nie einen Text schicken. Negative Kritik einstecken ist eine Sache, aber sie unnötig veröffentlicht sehen? Nein Danke. Notwendig veröffentlichte Kritik kommt in Rezensionen, in Bewertungen bei Amazon, vor allem natürlich vom Lektor und meiner Ehefrau. Diese Kritik ist notwendig und meist gut. Aber sich öffentlich zur Sau machen lassen, also mal ehrlich, das muss man sich von vornherein gut überlegen.

  2. Selbstkritik empfehle ich allen, die Texte schreiben. Egal, was für welche.

    Selbstkritik ist grundsätzlich eine gute Sache. Die dabei entstehenden Erkenntnisse sind im ersten Moment oft nicht angenehm, können aber hilfreich sein. In vielerlei Hinsicht. Bestenfalls führen sie zu Selbsterkenntnis. Und wenn Verfasser von Texten jeglicher Couleur diese Selbsterkenntnis subtil in ihre Texte einfließen lassen, hat auch der Leser was davon.

  3. Tja, Sir, ich habe noch nie jemanden öffentlich zur Sau gemacht! Niemals mit Namen! (Wenn er sich nicht selbst geoutet hat. Und auch dann schonungsvoll.) Unkenntliche Textteile, die von sonstwoher stammen können, als pars pro toto zu kritisieren, na klar.
    VvE

  4. Achja, Verlage… das sind diese Orte, wo man ungefragt um die Ohren gehauen bekommt, dass es in Deutschland mehr Autoren gibt als Leute, die lesen können.
    Man wünscht ihnen mehr Selbstverleger auch unter den wirklichen Talenten, die auf Dauer auf die Buckelei verzichten.

    Das hat letztlich sowas von Apps zur Partnersuche, bei denen der Finger schon über dem „Weiter“-Knopf schwebt, ehe dem Gehirn Gelegenheit verschafft würde, die Ablehnung vehement abzubremsen, sofern es zu einer solchen Regung denn noch fähig sein sollte… auf das vorgeblich Gesuchte gesch***en… als sei’s Charakter, auf den es ankommt, statt offensichtlicher Schönheit des Profilbildes, oder nicht gar bloßer Haarfarbe, bei entsprechender Ausprägung sekundärer Geschlechtsmerkmale.
    Nackte Oberfläche.

    Übersättigte, Verwöhnte und Überversorgte lassen sich nicht befriedigen, aus offensichtlichen Gründen.
    Mir stets darüber im Klaren, dass jedes zu lesende Wort einem Empfänger dieser Sorte als Zumutung erscheinen müsste, wäre es auch noch so sorgfältig gewählt, fiel mir die Entscheidung daher nicht schwer:
    Single aus Überzeugung 😀

    Ich hörte übrigens neulich in einem Videobeitrag, entscheidendes Merkmal in der Literatur sei das Bewegen des Lesers hin zu Denkprozessen, Themen wie Ethik betreffend oder den Wert des Menschen. Wenn da tatsächlich ein Zusammenhang bestünde, müsste die Frage folgen, woher es wohl kommen mag, dass ein ganz besonderes Maß an Respektlosigkeit gegegenüber dem Menschen an sich gerade denjenigen vorauseilt, denen Nähe zu Literatur nachgesagt wird.
    Grundsätzlich Perlen vor die Säue?
    Konzeptfehler?
    Oder bloß eine unangenehme Ausnahme?

    Na, vielleicht auch einfach Thema verfehlt. Ich vergaß ja fast. Zeigefinger unerwünscht. Dem Verfasser wäre eine Veröffentlichung wie 1984 wohl nicht passiert.
    Faust vielleicht schon. Aber das reimt sich ja auch, das funktioniert auch nach hundert Jahren noch.

    Man mag es aus marktwirtschaflicher Sicht sehr wohl kritisch betrachten, gerade im Hinblick auf eine internationale, sich entwickelnde Monopolstellung. Aber stattdessen (und da Zeigefinger ohnehin unerwünscht) mag man sich vergegenwärtigen, dass das oben recht schamlos Gezeigte über lange Zeit alleinherrschende Alternative war… und kann Amazon eigentlich nur noch dankbar sein, diesen Sumpf allmählich ins Gestern zu bewegen.

    Entschuldige mich für das Geschwurbel. Ist ja wie von vorgestern.
    Machen wir’s also gerade mal dem Heute angemessen:

    tl;dr: Wie ätzend kann man sein. #thumbdown #nichtmeineliteratur

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