StartseiteBuchkritiken und Tipps»Kindeswohl«-Verfilmung nach Ian McEwan: Sittenbild einer Akademiker-Ehe

»Kindeswohl«-Verfilmung nach Ian McEwan: Sittenbild einer Akademiker-Ehe

Emma Thompson und Stanley Tucci in »Kindeswohl« (Foto: Concorde Filmverleih)
Kinoplakat: Emma Thompson und Stanley Tucci in »Kindeswohl« (Foto: Concorde Filmverleih)

Der britische Regisseur Richard Eyre hat den Roman »Kindeswohl« verfilmt. Autor Ian McEwan hat auch das Drehbuch adaptiert. Im Zentrum des Films steht die hervorragende schauspielerische Leistung von Emma Thompson. Ob das reicht, muss man im Kino selbst entscheiden.

Fiona Maye (Emma Thompson) ist Familienrichterin in London. Ein 17-jähriger Junge (Fionn Whitehead) liegt aufgrund einer Krankheit im Sterben. Eine Bluttransfusion könnte ihn nach Meinung der Ärzte retten. Doch die Eltern des Jungen sind Zeugen Jehovas und lehnen Blutübertragungen ab. Und auch der Junge will kein fremdes Blut erhalten und besteht darauf, dass dies seine eigene Entscheidung sei und nicht die seiner Eltern.

Maye muss darüber urteilen, ob der Staat gegen den Willen der Eltern und des minderjährigen Patienten eine Bluttransfusion anordnen darf, sofern sie Leben retten kann. Um sich ihr Urteil zu bilden, besucht die Richterin reichlich unkonventionell – und daher unglaubhaft melodramatisch – den Patienten im Krankenhaus.

Zu diesem gerichtsdramatisch-beruflichen Konflikt gesellt sich ein privater. Mayes Ehemann (gespielt von Stanley Tucci) empfindet die kinderlose Ehe als erlahmt. Maye ziehe die Arbeit und Überstunden auch am heimischen Schreibtisch vor. Gerne würde ihr Mann die Ehe (auch sexuell) wiederbeleben, und unverhohlen kündigt er an, ansonsten ein Verhältnis mit einer jüngeren Kollegin zu beginnen. Da Mayes Arbeitssituation angespannt bleibt, setzt ihr Mann den Alternativplan in die Tat um.

Mit ihrem Urteil hat Richterin Maye (Emma Thompson) dem 17-jährigen Adam (Fionn Whitehead) das Leben gerettet. Jetzt verfolgt er sie. (Foto: Concorde Filmverleih)
Mit ihrem Urteil hat Richterin Maye (Emma Thompson) dem 17-jährigen Adam (Fionn Whitehead) das Leben gerettet. Jetzt verfolgt er sie. (Foto: Concorde Filmverleih)

Natürlich trägt das Gerichtsdrama nicht den Film, denn es ist nicht verwunderlich, dass Maye zum Wohle des Kindes die Bluttransfusion anordnet. Es beginnt der zweite Teil des Films, in dem der Junge zum Bewunderer und Stalker der Richterin wird. Weitere Wendungen sollen nicht verraten werden.

Bis in die Nebenrollen hinein ist der Film hochkarätig besetzt. Unbedingt erwähnt werden muss Jason Watkins in der Rolle des loyalen Gerichtssekretärs. Doch Emma Thompson überstrahlt mit ihrer Darstellung der Richterin alles. Wieder einmal ist es wohltuend, dass es sich um eine britische Produktion handelt, die im Ton eher nüchtern und sachlich bleibt und Abstand hält vom überzogenen Hollywood-Pathos. Wie die Kamera eine britische Richterin bei der Arbeit im Gerichtssaal und im Büro beobachtet, wirkt fast schon dokumentarisch. Selbst den Konflikt zwischen dem Gesetz und den Zeugen Jehovas behandelt der Film mit gerichtlich-neutraler Ausgewogenheit.

Dass sich die Konflikte des Filmes vorhersehbar und ohne größere Komplikationen auflösen, ist die Schwäche des Films. Trotz dramatisch angelegter Szenen bleibt der Film undramatisch und ist im Kern das Sittengemälde einer in die Jahre gekommenen Akademiker-Ehe mit Hausmusikabend.

Jack (Stanley Tucci) will die Ehe mit Fiona (Emma Thompson) gerne wiederbeleben (Foto: Concorde Filmverleih)
Jack (Stanley Tucci) will die Ehe mit Fiona (Emma Thompson) gerne wiederbeleben (Foto: Concorde Filmverleih)

Im Gegensatz zum Buch ist die Figur des Ehemanns verständnisvoller gezeichnet. Obwohl eine starke Frau im Zentrum steht, überkommt einen der Eindruck, dass der Film subtil die Botschaft verkünde, dass statt Beruf und Karriere Kinder und ein liebender Ehemann die bessere Wahl sein könnten. Stanley Tucci füllt seine Rolle im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten gut aus, doch im Grunde ist er die männliche Version der »liebenden Ehefrau«, die (bzw. hier: der) zeigen muss, dass Karriere und Die-Welt-retten nicht alles im Leben ist. Anders sind die Szenen nicht zu deuten, die Tucci als potenziell besten Vater der Welt zeigen, wenn er als liebevoller Onkel den Kindern vorliest. So wie die Gerichtsentscheidung von Maye nicht überrascht (Kindeswohl vor Glaubenssatz), scheint der Film zu suggerieren, dass die private Entscheidung ebenso klar auf der Hand liege: weniger Arbeit und Karriere und die Rückkehr zum liebenden Ehemann. Doch auch unabhängig davon ist das unverknüpfte Parallellaufen der beiden Konflikte dramaturgisch simpel gestrickt wie bei einer Fernseh-Soap . Dazwischen stellt der Film die weitaus interessantere Frage, ob und wann eine Entscheidung tatsächlich selbstbestimmt ist und als solche gefällt werden kann. Doch just diese bleibt bei den im Vergleich dazu simpel anmutenden Konflikten Mayes und der Brillanz von Emma Thompson im Hintergrund hängen.

So stehen die hervorragenden Schauspieler und die gelungene Inszenierung auf der einen Seite, auf der anderen Seite die eindimensionalen Konflikte und die schwache Dramaturgie. Das Urteil muss der Zuschauer fällen.

Wolfgang Tischer

Kindeswohl (The Children Act). Großbritannien 2017. 105 Minuten. FSK 12. Mit Emma Thompson, Stanley Tucci, Fionn Whitehead und Jason Watkins. Drehbuch: Ian McEwan auf Basis seines gleichnamigen Romans. Regie: Richard Eyre. Im Kino ab 30.08.2018.

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