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Hard Land: Benedict Wells hat gelesen und Jacob Brass hat gesungen

Zwei gut gelaunte Männer in Stuttgart: Jacob Brass (links) und Benedict Wells in Stuttgart
Zwei gut gelaunte Männer in Stuttgart: Jacob Brass (links) und Benedict Wells in Stuttgart (Foto: Tischer)

Weiße Masken, wohin das Auge des Autors von der Bühne blickte. Benedict Wells hat in Stuttgart aus »Hard Land« gelesen, und Jacob Brass hat gesungen. Ein Bericht über eine Lesung mit Musik und die ständige Frage, warum ich denn da hingegangen bin.

Warum zu Benedict Wells?

Die Frage kam immer: »Warum gehst du denn zu einer Lesung von Benedict Wells?« Meine Rezension des Romans »Hard Land« sei doch alles andere als positiv gewesen.

Die Karte für die Lesung hatte ich bereits im Januar 2021 gekauft, als Wells’ Lesetour für den Herbst angekündigt wurde und der Roman noch gar nicht erschienen war. Doch das war nicht der Grund, denn für die Rezension hatte ich das Buch bereits gelesen und kannte es. Natürlich ist das Buch wie ein Bausatz konstruiert, doch die Mechanik der Geschichte ruft perfekt die Emotionen der Zielgruppe ab. Und um Letztere ging es mir. Ich wollte sehen, wie Wells sein Buch auf der Bühne inszeniert und wollte sehen, wie es auf das Publikum wirkt. Da Benedict Wells nicht viele Interviews gibt, erwartete ich in meinen Vorurteilen einen schüchternen Autor und überwiegend junge weibliche Fans. Vorurteile und Erwartungen im Lockdown-Januar, in dem man auf die Impfung hoffte und nicht wissen konnte, wie eine Lesung im November aussehen würde.

Zehn Monate später an einem dunklen Novemberabend vor dem Stuttgarter »Wizemann«. Der Roman »Hard Land« ist wie erwartet zum Bestseller geworden, stand im Frühjahr oben auf der SPIEGEL-Liste, bekam meist gute Besprechungen, ist jedoch mittlerweile aus den Top-20 gerutscht.

Gleichberechtigt auf der Bühne

Einlass hätte um 18 Uhr sein sollen. Doch selbst 15 Minuten danach tut sich noch nichts, und ein Mann von der Security bittet darum, man möge doch statt auf der Straße auf dem Gehweg anstehen. Nach 100 Metern geht die Schlange sanft um die Kurve, und das Ende ist nicht zu sehen. Als die Zeit voranschreitet, scheint ein Beginn um 19 Uhr nicht realistisch. Doch »Im Wizemann«, wie die Veranstaltungsstätte offiziell heißt, ist man gut organisiert. Die dreistufige Einlasskontrolle – Corona-Check, Body-Check und Ticket-Check – läuft perfekt, und um 19 Uhr sitzen alle dicht an dicht wie vor der Pandemie aber mit Masken im großen, bestuhlten Saal, der über 1.000 Menschen fasst. Ausverkauft.

Hard Land - Benedict Wells / Circletown by Jacob Brass
Event-Ankündigung im Kino-Look: Teil der Bühnendeko (Foto: Tischer)

»Im Wizemann« finden ansonsten eher Konzerte statt, und wenn hier Autorinnen und Autoren zu Gast sind, dann sind es keine Wasserglaslesungen mit Moderation. Zuletzt, vor der Pandemie, habe ich hier Heinz Strunk gesehen, der las und Saxophon spielte. Benedict Wells hat sich einen Musiker mitgebracht: Jacob Brass. Es habe da kein Casting gegeben, betont Wells. Er und Jacob Brass seien schon seit 11 Jahren befreundet.

Natürlich sind die Menschen wegen Benedict Wells gekommen, doch Brass und Wells stehen an diesem Abend gleichberechtigt auf der Bühne. Wobei: sie sitzen. Der Autor am rotumdeckten Tisch mit Schirmlampe, der Musiker auf einem Barhocker mit Stehlampe daneben. Der Abend ist Konzert und Lesung. Benedict Wells präsentiert seinen Roman »Hard Land« und Jacob Brass sein Album »Circletown«. Beide Werke, so erzählen es die beiden, seien unabhängig voneinander entstanden. Und doch passten sie in ihrer Stimmung wunderbar zueinander. Der deutsche Sänger Brass singt auf Englisch und der deutsch-schweizer Autor Wells lässt seinen Roman in den USA spielen.

USA statt Füssen

Die Idee zu »Hard Land« sei ihm vor über zehn Jahren auf einer USA-Reise gekommen. Als er noch zur Zeit von George W. Bush ein Provinzstädtchen besuchte, fand Wells dort alle USA-Klischees und Vorurteile bestätigt, wohl wissend, dass es in den USA auch immer das Gegenteil gebe. Es entstand die Idee eines Coming-of-Age-Romans, der in Missouri in den 1980er-Jahren spielt. Das sei, sagt Wells, in der Wirkung wie ein Film in Breitwandformat. Bei einem autobiografischen Ansatz einer Jugend in den 1990er-Jahren in Füssen, wäre das Bild geschrumpft und nicht mehr als eine Kurzgeschichte draus geworden, sagt der 1984 geborene Autor. Die Außensicht sei häufig interessanter als das Selbsterlebte. Auch die Autoren der in den 80ern spielenden Netflix-Serie »Stranger Things«, die Brüder Matt und Ross Duffer, seien 1984 geboren.

Doch die Serie und andere aufkommende 80er-Referenzen der letzten Jahre bereiteten Wells auch Sorgen, als der über die Jahre entstandene Roman der Veröffentlichung entgegenging. Womöglich würden alle denken, jetzt kommt auch noch Wells mit einer 80er-Geschichte.

Wenn Wells an diesem Abend berichtet, dass er bewusst Klischees im Roman haben wollte, wenn er seine Hauptfigur Sam bisweilen so sprechen lassen wollte, wie man es als Jugendlicher cool, als fast 40-Jähriger aber ein wenig peinlich fände, dann klingt das für mich, als müsse er sich für Rezensionen wie meine rechtfertigen. So richtig gut, werde sein Roman erst in der zweiten Hälfte, die erste knirsche vielleicht an der ein oder anderen Stelle. Benedict Wells wirkt ehrlich und nicht kokettierend, wenn er dies zugibt. Da sitzt einer, der sich viel Gedanken um sein Schreiben macht, der seine Schwächen kennt.

Eines der schönsten Bilder, die Benedict Wells an diesem Abend gebraucht, ist das des Textes als Bande, über die man als Autor spiele. Man wandle zunächst die Bilder im Kopf in Sprache um, was im ersten Versuch nicht sonderlich gut gelänge. Später dann soll sich über diese Bande bei Leserin und Leser der Text im Kopf wieder in Bilder verwandeln. Nur die Erfahrung, dass es irgendwann nach der Überarbeitung gelingen werde, helfe, dass man an der ersten Textversion nicht verzweifle.

Besser auf der Bühne

Benedict Wells ist ein guter Interpret seiner Texte, die er mit leicht bayerischem Zungenschlag liest. Man hört gerne zu. Bisweilen habe ich den Eindruck, dass die Sätze auf der Bühne besser Wirken als im Buch. Wie bei einem Theaterstück scheint das Überzeichnete und Übererklärte auf der großen Bühne notwendig.

Wells moderiert sich souverän selbst durch den Abend, und der Dialog mit dem danebensitzenden Brass wirkt spontan und erfrischend. Selbst das gegenseitige Über-den-Klee-Loben wirkt nicht peinlich, wenn man das Ergebnis genießen kann.

Jacob Brass macht alles andere als die »musikalische Untermalung« der Lesung, wie es in der Wikipedia zu lesen ist. Zur akustischen Gitarre singt er eigene Songs aus »Circletown« und einige wenige Cover von Liedern aus den 80ern. Brass hat sie so adaptiert, dass sie sich chamäleonartig ans eigene Werk angleichen und beeindrucken. Das ist u. a. der Springsteen-Song »I’m On Fire« und »The Power Of Love«, der Titelsong von Huey Lewis aus dem Film der 80er »Zurück in die Zukunft«.

So erlebt man an diesem Abend gleich zwei Kulturveranstaltungen. Auch zeitlich, denn Brass und Wells sind ohne Pause weit über zwei Stunden auf der Bühne.

Diskret für Instagram

Der Saal nach der Lesung (Foto: Tischer)
Der Saal nach der Lesung (Foto: Tischer)

Und das Publikum aus meinen Vorurteilen? Gibt es nicht. Natürlich sind da die jüngeren Frauen um mich herum, die das Event für Instagram und Blogs dokumentieren und protokollieren. Doch das geschieht diskret. Die Fragerunde haben Wells und Brass im Mittelteil der Veranstaltung untergebracht. Ich habe noch nie eine literarische Veranstaltung erlebt, bei der vom Publikum so gute und detailreiche Fragen zu Autor und Werk gestellt wurden. Mindestens einer ist ansonsten immer dabei, der mit viel Blabla die Zeit nutzt, um mehr über sich selbst zu erzählen als eine Frage zu stellen. Doch nicht an diesem Abend. Als Bühnenprofi weiß Wells, dass er vor der Antwort die maskengedämpften Fragen der vorderen Reihen für alle wiederholen muss, damit im Publikum keine Unruhe entsteht.

Musik und Leseabschnitte wirken rund, eine Zugabe wird nicht erwartet, dennoch finde ich es schade, wie früh das durchaus begeisterte Publikum mit dem Klatschen aufhört. Doch Benedict Wells hat angekündigt, dass er im Foyer signieren werde. Vielleicht will man nur schnell dorthin.

Signieren wie am Bankschalter in den 80ern: Benedict Wells (Foto: Tischer)
Signieren wie am Bankschalter in den 80ern: Benedict Wells (Foto: Tischer)

Wie sieht es also aus, das Wells-Publikum? Normal. Im Schnitt vielleicht 25 Jahre jünger als das übliche Lesepublikum. Etwas mehr Frauen, aber nicht nur Mitgehmänner. Natürlich Menschen, die für solch einen Abend 35 Euro ausgeben. Zufriedene Menschen, so die Stimmung im Foyer, die einen Abend mit zwei sympathischen Künstlern erlebt haben.

Wolfgang Tischer

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