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Filmkritik: Ein Junge namens woke Weihnacht

Aus dem kleinen Jungen wird später der dicke Weihnachtsmann. Aber nur im Buch und nicht im Film. Henry Lawfull als Nikolas (Foto: Studiocanal/Netflix)
Aus dem kleinen Jungen wird später der dicke Weihnachtsmann. Aber nur im Buch und nicht im Film. Henry Lawfull als Nikolas. (Foto: Studiocanal/Netflix)

Die Verfilmung des Romans von Matt Haig hätte ein Weihnachtsklassiker werden können. Doch nicht nur die diverse Besetzung treibt hier merkwürdige Blüten. Die umgebaute Story entkernt das Weihnachtsfest. Und Frauen sind im Film entweder abwesende Mütter oder böse.

Kitsch und Klischee gehören zu Weihnachten irgendwie dazu. In älteren Weihnachtsfilmen bereitet die Mutter in der Küche den Weihnachtsbraten, beruhigt die Kinder und schmückt den Baum, den der Gatte zuvor mit der Axt aus dem Wald geholt hat. Solche Rollenklischees sind heute tabu. Was aber stattdessen? Die Macher der Verfilmung des Buches »Ein Junge namens Weihnacht« von Matt Haig haben sich für eine einfache Lösung entschieden: Die Mütter sind einfach weg. Sie sind tot oder davongelaufen.

Das Buch von Matt Haig ist ja ganz ok für Kinder. Haig erzählt darin seine Version, wie sich der spätere Weihnachtsmann als Kind in den Norden Finnlands aufmachte, um die Stadt Wichtelgrund zu finden. Der junge mit Namen Nikolas (sic!) bleibt bei den kleinen Wesen, die Spielzeug für Kinder produzieren und der inzwischen dick, fett und alt gewordene Nikolas liefert das Zeug immer an Weihnachten mit seinen fliegenden Rentieren weltweit aus und macht Kinder glücklich.

Kein Weihnachtsfilm ohne sprechende Tiere mit großen Augen. Nikolas' Begleiter ist eine nicht ganz so sympathische Maus, die in der deutschen Synchronfassung von Bauchredner Sascha Grammel gesprochen wird. (Foto: Studiocanal/Netflix)
Kein Weihnachtsfilm ohne sprechende Tiere mit großen Augen. Nikolas’ Begleiter ist eine nicht ganz so sympathische Maus, die in der deutschen Synchronfassung von Bauchredner Sascha Grammel gesprochen wird. (Foto: Studiocanal/Netflix)

Am Schluss des Romans wird auch die achtjährige Amelia im heutigen London beschenkt. Es ist Haigs kleine Verbindung von der phantastischen Geschichte ins Weihnachten von heute. Erzählt wird alles von einem nicht näher vorgestellten auktorialen Erzähler. Vielleicht ist es ja Nikolas selbst, der hier seine Geschichte erzählt.

Die Macher des Films haben sich gleich eine komplett neue Rahmenhandlung ausgedacht, die im heutigen London spielt. Da einige von ihnen auch für die überaus gelungene Paddington-Verfilmungen zuständig waren, scheint diese Filmfamilie gleich im Nachbarhaus zu wohnen.

Es ist Weihnachten, aber da die Mutter der drei Kinder irgendwie weg ist, ist nichts im Hause geschmückt. Stattdessen geht der Vater auch noch arbeiten. Da stimmen dann die Klischees doch wieder. Stattdessen übernimmt die leicht kratzbürstige Tante Ruth die Kinderbetreuung. Sie ist es, die in der Filmversion die Geschichte von Nikolas erzählt. Daraus resultieren immer wieder unnötige Sprünge aus dieser Geschichte heraus zurück ins Kinderzimmer. Da man heute auf eine divers angelegte Rollenbesetzung achtet, sind Vater und Kinder schwarz, die Tante jedoch gehört der Kategorie »alte weiße Frau« an. Kann man machen.

Später jedoch hat man diese Besetzungsdiversität auch bei den Wichteln walten lassen. Das wirkt etwas befremdlich, und man kann sich fragen, ob wohl auch die Wichtel eine koloniale Vergangenheit besitzen. Hätte man doch besser den Wichteln eine einheitlich blaue, grüne oder pinke Farbe gegeben.

Böse! Tante Carlotta (Kristen Wiig) hasst ihren Neffen Nikolas (Henry Lawfull) (Foto: Studiocanal/Netflix)
Böse! Tante Carlotta (Kristen Wiig) hasst ihren Neffen Nikolas (Henry Lawfull) (Foto: Studiocanal/Netflix)

Die Frauenfiguren sind im Film überwiegend böse angelegt, allen voran Nikolas´ Tante, die den jungen draußen schlafen lässt und die geliebte Rübenpuppe – ein Geschenk seiner Mutter – zu einer Suppe verarbeitet.

Wohl auch aus Gründen der Ausgewogenheit(?) hat man aus dem Vorsitzenden des Wichtelrates im Film eine Frau gemacht, die aussieht, wie die bösen Frauenfiguren in Disney-Filmen. Sie hat leider nichts von der schrulligen Griesgrämigkeit des Haigschen Wichtel-Chefs.

Mehr soll von der Handlung nicht erzählt werden, mehr soll nicht verglichen werden. Es bleibt nur eine große Ratlosigkeit, weil keine der filmischen Änderungen nachvollziehbar und sinnvoll ist. Alles davon macht den Film unlogischer, kitschiger und schlechter als die Buchvorlage.

Dass am Schluss – Simsalabim! – das Wohnzimmer doch im Glitzerkitsch erstrahlt und sich dort unzählige Geschenkkartons aufstapeln, lässt – im Gegensatz zum Roman – nicht einmal mehr Platz mehr für die christliche Weihnachtsgeschichte.

Wolfgang Tischer

Ein Junge namens Weihnacht (A Boy Called Christmas). Großbritannien, Frankreich 2021. Mit Henry Lawfull, Jim Broadbent, Toby Jones, Sally Hawkins, Michiel Huisman, Maggie Smith. Drehbuch: Ol Parker und Gil Kenan nach dem Buch von Matt Haig. Regie: Gil Kenan. Laufzeit: 136 Min. FSK: 6. Verleih: Studiocanal. Kinostart: 18.11.2021.

Matt Haig; Chris Mould (Illustration); Sophie Zeitz (Übersetzung): Ein Junge namens Weihnacht: Roman. Taschenbuch. 2021. dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783423086738. 11,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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1 Kommentar

  1. Guten Tag, als ich gerade zufällig ihre Kritik zum Film “Ein Junge namens Weihnacht” las, war ich regelrecht erleichtert. Ich habe den Film in einer Preview gesehen und war sehr irritiert, wie hier hier die Achterbahn der Klischees und Emotionen so völlig unnötig und übertrieben ausgereitzt wird, wie ich es noch nie vorher (nicht mal in Disney-Filmen) erlebt habe. Details möchte ich hier ersparen. Erleichtert war ich deshalb, weil bisher alle Rezensionen und Berichte von einem herzerwärmenden, originellen Weihnachtsfilm für die ganze Familie schrieben. Alles Gute!

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