Als ich das Hörbuch auf dem Schreibtisch hatte, war ich zunächst enttäuscht. Volker Risch liest »Die Leiden eines Amerikaners« von Siri Hustvedt. Aber warum denn Volker Risch? In der Vorankündigung des Verlags war doch Boris Aljinovic genannt. Und Aljinovic, vielen bekannt als Berliner Tatort-Kommissar, war es doch auch, der Siri Hustvedt auf ihrer Lesereise im Frühjahr 2008 begleitete und aus der deutschen Übersetzung von Uli Aumüller las. Ja, warum liest er denn nicht das Hörbuch? Terminprobleme? Streitigkeiten? Ich weiß es nicht.
Nun liest also Volker Risch in einer Produktion des Norddeutschen Rundfunks, auf CD erschienen bei Argon. Risch kannte ich nicht, obwohl er, wie die Rückseite der CD-Box verrät, »an vielen großen deutschen Theatern spielte und in Kinofilmen und zahlreichen TV-Serien und -Filmen mitwirkte«.
Doch Risch überzeugt als Vorleser absolut. Seine melancholische Stimme passt wunderbar zum männlichen Ich-Erzähler von Hustvedts Roman. Und auch den anderen Figuren der Geschichte verleiht er nur durch kleine aber wirkungsvolle Nuancen von Stimmlage und Betonung jeweils eine eigene Stimme, egal ob Männern, Frauen oder Kindern. Zu schnell sind die 6 CDs um, und man bedauert es, Abschied von den Personen des Romans und von der Stimme Risch‘ nehmen zu müssen.
Gerne hätte man mehr gehört. Auch weil es eine der berüchtigten »autorisierten Lesefassungen« ist. Es ist eine beliebte Diskussion unter Hörbuchfans, was von solchen Kürzungen zu halten ist. Siri Hustvedts Roman ist fein und detailliert gewoben. Zahlreiche Geschichten laufen in der Hauptperson, dem Psychiater Erik Davidsen, zusammen. Da ist der Tod seines Vaters, da ist seine Schwester, deren Mann – ein berühmter Schriftsteller – ebenfalls vor nicht allzu langer Zeit verstarb. Und da ist Davidsens neue Mieterin, die alleinerziehende Mutter Miranda mit ihrer sechsjährigen Tochter Eggy. Und wäre das nicht genug, sind in den Roman immer wieder Ereignisse der jüngsten US-amerikanischen Geschichte eingewebt, von 9/11 bis zum Irakkrieg. Viele Details der Handlung bleiben da notgedrungen in einer gekürzten Fassung auf der Strecke. Das ist bedauerlich, denn Hustvedts Text lebt von der detaillierten Darstellung, von der man auch in der Hörfassung mehr hätte hören wollen.
In »Die Leiden eines Amerikaners« arbeitet Siri Hustvedt auch den Tod ihres eigenen Vaters auf, der ebenfalls wie Eriks Vater aus Norwegen in die USA kam. Dabei wurde genau dieser Erzählstrang reichlich gekürzt.
Hustvedt lebt in New York und ist mit dem Schriftsteller Paul Auster verheiratet. Ihr erstes Buch »The Enchantment of Lily Dahl« hatte ich mir 1992 als Paul-Auster-Fan genau aus diesem Grunde gekauft. Manchmal denke ich heute noch, dass die Hustvedt-Romane genauso gut von Paul Auster stammen könnten – oder umgekehrt. Es ist erstaunlich wie ähnlich sich die beiden in ihren Geschichten und den Personen ihrer Romane sind. Allein die Anfänge vieler ihrer Bücher beginnen sehr charakteristisch mit dem Stilmittel, dass auf der ersten Seite bereits ein Rückblick auf das erfolgt, was der Leser erst auf den kommenden Seiten erfährt. Das macht den Leser neugierig. Meisterlich und am ausgeprägtesten ist dies ohne Frage in Austers »Im Land der letzten Dinge« der Fall. Und auch Hustvedts neuer Roman, dessen Titel natürlich an Goethes Werther angelehnt ist, beginnt ebenfalls mit einem Rückblick auf das, was kommen wird. Ein Rückblick auf ein »Jahr der Geheimnisse«, von dem Hustvedt erzählt.
So mag die wunderbar interpretierte Hörbuchfassung ein Anlass sein, nochmals den ungekürzten Roman zu lesen. Dann vielleicht sogar in der Originalsprache, den Austers und Hustvedts Englisch ist durchaus lesbar und nicht allzu kompliziert. In meinem Bücherregal steht die Originalausgabe bereits.
Wolfgang Tischer
Die Leiden eines Amerikaners. Audio CD. 2008. Argon Verlag. ISBN/EAN: 9783866104914. 9,95 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel