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Deutscher Literaturfonds wird 40: Tagung in Leipzig widmete sich Literaturthemen

Teilnehmer der ersten Diskussionsrunde »Fake und Fiktion«: Autorin Sibylle Lewitscharoff, Moderatorin Bettina Baltschev, Autor Georg Klein, Literaturkritikerin Meike Fessmann und Moderator Thomas Böhm
Teilnehmer der ersten Diskussionsrunde »Fake und Fiktion«: Autorin Sibylle Lewitscharoff, Moderatorin Bettina Baltschev, Autor Georg Klein, Literaturkritikerin Meike Feßmann und Moderator Thomas Böhm

Der Deutsche Literaturfonds wird 40 und begann die Feierlichkeiten mit einer Tagung am Leipziger Literaturinstitut. Von Fake und Fiktion, digitalen Plattformen bis hin zum Geldverdienen mit Büchern waren alle aktuellen Themen vertreten. Doch beim Gendern und Political Correctness hörte der Spaß auf.

Die normale Leserschaft wird den Deutschen Literaturfonds nicht kennen, obwohl er seit 40 Jahren existiert. Es ist ein Verein der Vereine, dessen primäres Ziel die Literaturförderung ist. Natürliche Personen können dort nicht Mitglied werden, zu den Gründungsmitgliedern zählen u. a. der Börsenverein für den Deutschen Buchhandel, der Bibliotheksverband, die Autorenverbände FDA und VS sowie die VG Wort.

Vom Literaturfonds werden bis zu einjährige Werkstipendien vergeben, bei denen Autorinnen und Autoren monatlich 3.000 Euro erhalten. Auf der letzten Sitzung im Herbst 2019 schüttete der Verein Fördermittel in Höhe von 440.000 Euro aus, unter anderem auch an Literaturzeitschriften. Projekte der Kinder- und Jugendliteratur werden ebenso gefördert. Die verteilten Gelder stammen aus Bundesmitteln. Seinerzeit in den 1980er-Jahren vom Innenministerium, heute von der Kulturstaatsministerin. Für Autorinnen und Autoren mag es sich also lohnen, den Deutschen Literaturfonds zu kennen.

Die Tagung am 31. Januar 2020 im Leipziger Literaturinstitut bildete den Auftakt der Jubiläumsveranstaltungen. Leser, Kritiker, Verleger und Autoren waren nach Leipzig gekommen, der nicht allzu große Saal des Literaturinstituts war mit rund 90 Personen voll besetzt.

Tagungsraum im Leipziger Literaturinstitut

Über den Tag verteilt gab es vier Podiumsgespräche, jeweils mit vier bis fünf Teilnehmern besetzt, durchgängig moderiert vom Zweiterteam Bettina Baltschev und Thomas Böhm . Am Ende jeder Runde wurde das Gespräch zum Publikum geöffnet.

Das fast konservativ zu nennende Gesprächsformat war aufschlussreich und hochkarätig, informativ und unterhaltsam besetzt,  einige der Podiumsmenschen hatte man in Einzelvorträgen oder Reden bei anderen Gelegenheiten langweiliger erlebt.

Die Tagung wurde live gestreamt, im Podcast des literaturcafe.de wird es in den kommenden Tagen zahlreiche Interviews mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern geben.

Fake und Fiktion

Früh um 9 Uhr begann die erste Runde »Fake und Fiktion« mit den beiden Schriftstellern Sibylle Lewitscharoff und Georg Klein, ebenso saß die Journalistin und Literaturkritikerin Meike Feßmann auf dem Podium.

Die Definition der Begriffe war einfach, »Fake« als Fälschung und mit niederen Absichten verbunden definiert. Natürlich hat Donald Trump den Begriff mit »Fake News« populär gemacht. Der Blick des Publikums fiel durch die Fensterfront hinter dem Podium auf den kulissenhaft wirkenden Hochsicherheitstrakt des US-amerikanischen Konsulats in unmittelbarer Nachbarschaft des Literaturinstituts. Trump sei ein »böser Schriftsteller«, meinte Georg Klein.

Die meinungsstarke Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff wird immer wieder gerne eingeladen, provoziert sie doch im besten Fall einen medienwirksamen Shitstorm. So extrem verlief die erste Runde jedoch nicht, doch Lewitscharoff wetterte über den autobiografischen Knausgård, den sie langweilig finde im Gegensatz zu Kafka, der klasse sei. Überhaupt könne sie der »Enge des Autobiografischen« vieler zeitgenössischer Romane nichts abgewinnen und empfahl jungen Autoren, auch Texte aus anderen Zeiten zu lesen. Montierte Literatur sei langweilig, befand Meike Feßmann.

Wie glaubhaft und wahrhaftig können literarische Schilderungen sein? Am Beispiel des Windelwechselns sinnierte Georg Klein darüber nach, ob es einen Unterschied mache, ob man das Beschriebene noch nie selbst gemacht habe oder ob es weit zurückliege.

Mit der Öffnung zum Publikum kam die seltsame Frage auf, was man alles erfinden dürfe, insbesondere, wenn es um den Zweiten Weltkrieg gehe.

»Political Correctness oder Literatur«

Teilnehmer der zweiten Diskussionsrunde »Political Correctness oder Literatur«: Verlegerin Antje Kunstmann (Kunstmann Verlag), Michael Lemling (Buchhandlung Lehmkuhl), Tina Uebel (Autorin) und Mara Delius (Die Literarische Welt)
Teilnehmer der zweiten Diskussionsrunde »Political Correctness oder Literatur«: Verlegerin Antje Kunstmann (Kunstmann Verlag), Michael Lemling (Buchhandlung Lehmkuhl), Tina Uebel (Autorin) und Mara Delius (Die Literarische Welt)

Die Frage, was man darf und nicht darf, wurde in der zweiten Runde weitaus heikler, die mit »Political Correctness oder Literatur« in einer seltsamen Konjugation verbunden war. Auf dem Podium saßen die Literaturkritikerin Mara Delius von der Literarischen Welt, die Verlegerin Antje Kunstmann vom gleichnamigen Verlag und Michael Lemling von der Buchhandlung Lehmkuhl sowie die Autorin Tina Uebel. Alle waren in der Vergangenheit einem Shitstorm ausgesetzt gewesen, und alle beklagten die zunehmende Verhärtung der Argumentationsfronten, bei denen niemand auf den Kontext schaue, sondern Triggerworte ausreichen, um Hass oder Unterstellungen zu provozieren. So verortet sich Michael Lemling zwar eher links, dennoch finden sich in seiner Buchhandlung Bücher von neuen Rechten, da er es für wichtig erachtet, dass man seine Gegner kenne und ihre Texte im Original erhalten und lesen können müsse. Die Autorin Margarete Stokowski sagte eine Lesung in der Buchhandlung ab, als sie erfuhr, welche Bücher dort unter anderem vorrätig sind.

Antje Kunstmann würde einen Buchtitel wie »Der weiße Neger Wumbaba« heute wahrscheinlich nicht mehr machen, obwohl es in diesem Buch mit dem absurden Titel um unbewusste Liedverhörer ging und sich das seltsame Bild auf Matthias Claudius Ende der ersten Strophe von »Der Mond ist aufgegangen« bezieht (»… und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar.«). Doch Kontext, Absurdität und Ironie werden hier von einigen nicht gesehen, das Wort »Neger« sei daher problematisch. Absurderweise, berichtete Kunstmann weiter, gab es auch Vorwürfe gegen den Titel »Mein schwarzer Hund«, den es laut Untertitel an die Leine zu legen gelte. Die Graphic Novel behandelt das Thema Depressionen, für die der schwarze Hund als Sinnbild steht. Doch losgelöst vom Inhalt gab es Proteste wegen des Titels.

Als Moderator Thomas Böhm im weiteren Verlauf der Diskussion begann, davon zu erzählen, dass es »Sensivity Reader« gebe und aus der Selbstdarstellung von sensivity-reading.de zitierte, kam Heiterkeit auf dem Podium und im Publikum auf.

Doch dann war Schluss mit lustig: Junge Studentinnen im Publikum echauffierten sich und baten darum, man möge nicht lachen und das Ganze ernsthaft behandeln. Außerdem bemängelte man das einseitig besetzte Podium.

Plötzlich entstand eine Diskussion zwischen jungen und älteren Teilnehmerinnen in Publikum und Podium, und die Deutung der Worte bezog sich oftmals auf die Diskussion selbst (»Sie haben gesagt …« – »So habe ich das nicht gesagt.«). Nicht immer war klar, ob man den allgemeinen sprachlichen Umgang meinte oder von Kunst und Literatur die Rede war. Es zeigte sich, dass der problematische Begriff  »Political Correctness«, unter dem die Diskussion stand, ohnehin ungeeignet ist, da er nicht eindeutig zuzuordnen ist. So gab es eine Stimme aus dem Publikum, die die Wikipedia zitierte, die den Begriff historisch als politisch rechts einstufe. Moderator Böhm, der zwar bisweilen etwas manieriert mit DIN-A4-Klemmordner auftrat, konterte gut vorbereitet: Dann habe sie wohl in der Wikipedia nicht die beiden Absätze davor gelesen, die den Begriff ursprünglich in keiner Weise dem rechten Spektrum zuordne.

Alles blieb offen, vage, unklar und interpretationsfähig, die Mittagspause setzte dem Diskurs ein natürliches Ende. Dort herrschte an den Stehtischen die Meinung vor, das Ganze sei offenbar ein Generationenkonflikt und die Diskussion bemerkenswert.

Die Sache mit dem Geld

Teilnehmer der dritten Diskussionsrunde »Die Sache mit dem Geld«: Philipp Schönthaler (Autor), Daniel Beskos (Mairisch Verlag), Siv Bublitz (S. Fischer Verlage), Monika Eden (Leiterin des Literaturhauses Oldenburg) und Oliver Jungen (Literaturkritiker)
Teilnehmer der dritten Diskussionsrunde »Die Sache mit dem Geld«: Philipp Schönthaler (Autor), Daniel Beskos (Mairisch Verlag), Siv Bublitz (S. Fischer Verlage), Monika Eden (Leiterin des Literaturhauses Oldenburg) und Oliver Jungen (Literaturkritiker)

Die beiden Podien des Nachmittags waren im Vergleich nahezu zahm. Bei »Die Sache mit dem Geld« hätte sich Moderator Böhm gedacht, es werde der Ruf nach mehr Mitteln laut. Doch der war von den Teilnehmern kaum zu hören. Die verlegerische Geschäftsführerin der S. Fischer Verlage, Siv Bublitz, begrüßte die Förderung von Autorinnen und Autoren, sprach sich jedoch eindeutig gegen eine staatliche Förderung von Verlagen aus. Das sei zwar in Demokratien kein Problem, könne aber bei einem Wandel des politischen Klimas zum Problem werden. Daher sollten Verlage unabhängig bleiben.

Bublitz betonte, dass Verlage Bücher »veröffentlichen« und nicht nur drucken. Den Büchern Sichtbarkeit zu geben sei die wichtigste Aufgabe der Verlage. Bei den S. Fischer Verlagen habe man die Jahresproduktion von 500 auf 300 Titeln bei gleichbleibendem Umsatz gesenkt, da man weniger Titeln mehr Aufmerksamkeit widmen könne.

Daniel Beskos, Verleger beim unabhängigen Mairisch Verlag, macht nur eine Handvoll Titel im Jahr, denen man ebenfalls die volle Aufmerksamkeit zukommen lässt. Leider konzentrieren sich die Medien ebenfalls immer mehr auf wenige besprochene Titel, und auch Auslistungen bei den Großhändlern oder deren Insolvenz seien ein Problem für die unabhängigen Verlage.

Urheberrecht und digitale Plattformen – geht das zusammen?

Teilnehmer der vierten Diskussionsrunde »Urheberrecht und digitale Plattformen – geht das zusammen?«: Robert Staats (VG Wort), John Weitzmann (Wikimedia), Lena Falkenhagen (Vorsitzende des VS – Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller), Bernd Schmidt (Kiepenheuer Bühnenvertrieb) und Teja Adams (Journalist)
Teilnehmer der vierten Diskussionsrunde »Urheberrecht und digitale Plattformen – geht das zusammen?«: Robert Staats (VG Wort), John Weitzmann (Wikimedia), Lena Falkenhagen (Vorsitzende des VS – Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller), Bernd Schmidt (Kiepenheuer Bühnenvertrieb) und Teja Adams (Journalist)

Am Schluss des Tages stand in der letzten Runde die Frage »Urheberrecht und digitale Plattformen – geht das zusammen?«. Obwohl digital affine Menschen auf dem Podium saßen, blieb die Diskussion äußerst vage. Die Moderation gab zu, nicht sonderlich tief in diesem Thema zu stecken, man richtete sich zunächst merkwürdig gegen Wikipedia, dann war – wie bei der generellen Diskussion um die Vorgaben der EU – allzu oft von YouTube und Hörbüchern die Rede und es wurde nicht die Frage gestellt, welche Relevanz diese Plattform für Texte hat und wie man mit den anderen verfahren könnte. Die Diskussion setzte ganz unten an, indem auch das Prinzip der VG Wort erklärt wurde. Das böse Wort »Uploadfilter« fiel nicht, mögliche Kollateralschäden technischer Lösungen wurden nicht thematisiert. »Wird schon irgendwie werden!« schien der Grundtenor dieser Runde zu sein.

Da hatten sich schon, wie bei solchen offenen Tagungen üblich, die Zuschauerreihen mehr als deutlich gelichtet, sodass von dort keine Gegenreden kamen.

In den kommenden Tagen werden im Podcast des literaturcafe.de zahlreiche Gespräche mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu hören sein, die Themen und Meinungen der Jubiläumskonferenz nochmals akustisch darstellen und vertiefen werden.

Wolfgang Tischer

Nachgetragene Links ins Web: Weitere Medienberichte über die Tagung des Deutschen Literaturfonds

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