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Das Mööp – Ein fantastischer Seuchenbericht – Teil 4

Das Mööp (Zeichung: Holger Much)
Das Mööp (Zeichung: Holger Much)

Corona-Epidemie. Lockdown. Ein Autor sitzt daheim und schreibt an einem Horrorroman. Dann erhält er überraschenden Besuch. Oder wohnte dieses Wesen schon immer hier? Es ist das Mööp. Das literaturcafe.de präsentiert einen fantastischer Seuchenbericht in Fortsetzungen von David Gray. Teil 4.

Fortsetzung von Teil 3

Zeit: 26.03.2020
Ort: Homeoffice des Autors in sächsischer Metropolennähe

»Du darfst nicht auf Erfolge anderer neidisch sein! Das habe ich von einem sehr klugen Menschen gelernt! Nämlich von Sheldon Cooper! Gibt das Leben dir Zitronen? Dann geh und kauf dir Orangen! Aber höre auf neidisch auf diejenigen zu sein, die es schaffen, ihre Zitronen mit bloßen Händen auszudrücken! Falls es dir heute noch niemand gesagt hat: Du bist einzigartig! Du bist gut! Fang an! Gib Gas! 2020 wird dein Jahr! Ich weiß es!«, sagt die Frau in dem schicken Schwarzweißvideo.

Verpiss dich, du Ziege mit Pferdeschwanz, denke ich. Der einzige, den du mit deinem Spruch gemeint haben kannst, ist ja wohl ein Killervirus. Denn für alle anderen wird 2020 bestimmt nicht ihr Superjahr! Und was zum Nepomuk soll das überhaupt heißen: Wenn das Leben dir Zitronen gibt, dann geh Orangen kaufen?! Dazu müsste man ja erst mal Geld haben. Und einen Supermarkt in der Nähe.

Ich gebe es zu: Es gibt Tage, da verbringst du als Kreativblasenarbeiter zuviel Zeit im Netz und dann wirst du wütend. (Naturgesetz: Mehr als 2 Stunden am Stück ziellos auf Facebook herumzusurfen machen jeden wütend. Alle, die es nicht wütend macht, sind entweder Psychopathen oder Leute mit einem Haustierbabyfetisch.) Seit Mööp gestern mit seinen Schleimgeschossen diese drei plünderungswilligen Methkids in die Flucht geschlagen und sich so zumindest ein temporäres Wohnrecht bei mir gesichert hat, ist bei mir, was neue Einfälle betraf, Schicht im Schacht. Ich klappe den Laptop zu, lehne mich in meinem Schreibtischstuhl zurück und drehe mir eine neue Kippe.

»Das ist die 34zigste heute! Und dabei haben wir noch nicht einmal 16 Uhr, und nach Sonnenuntergang pflegen Sie Ihre Rauchfrequenz noch einmal zu erhöhen! Nehmen Sie gefälligst Rücksicht auf meine Gesundheit!«

Ich stecke mir die Kippe an, beuge mich über den Schreibtisch und öffne das Fenster dahinter. Kalte Luft zieht herein. Löst Gänsehaut aus. Was – frage ich mich plötzlich – tue ich hier eigentlich? Öffne mein Fenster, weil dieser berüsselte Parasit es mir befohlen hat? Unglaublich. Ich wende mich Mööp zu und blase ihm einen Schwall Zigarettenrauch über den Kopf. Nimm das, Nervzwerg!

»Der AfD-Vorstand hat aufgrund der Pandemie seinen Parteitag absagen müssen!«, plappert Mööp wieder mal eine seiner völlig unzusammenhanglosen Prophezeiungen heraus. Ich blase den nächsten Schwall Rauch in Richtung Drucker. Mööp hustet. Gut: Das war vielleicht nicht wirklich nett von mir gewesen. Aber zu meiner Rechtfertigung muss ich sagen, dass ich mich in einem der tiefsten Stimmungstiefs meines Lebens befinde. Außerdem werde ich seit fast 24 Stunden im Netz ständig entweder mit Lifecouch-Soundbites oder Werbung für Julie Zs neuen Pandemieroman zugeknallt. Also habe ich ein Recht, mies drauf zu sein!

Einer von den Lifecouches nennt sich Bussinesspunk und tritt mit einer Lederjacke voller Bandpatches auf, die so knisternd neu und teuer wirkt, als hätte das Teil außerhalb seiner Garderobe nie irgendwo Action gesehen. Sein Wahlspruch lautet: »Bussinesspunk: Work hard. Play hard. No to no Future!« Trotz des recht schlechten Lichts kann man in dem Video einige der Bandpatches erkennen. Eines davon ist von Elton John. Ein anderes von Bon Jovi.

Oookay, das ist jetzt wirklich der Tropfen, der mein Launefass zum Überlaufen bringt. Jeder behauptet seit Jahren, dass Punk tot sei. Bestimmt hatte irgendjemand das auch mal dieser Businesspunk-Hackfresse gesagt. Und der glaubt seither, dass er safe sei, wenn er sich Punk nennt und mit seiner Bon-Jovi-Lederjacke herumläuft und Sprüche aus Omas Lebens-Weisheiten-Mottenkiste verkauft.

Doch ich weiß es besser! Also klappe ich den Laptop wieder auf, suche das Werbevideo des Businesspunks heraus und teile es im »Oi! No Future to Fascism! StayPunk«- Facebookforum, über 9.000 Mitglieder nur in Deutschland.

Mein Teaser dazu: »Ey, neueste Studien haben bewiesen, dass nach Bankern und CEOs die Lifecouchbranche die meisten faschistoiden Soziopathen hat. Der Typ in dem Video ist der Beweis!«

Natürlich existiert diese Studie nicht. Aber ich bin Schriftsteller. Ich habe sozusagen die Lizenz, öffentlich zu lügen!

Der erste Kommentar: »Klatsche!«

Der zweite: »Shit, der is so blöd, der hat seine Homeadresse in seinem Impressum angegeben! Wohnt in Düsseldorf!«

Der dritte: »Hah! Dusseldorf! Passt ja!«

Der vierte: »Hat noch jemand gerade Bock auf nen Ausflug nach Dusseldorf? Ich biete Farbbeutel!« Dieser Kommentar bekommt innerhalb von weniger als einer Minute dreißig Likes.

Läuft, die Nummer, denke ich und lehne mich befriedigt zurück.

»Was, bitte, tun Sie da gerade?«, fragt Mööp.

Ich zucke die Achseln und vermeide es, ihn anzusehen. »Man nennt es Anstiftung zur Sachbeschädigung. Könnte allerdings auch ne Körperverletzung draus werden. Die Dinge sind da gerade noch so ein bisschen im Fluss.«

»Oh!«

»Ja – oh!«

Es klingelt. Der Postbote. Ich kann seinen gelben Elektrolaster vom Fenster aus sehen. Ich warte ab, bis er wieder davonfährt, dann gehe ich hinunter und hole die Sendungen. Zwei Briefe – beides Rechnungen – die ich auf den Stapel für Rechnungen lege, der inzwischen schon fast drei Zentimeter hoch ist. Bis er so auf fünf angewachsen ist, bleibt es safe, ihn zu ignorieren. In Zeiten der Pandemie, denke ich, kann man ihn sicher auch bis sieben oder acht anwachsen lassen.

Neben den zwei Briefen hatte der Postbote mir auch ein Buchpaket gebracht. Absender: »Das freundliche Medienteam des PO-Verlags!« So steht das da wirklich. Ich bin gespannt darauf, was das angeblich freundliche Medienteam mir da geschickt hat.

Ein Exemplar von Julie Zs Pandemieroman. Klar, schlimmer geht wirklich immer. Nicht genug, dass man mich seit mindestens 48 Stunden ständig im Netz mit Werbung für das Ding zuspammt – darüber hinaus ist auch Das freundliche Medienteam vom Homeoffice aus so richtig fleißig gewesen.

Ich halte das Buch über Mööps Nestecke. Er legt die Skriptseite weg, die er gerade gelesen hat, und schaut auf. »Da, Rüssel, das neue Buch von Julie Z. Die mit den Biotomaten in Brandenburg. Sie erinnern sich zweifellos!«

Sebastian Balthasar Mööp wackelt etwas mit seinen zehenlosen Plattfüßen. »Fashion-Fotograf Kristian Schuller ist heute nicht nur Gast-Juror, nein, er hat auch ein besonderes Shooting mit den Kandidatinnen von ›Germany’s next Topmodel‹ geplant!«, plappert er los. »Die Mädels müssen in die Wüste und durch bunte Farbwolken laufen. ›Man muss auf sehr viele Dinge gleichzeitig achten‹, stellt Julia P fest. Welcher Überraschungsgast auf die Kandidatinnen beim Abschluss-Catwalk wartet, erfahren Sie in unserer Vorschau: GNTM 2020, Folge 9: Heute geht es für die Kandidatinnen in die Wüste.«

Fashion-Fotograf Schuller ist bestimmt ein Typ, der Businesspunk-Lifecouches gut findet. Sicher hat der Mann auch heimlich irgendwo Tokio-Hotel Bandpatches gebunkert, die er dann heimlich an Idioten verscheuert, die glauben, dass Boybands jemals hatten cool sein dürfen.

»Germany’s next Topmodel, Mööp? Total spannend! Aber finden Sie nicht auch, dass Schuller ein bisschen zu sehr klingt wie Schnuller? Ich an seiner Stelle hätte mir ja ein Pseudonym zugelegt!«, sage ich, setze mich an den Schreibtisch und schlage Julie Zs Pandemieroman auf. Mööp knistert derweil weiter in seinem Nest herum.

Ich lese in Julie Zs Buch. Die Frau hat offenbar nicht unter Kreativlosigkeit gelitten, denn ihr Buch ist gut. Jedenfalls sind es die ersten zwanzig Seiten. Zu mehr komme ich zunächst nicht. Denn Mööp meldet sich. »Die Polizeidirektion München erwartet, dass während der Ausgehverbote die Zahl autoerotischer Asphyxiationen erheblich zunehmen wird!«, verkündet er.

Ah, ja. »Falls Sie Anhänger dieser Form von Sex sind, Mööp, und einen Strick brauchen sollten – ich bringe Ihnen gern einen. Aber bitte, nehmen Sie dann so viel Rücksicht, geräuschlos zu sterben, ja?«

Mööp schwenkt einige Male seinen Rüssel. Keine Ahnung, wie das interpretiert werden sollte, aber es wirkt immerhin nicht bedrohlich.

Ich habe immer noch nicht herausgefunden, wovon Mööp eigentlich lebt. Ob er je etwas isst oder trinkt. Den inzwischen wirklich kärglichen Inhalt meines Kühlschranks rührt er jedenfalls nicht an. Wofür ich ihm, offen gestanden, dankbar bin. Wenn auch für sonst nicht viel. Sich bei ihm danach zu erkundigen ist zwecklos, da er jede direkte Frage mit einer seiner merkwürdigen Voraussagen oder einem blöden Funfact aus den News beantwortet.

Doch ich gebe nicht auf. Eines bestimmt nicht sehr fernen Tages würde ich es erfahren. Außerdem ist da noch meine Fabelwesenexpertengeheimwaffe Herr von B, der mir heute zum zweiten Mal versicherte, er sei an dem Fall dran.

Ich kehre zurück zu Julie Zs Roman und freue mich über den Druckfehler auf Seite 52. Ein bisschen Häme muss sein. Draußen wird es dunkel und beginnt zu schneien. Ein Ping meines Laptops zeigt an, dass ich eine Mail bekommen habe. Ich schaue nach: Die Mail kommt vom freundlichen Medienteam des PO-Verlags. Man wünscht mir als Medienpersönlichkeit viel Freude mit Julie Zs neuestem Werk, das angeblich jetzt schon als literarische Sensation gefeiert wird. Ernst Teck, TV-Literaturkritiker mit Hang zu schlechten Autoreninterviews und Papiermülltonnen – interner Spitzname Der Schreck – hat Julie Zs Buch bereits rezensiert und als »wichtigen, nein, wegweisenden Roman« gefeiert. Ich schreibe dem freundlichen Medienteam, dass Julie Zs »wegweisender Roman« einen bösen Druckfehler auf Seite 52 enthält.

Danach fühle ich mich allerdings nicht wirklich besser. Ich drehe mir eine Zigarette und schenke Kaffee in meinen Becher mit der Aufschrift: »Bester Autor der Welt«. Ich rauche und trinke und fühle mich dabei sogar noch kleiner, nutzloser, hämischer und deprimierter als zuvor. Das ändert sich, sobald ich die Kippe ausdrücke und mir vorstelle, wie mein Horrorromanheld Kannibalenigor mit dem unerträglichen Mundgeruch die drei blümchenkreativen Mitgliederinnen des freundlichen Medienteams vom PO-Verlag nacheinander zu Schnitzeln, Schinken, sauren Nierchen und Herzragout verarbeitet, woraufhin er dann zur Krönung seines Festmahls über Ernst Teck herfällt, dessen Schädelinhalt er zu einer nahrhaften Shrimp-Hirn-Paella verarbeitet.

Von diesem Moment an gerate ich in einen Schreibflash, der über zwei Stunden anhält und sich rundum grandios anfühlt. Bis Mööp sich aus seiner Nestecke meldet.

»In zehn Minuten wird die Polizeidirektion Düsseldorf über Twitter melden, dass man eine so genannte Corona-Party aufgelöst hat.«, verkündet er in das Geräusch meines hemmungslosen Schreibflashtippens hinein. »Dabei wurden vier vorläufige Festnahmen vorgenommen. Unter den Festgenommenen befindet sich der als linksradikal bekannte Sänger Oliver P, der bundesweit erfolgreichen Punkband »Fiat 800«, in dessen Besitz man mehrere als typische Szenewaffen eingestufte Farbbeutel fand.«

Ich atme dreimal tief durch. Trinke dann einen Schluck längst kalt gewordenen Kaffee und schaue aus dem Fenster.

Unten im Garten streicht der Kater des lokalen Else-Kling-Klons umher. Bestimmt ist er hungrig. Katzen sind schließlich so gut wie immer hungrig.

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David Gray

Über den Autor

David Gray (Foto: (c) 2013 Licht und Linse Fotografie, Le)
David Gray (Foto: Licht und Linse Fotografie, Le)

David Gray ist das Pseudonym des deutschen Journalisten und Filmkritikers Ulf Torreck.
Geboren 1970 in Leipzig, weist sein Lebenslauf längere Aufenthalte in Südostasien, Irland und Großbritannien auf.
Er hat zahlreiche Romane und Kurzgeschichten in Verlagen und bei amazon.de veröffentlicht.

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