
Streit um die Quartett-Karten. Diesmal schien es so, als hätten sich die vier Diskutierenden vorgenommen, die literarische Krümelmonster-Variante einer Geburtstagsparty aufzuführen. Allen voran die kleine Thea, die als Gastgeberin natürlich die Spielregeln ganz genau kannte.
Geschenk mit Schleife: Christian Krachts »AIR«
Gleich zu Beginn verkündete nämlich die kleine Thea mit einer Mischung aus Stolz und Besserwisserei, dass der neue Roman AIR von Christian Kracht ja »nicht einfach ein neuer Roman von Christian Kracht, sondern ein Ereignis« sei. Da musste man sich als Erwachsener in der Küche schon fragen, ob man die Einladungskarte zur Geburtstagsparty nicht gelesen hatte, auf der stand: »Bitte nur mit Ehrfurcht vor großen Ereignissen erscheinen!« Doch die kleine Thea belehrte uns sogleich über das »immens kostbar aufgemachte Buch« und den mysteriösen Autor. Man hatte fast den Eindruck, sie hätte das Buch nicht nur gelesen, sondern im Kindergarten persönlich beim Einbandbinden geholfen.
Dann meldete sich die kleine Eva zu Wort, die natürlich auch ganz viel wusste und mit ihrem Wissen gerne ein wenig angab. Während der kleine Philipp das Kracht-Buch etwas schmollend eher als »literarisches Äquivalent eines aus Wäscheklammern gebastelten Untersetzers« abtat, sah der kleine Johannes B. das ganz anders und berichtete aufgeregt von seinem Leseerlebnis, bei dem er »so reingezogen« worden sei »wie wie lange nicht mehr in ein Buch«. Dem kleinen Johannes B. hörten die anderen aber nicht so richtig zu, weil der sich sprachlich noch nicht so toll ausdrücken kann.
Der kleine Philipp hingegen, der ja bekanntlich nicht so leicht zu begeistern ist, fand an Krachts Werk vor allem, dass es »müde«, »alt« und »jaw droppingly boring« sei. Offenbar wird er von seinen Eltern zweisprachig erzogen. Da schüttelten die kleine Thea und die kleine Eva natürlich empört die Köpfe, während der kleine Johannes B. artig nickte und sich wahrscheinlich fragte, wann er denn auch mal etwas über die Geburtstagsbüchergeschenke sagen darf.
Helene bringt den Berliner Bollerwagen
Auch bei Helene Hegemanns Striker schieden sich die kleinen Geister. Während die kleine Thea das Buch als »unglaublich reich von sehr klugen, auch sehr harten Beobachtungen von Berlin und seinen Bewohnern« lobte, fand der kleine Johannes B. es eher »kalt« und bemängelte die fehlende »Handlungsmacht« der Figuren. Der Philipp wunderte sich da schon ein wenig, wie der Johannes B. Bücher »kalt« finden könne. Die kleine Eva versuchte zwar, das Buch als »sentimental« zu verteidigen, aber so richtig einig wurden sich die kleinen Gören an diesem sehr, sehr späten Nachmittag nicht.
Die Streberin weiß es natürlich besser
Als dann Yasmina Rezas Die Rückseite des Lebens von Johannes B. ausgepackt wurde, schien der Kleine endlich aufzuwachen und seine Begeisterung auszudrücken. Doch die kleine Eva, die natürlich schon viel länger wusste, dass Reza eine »der großartigsten Autorinnen der Welt« sei, übernahm schnell wieder das Wort und erklärte uns, wie man dieses Buch »nehmen« könne, »um gutes Schreiben zu lehren«. Die Streberin! Der kleine Philipp hingegen fand das Ganze eher »entbehrlich« und warf der Autorin »Banalität« vor. Der kleine Johannes B. schaute etwas bedröppelt, als seine anfängliche Begeisterung so schnell unterging und ihn schon wieder niemand wirklich ernst nahm.
Klassiker aus der Spielekiste
Zum Schluss wurde noch F. Scott Fitzgeralds Der große Gatsby von Philipp aus der Spielzeugkiste geholt, wo der schon fast vergessen 100 Jahre lang rumlag. Also das Buch, nicht der Philipp. Der kleine Philipp strahlte über das ganze Gesicht und erklärte uns in blumigen Worten, warum dieses Buch ein »Meisterwerk« sei und vom »Versprechen Amerikas« handle. Die kleine Thea hingegen blieb skeptisch und sah in Gatsby und dem Erzähler eher »komische Lehrstellen«. Die kleine Eva versuchte, die unterschiedlichen Meinungen zu moderieren und lobte die »ganz wunderbare Ausgabe«. Hat Johannes B. auch was gesagt oder wurde er schon von seinen Eltern abgeholt?
Am Ende der Geburtstagsparty saßen die kleinen Bücherwürmer etwas erschöpft und dennoch aufgedreht, aber um einige literarische Buchgeschenke reicher, da. Der kleine Johannes B. hatte zwar nicht so viel sagen dürfen, aber er hatte artig zugehört. Und so bleibt die Frage, ob dieses »Literarische Quartett« nun ein unterhaltsames Spielen war oder doch eher ein anstrengender Nachmittag mit kleinen Besserwissern, die sich um Quartettkarten stritten.
Wolfgang Tischer
Link ins Web:
- Video: Das Literarische Quartett vom 21.03.2025 in der ZDF-Mediathek, die jetzt nur noch »ZDF« heißt
- Audio: Das Literarische Quartett vom 21.03.2025 in der Deutschlandfunk Audiothek und als RSS-Feed
Die in der Sendung vom 21.03.2025 besprochenen und erwähnten Bücher:
- Christian Kracht: Air: Roman. Gebundene Ausgabe. 2025. Kiepenheuer&Witsch. ISBN/EAN: 9783462004571. 25,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
- Helene Hegemann: Striker: Roman. Gebundene Ausgabe. 2025. Kiepenheuer&Witsch. ISBN/EAN: 9783462005950. 23,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
- Yasmina Reza; Claudia Hamm (Übersetzung): Die Rückseite des Lebens. Gebundene Ausgabe. 2025. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783446282759. 24,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
- F. Scott Fitzgerald; Bernhard Robben (Übersetzung): Der große Gatsby: Roman. Übersetzt von Bernhard Robben und mit einem Nachwort von Claudius Seidl. In Leinenoptik mit Goldfolienprägung. Gebundene Ausgabe. 2025. Manesse Verlag. ISBN/EAN: 9783717525745. 30,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
So sehr ich Ihre Beiträge schätze. Aber der Ton bei den Besprechungen der Sendungen des Literarischen Quartetts ist zu mir zu sehr von oben herab und zu arrogant. Haben Sie das wirklich nötig? Geht es nicht sachlicher?
Herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung! Wir würden nur zu gern sachlich loben – wirklich! Leider macht es das Literarische Quartett uns da nicht leicht. Vielleicht hebt sich die Sendung das Glanzstück ja für die nächste Folge auf? Wir schauen weiter tapfer zu und hoffen auf ein Wunder.
Herrlicher Spaß, Wolfgang Tischer, richtig schön gelacht!
Ich bin eingeschlafen, derart langweilig war diese Sendung. Was ist nur aus dem Literarischen Quartett geworden?
Köstlich und treffend. Habe mich gekugelt vor Lachen. Weiter so!
Ich glaube der Kleine hier heisst Wolfgang Tischer, man kann sich trefflich streiten über die verschiedenen Buchclubs, -quartette etc. (der schweizerische Literaturclub ist eh von höherem Niveau) – aber diese «Würdigung» hier ist eines Literaturmenschen eher unwürdig.
Wenn schon bitte, dann »der kleine Wolfi«. Und Sie hätten erst mal das Niveau-Geschrei vor 8 Jahren erleben sollen, als es um eine rote Hose ging. Da waren seinerzeit die Menschen noch erboster. SOWAS! GEHT! EINFACH! NICHT! Wo bleibt die Ehrfurcht vor dem Feuilleton! Der kleine Wolfi sitzt jetzt zur Strafe in der Ecke. Danach schreibt er dann 100 mal an die Tafel: “Bei Schweizer Literaturclub war früher alles besser!”
Geht es noch peinlicher?
Mit Sicherheit! Vielleicht weil es ja der kleine Reini, der immer so miesepetrig in der Ecke steht, auch mal versuchen?
Und tschüss!
Auf Wiedersehen und alles Gute! Schön, dass Sie hier waren und mitdiskutiert haben.
Ich liebe diesen Beitrag! Und ich liebe auch noch immer den Text mit der kurzen roten Hose. Mehr davon!