Die Buchhandelskette Thalia ist in den negativen Schlagzeilen. Gegen Geld hat das Unternehmen Propagandaschriften der chinesischen Regierung in die Regale gestellt. Bezahlte »Buchtipps« sind bei den Buchketten üblich. Dennoch stellt sich die moralische Frage: Was darf man als Buchhändler alles ins Sortiment aufnehmen? Und muss man bezahlte Verkaufsflächen als solche kennzeichnen?
Regale mit Pandas und kommunistischer Ideologie
Der Sinologin Monika Li waren sie zuerst aufgefallen: In der Thalia Filiale am Berliner Alexanderplatz waren gleich drei komplette Regale von oben bis unten mit chinesischen Büchern bestückt. Neben harmlosen Kinderbüchern mit süßen Pandas, befand sich darunter auch die deutsche Übersetzung von »China regieren« des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping. Zweifellos eine kommunistische Propagandaschrift. China-kritische Titel befanden sich nicht unter der Auswahl.
Ein Regal war neutral mit »Chinesische Autoren« beschriftet, ein anders sogar mit »Thalia-Tipp«.
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Das ZDF und das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichteten darüber. Eine Nachfrage des RND bei Thalia ergab, dass es sich um bezahlte Regalmeter handelt. Es sei ein »Test« in den Filialen in Berlin, Hamburg und Wien. Auswahl und Lieferung der Titel erfolgte durch »CNPIEC – China National Publications«, einem chinesischen Staatsunternehmen. Nach den Berichten wurde Kritik am Vorgehen Thalias auch aus bundespolitischen Kreisen laut.
»Kooperation« mit einem Chinesischen Staatsunternehmen
Tatsächlich reagierte Thalia. Wie Monika Li zwei Wochen später mit weiteren Fotos auf Facebook belegte, verkünden nun ziemlich provisorisch wirkende Ausdrucke über den Regalen: »Kooperation mit CNPIEC – China National Publications«. Außerdem hatte man vor den Regalen einen Aktionstisch mit chinakritischen Büchern aufgebaut und mit »Brennpunkt China – Die zwei Seiten einer Weltmacht« beschriftet.
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Wie der SPIEGEL berichtet, verteidigte Thalia die Kooperation. Der SPIEGEL zitiert eine Sprecherin des Unternehmens. Das Kooperationssortiment biete Gelegenheit, »anhand von Primärliteratur die chinesische Weltanschauung und Kultur kennenzulernen«. Und: »Über den Erfolg dieses Tests werden unsere Kundinnen und Kunden entscheiden. Wenn sie zufrieden sind, sind wir es auch.«
Bezahlte Regale sind in Buchhandelsketten üblich
Erst durch die Diskussion um die staatlichen Propagandabücher bei Thalia, wurde vielen bewusst, dass es bei den großen Buchhandelsketten üblich ist, Bücher und Aktionsflächen gegen Geld zu platzieren. Der vermeintliche Bücher-Tipp ist bisweilen gar keiner, stattdessen fließen vier oder fünfstellige Beträge von den Verlagen an die Buchkette. Verlage können so die Sichtbarkeit ihrer Bücher steigern. Selbst Bestseller können so in den Listen weiter nach oben gebracht werden.
Sogar Self-Publisher können sich über entsprechende Dienstleister gegen Geld einen Regalplatz in bestimmten Buchhandlungen sichern.
RND zitiert Dagmar Schmidt, die Vorsitzende der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe, mit den Worten: »Als Mindestanforderung sollte man erwarten, dass Thalia Transparenz für seine Kunden herstellt und kenntlich macht, wer hier maßgeblich an der Bestückung der Regale mitwirkt.«
Aber wo beginnt diese Transparenz? Müsste Thalia nicht auch die »normalen« Verlagszahlungen als »Kooperationen« ausweisen, anstatt irreführend den Eindruck zu erwecken, es handle sich um eine Empfehlung der Buchhandlung?
Welche »Kooperationen« sind noch möglich?
Und wie weit geht man bei Thalia bei diesen Kooperationen? Können auch rechte und rechtskonservative Verlage Regale buchen? Das würde doch auch dazu dienen, »sich mit einer anderen Weltanschauung auseinanderzusetzen«.
RND zitiert Thalia mit den Worten, die China-Bücher seien auch ein »Service für die wachsende chinesische – bzw. China-Interessierte – Community in Deutschland«.
Also auch Weltverschwörungsbücher gegen Geld bei Thalia? Denn auch diese »Community« scheint zu wachsen.
Es stellt sich in letzter Zeit öfter die Frage, wie und mit welcher Auswahl Buchhandlungen die öffentliche Diskussion beeinflussen oder gar so etwas wie Zensur ausüben. Soll man die harmlosen veganen Kochbücher von Attila Hildmann aus dem Sortiment nehmen, weil der zum »Querdenker« geworden ist und mittlerweile staatsfeindliche Positionen vertritt? In diesem Fall sagte Thalia ganz klar nein und nahm trotz Protesten die Kochbücher nicht aus dem Sortiment. Bei Kaufland und anderen Lebensmittelketten hingegen räumte man Hildmanns Nahrungsmittelprodukte aus den Regalen.
Diktatoren besser verstehen?
Aus ganz anderen Gründen hat die Buchhandlung Lehmkuhl in München sehr bewusst Bücher auch der neuen Rechten im Regal stehen. Zwar verortet sich Buchhändler Michael Lemling eher links, er erachtet es jedoch für wichtig, dass man seine Gegner kenne und ihre Texte im Original erhalten und lesen können müsse. Die Autorin Margarete Stokowski sagte eine Lesung in der Buchhandlung ab, als sie erfuhr, welche Bücher dort unter anderem vorrätig sind.
Kann das Buch vom chinesischen Staatspräsidenten bei Thalia einen Beitrag leisten, um diktatorisch regierende Staatsoberhäupter besser zu verstehen?
Freilich kann jede Buchhandlung selbst bestimmen, welche Bücher sie ins Sortiment nimmt.
Dennoch wird es kritisch, wenn die Auswahl nicht nach inhaltlichen Gesichtspunkten oder Verkäuflichkeit kuratiert ist, sondern finanziell motiviert und womöglich irreführend als »Tipp« gekennzeichnet ist. Jeder Blogger und Instagramer muss einen Beitrag als »Werbung« kennzeichnen, wenn dafür Geld geflossen ist. Selbst eine euphemistische Umschreibung wie »Kooperation« sehen Juristen kritisch.
Die gleiche Transparenz wie bei Blogs und Instagram?
Muss eine ähnliche Transparenz nicht auch im Buchhandel gelten? Sollen finanziell beeinflusste Platzierungen künftig als »Bezahlte Verlagspräsentation« ausgezeichnet werden? Und das nicht nur vor Ort, sondern auch auf den Websites.
Aber ist eine grundsätzliche Kennzeichnung überhaupt umsetzbar? Was ist, wenn bei »Kooperationen« nicht direkt Geld fließt, dafür aber z. B. großzügige Rabatte gewährt werden?
Letztendlich macht die »Kooperation« Thalias mit einem chinesischen Staatsunternehmen erneut eines deutlich: Den großen Ketten und Konzernen im Buchhandel sollte man weder online noch in den Fußgängerzonen trauen.
Wieder einmal mehr scheint es sinnvoller, die kleine Buchhandlung vor Ort zu unterstützen, die ihr Sortiment hoffentlich noch nach inhaltlicher Qualität und Verkäuflichkeit auswählt und die gar nicht die Marktmacht hat, dass sie für solche »Kooperationen« interessant wäre.
Wolfgang Tischer
Ich meine man sollte diese Reklame unterlassen, aber man könnte zweifeln, daß sie sich vorher ausreichend informieren!!