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Büchermachen VIII: Lesen wird zur neuesten Mode werden!

Unregelmäßig und immer am Samstag berichtet der Lektor, Verleger und Literaturagent Vito von Eichborn über das Büchermachen. Es geht ihm nicht um Theorien, sondern um das Handwerk auf dem Weg zur »Ware Buch«. Er redet Klartext, räumt mit Vorurteilen auf – und will zum Widerspruch anregen. Und er bittet um Fragen über den Buchmarkt, um an dieser Stelle darauf einzugehen.

Eine Kolumne von Vito von Eichborn

Nun gibt es eine neue Umfrage in den USA, die nicht nur den statistischen Niedergang des Mediums Buch erfasst – da kann man sich ja noch trösten: Das sind Nachschlagewerke und Aktualitäten, die das Netz besser kann. Jetzt wird detailliert nachgewiesen, dass tatsächlich das Lesen von Belletristik radikal zurückgeht. Vor allem im mittleren Lebensalter. Das sind nun wirklich erschreckende Zahlen.

Jedoch:

Als vor 150 Jahren die Zeitschriften aufkamen – das erste Massenblatt war »Die Gartenlaube«, dann bald »Über Land und Meer« (übrigens bei der DVA, die sich jetzt mit Sarrazin kloppt) –, schrie der Buchhandel: Die nehmen uns die Leser weg!

In den Zwanzigern breitete sich das Radio massiv aus. »Die hören ja nur noch Musik! Die Leser haben keine Zeit mehr für gute Literatur. Das geistige Leben verflacht …« – so mögen die Stimmen gewesen sein.

Auch das immer beliebter werdende Kino ging ja wohl auf Kosten der Zeit, Bücher zu lesen? In den Fünfzigern kam das Fernsehen. Was hatten wohl Buchhändler und Verlage für Sorgen um ihren Beruf und ihr Medium? Und mit der Ausbreitung des Privatfernsehens wurde definitiv der Niedergang jeglicher Kultur zugunsten der trivialen Massenmedien prognostiziert. »Die Menschen glotzen vier Stunden am Tag!«

Immer aber galt: Der Buchmarkt blieb der kleinste, je neuer das Medium, desto größer der Markt – aber immer wuchs auch er.

Vor zwanzig Jahren begann das Internet, sich weltweit durchzusetzen. Und inzwischen gibt es buchstäblich alle denkbaren Inhalte auf dem Smartphone.
Und nun?
Zugegeben, ja, ich fürchte wirklich massiver werdende Probleme für mein Medium.
Aber gibt es nicht für jede Bewegung immer auch eine Gegenbewegung? Unsere digitalisierte Gegenwart mit der totalen Kontrolle und die daran hängenden Perspektiven – versprechen sie die immer radikalere Verflachung, den Schwund von inhaltlicher Qualität?

Dazu der Ex-Hanser-Verleger Michael Krüger: »Wenn es in dieser Geschwindigkeit weitergeht mit den Veränderungen, dann wird es irgendwann ein Privileg sein, Bücher zu lesen. Was passiert mit dem Subjekt? Ist es nur ein Anhängsel des großen Algorithmus, die glaubt, dass wir unseren Individualismus stärken müssen?«

Ich behaupte heftig: Wenn tatsächlich das Anspruchsvollere zu verschwinden droht – wird in der Gesellschaft ein Bedürfnis nach Substanz entstehen! Schon jetzt wächst ja der Markt für Kinderbücher weiter. Wenn wir das hochrechnen, wird bald eine ganz neue Literatur entstehen. Das Bücherregal wird wiederkehren bei Leuten, die zeigen wollen, dass sie nicht blöd sind. Im Café zu sitzen und ein Buch zu lesen wird absolut »in« sein. Und die Werbewirtschaft wird feststellen, dass diese Leser die interessanteste aller Zielgruppen sind. In Zukunft also: Wer liest, wird umworben! Auch am Strand und in Partnerbörsen: Oute dich als Leser – und du wirst anerkannt …

Klar wird das so kommen – wetten?

Vito von Eichborn

Fragen? Meinungen? Kommentare? Vito von Eichborn freut sich über Rückmeldungen! Am besten unten in den Kommentaren oder per Mail an buechermachen(at)literaturcafe.de.

Vito von Eichborn, 1943 geboren, Studium, Journalist und Aussteiger, begann 1973 im Lektorat bei Fischer in Frankfurt. 1980 Gründung des Eichborn Verlags, den er 1995 freiwillig verließ: »Das war der Fehler meines Lebens.« Geschäftsführer bei Verlagen in Hamburg. Lebt seit 2007 in Bad Malente. Gründete zwischenzeitlich auf Mallorca den Verlag Vitolibro, den er mit norddeutschen Regionalia, literarischen Ausgrabungen und Kuriosa fortsetzt. Ist manchmal Agent für Autoren (»nur, wenn das Projekt marktfähig ist«), schreibt, lektoriert, entwickelt Projekte.

8 Kommentare

  1. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, lieber Herr von Eichborn. Der Buchmarkt darf nicht darauf warten, dass die Werbewirtschaft die Leser entdeckt. Die Büchermacher selbst müssen die Werbung neu entdecken, nicht einzelne Bücher promoten, sondern das Lesen. Das Bedürfnis nach Substanz wird mitnichten von allein entstehen, es muss geweckt werden. Ein Bohrmaschinenverkäufer verkauft nicht das Werkzeug, sondern das Loch in der Wand. Und es gilt die Frage zu beantworten, wer überhaupt Interesse an Substanz hat. Verlage, die ihre Gewinne maximieren müssen, wollen oder sollen? Was ist denn überhaupt anspruchsvoll? Inhalte, die der Weiterentwicklung des Lesers, der Gesellschaft dienen? Texte, die mit dem hehren Ziel geschrieben werden, die Welt zu verbessern? Geschichten, die erschöpften Menschen in schnelllebiger Zeit etwas Muße und gute Unterhaltung verschaffen? Oute dich als Leser und du wirst anerkannt – von Lesern! Belächelt von Nichtlesern. Das gilt es zu ändern.
    Herzlichst
    Karen Sell

  2. Gut gebrüllt, Vito! Da fast immer alles anders kommt als man es geglaubt hat, halte ich es durchaus für möglich, dass man sich durch (besonders öffentliches!) Lesen vom Pöbel absetzen wollen wird.
    Zu allen Bewegungen gibt es immer auch Gegenbewegungen. Mit Vergnügen beobachte ich z.B., dass bei den Discountern das lose Obst und Gemüse großen Anklang findet und viel schneller abverkauft ist als das verpackte.
    Aber auch in diesem Text wird – wie beim Mobbing der Kinderbuch-Papierfresser-Front in den 80ern gegenüber den sich ausbreitenden MCs (besonders im Börsenblatt zur Beeinflussung der Buchhändler) – wieder mal die Form mit dem Inhalt verwechselt.
    Erstens würde ich es für einen bedenklichen Fortschritt halten, wenn sich die Zahl der Leser wegen solcher tumben Machwerke wie Shades of Grey und der vielen altbekannten sprachlosen Worthülsennutzer und politischen Randalierer vermehren würde. Lesen kann auch dumm machen!
    Zweitens muss Lesen nicht mehr nur auf Papier stattfinden, das ist ein schöner Schritt hin zur Bequemlichkeit. Mein Urlaubsgepäck ist um 2-3 kg leichter, seit ich einen Tolino nutze.
    Drittens – und das gefällt kurzsichtigen Verlegern weniger gut – breiten sich neuerdings diese leicht zugänglichen Bücherweiterreichungsschränkchen aus, wo man sich jederzeit Lesestoff besorgen kann, zum Teil sogar richtig gute Bücher (obwohl auch ne Menge Crap drin rumsteht). Wie ich hier an der seit einer Jahr in unserem Dorfstadtteil stehenden Vitrine feststelle, wird sie überaus eifrig genutzt. Gute Literatur bleibt fast nie länger als zwei Tage drin.
    Dass der Kinderbuchmarkt wächst, wusste ich gar nicht. Vielen Dank für die überaus erfreuliche Information.
    Herzliche Grüße
    Marieluise Ritter

  3. Da hab ich andere Erfahrungen mit den “Bücherweiterreichungsschränkchen” als Frau Ritter – bei uns im niederösterreichischen Dorf gibt es auch einige, aber zumeist sind sie gefüllt mit völlig veralteten Lebens- und Beziehungsratgebern oder mit unbekannten Bauernromanen, in Frakturschrift erstellt. Aber es kann sich ja alles noch bessern!
    Beste Grüße
    Johanna Sibera

  4. Schöne Aussichten. Als Leser hoffe ich inständig, dass ich weder umworben werde noch auf Partnerschaftsportalen Punkte sammeln muss. Von Schnöseln die jeden Unsinn mitmachen und mit Buchattrappen in Cafés sitzen graust mir. Ich will mit meinen Büchern in Ruhe gelassen werden.

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