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Marie Nimier: Der Strand – Leichter Sommertraum und symbolische Schwere

Marie Nimier: Der Strand - Deutsch von Rainer Moritz
Marie Nimier: Der Strand – Deutsch von Rainer Moritz

Vor genau 22 Jahren wurde 1996 die erste Buchbesprechung im literaturcafe.de veröffentlicht. Es war ein Roman von Marie Nimier. 22 Jahre später ist ein neuer Roman von Marie Nimier erschienen.

Was liegt näher, als zur Neugestaltung des literaturcafe.de diesen Roman zu besprechen?

Eines stimmt nicht ganz: Marie Nimier hat zwischen »Hypnose für jedermann« und ihrem neuesten Werk »Der Strand« durchaus eine ganze Menge weiterer Romane geschrieben. Nur wurden die acht Bücher dazwischen nicht ins Deutsche übersetzt.

Die Giraffe erschien 1990 auf Deutsch im Suhrkamp Verlag. 1995 veröffentlichte der Rowohlt Verlag »Hypnose für jedermann«. Die französischen Originale waren jeweils drei Jahre zuvor erschienen.

Marie Nimier: Hypnose für jedermann und Der Strand
Zwischen diesen beiden deutschsprachigen Romanen von Marie Nimier liegen 23 Jahre. Buchgestalterisch konnte man offenbar nicht auf Frauenrücken verzichten.

23 Jahre mussten vergehen, bis wieder ein Roman von Marie Nimier auf Deutsch gelesen werden kann. »Der Strand« (La Plage) stammt aus dem Jahre 2016 und ist im Dörlemann Verlag erschienen.

Übersetzt wurde »Der Strand« von Rainer Moritz, so steht es ungewöhnlicherweise gleich auf dem Cover. Es ist lobenswert, dass die Arbeit des Übersetzers prominent gewürdigt wird. Im Falle Rainer Moritz irritiert dies: Er leitet das Hamburger Literaturhaus, schreibt regelmäßig für Zeitungen, moderiert Literaturveranstaltungen, schreibt selbst Bücher – und hat nebenbei Marie Nimier übersetzt. Erwähnt man dies deshalb prominent?

Tatsächlich schiebt sich ob dieser Bekanntheit des Übersetzers beim Lesen der ersten Seiten Rainer Moritz zwischen Autorin und Leser. Der übersetzende Moritz wird mitgelesen, bis er dann doch in den Hintergrund tritt.

Doch die Titelnennung des Übersetzers ist bei Dörlemann üblich und nichts Ungewöhnliches . Die Wirkung im Speziellen ist also Zufall.

Wer aber ist Marie Nimier? Die 1957 geborene Autorin war früher Musikerin und Schauspielerin. Seit Mitte der 1990er hat sie sich aufs Schreiben konzentriert. Neben 13 Romanen schrieb sie Hörspiele und Theaterstücke.

Die drei auf Deutsch erschienenen Romane haben gemein, dass sie sich in extremen Gefühlswelten bewegen. Sie tendieren ins Unglaubliche oder Stilisierte: die Liebe zu einer Giraffe, die Anwendung von Hypnose – und jetzt ein Strandidyll.

»Der Strand« spielt im Süden, man kann eine der Inseln Griechenlands vermuten. Eine Frau reist mit dem Bus an einen abgelegenen Strand. Die Taverne ist verlassen, in der sie vor Jahren einmal mit einem Freund gewesen ist. Die Frau wandert weiter an den einsamen Strand. Doch sie ist nicht allein, wie sie dachte. In einer Höhle bemerkt sie einen Vater mit seiner Tochter. Die Frau ist zunächst enttäuscht darüber, nicht allein zu sein, beobachtet dann aber tagelang die beiden. Und irgendwann beschließt sie, sich ihnen zu zeigen.

Diese Ort- und Figurenkonstellation klingt künstlich und konstruiert. Verstärkt wird dieser literarische Laborcharakter durch die Tatsache, dass die Autorin ihren Figuren keine Namen gibt. Die Frau bleibt »die Unbekannte«, der Mann ist meist »der Koloss« und das Mädchen ist »Tochter« oder »Kind«. So bleiben die Figuren für den Leser auf Distanz, wenngleich wir einiges über sie erfahren.

Denn auf der anderen Seite könnte diese Geschichte durchaus so passieren. Nichts ist unglaubwürdig oder gar übersinnlich.

In dieser Ambivalenz liegt der Reiz des Romans. Er wirkt wie ein leichter Sommertraum und bietet auf der anderen Seite symbolische Schwere und Interpretationsraum. Nimiers Sprache beschreibt, stellt fest und protokolliert, wird nie ausufernd. Gelegentlich taucht sie tiefer in die Figuren ein, doch meist umspielt sie diese wie der Sommerwind die Felsen am Strand. Wie die Frau die beiden anderen Menschen am Stand beobachtet, so kann man als Leser die Figuren des Romans beobachten. Nicht alles wird preisgegeben, vieles bleibt offen.

Der Roman von Marie Nimier ist eine etwas andere Art von Strandlektüre. Der Stil der Autorin ist formeller, literarischer als vor 23 Jahren. Doch wie vor 23 Jahren ist es wieder ein Buch, das Spuren beim Leser hinterlassen wird.

Wolfgang Tischer

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