Bestseller-Autor Benedict Wells hat mit »Die Geschichten in uns – Vom Schreiben und vom Leben« einen Schreibratgeber veröffentlicht. Hier lesen Sie, für wen das Buch gedacht ist und warum es sich nur bedingt als Ratgeber-Referenz eignet.
Der Traum vom Schreiben
Benedict Wells hat Bestseller wie »Hard Land« oder »Vom Ende der Einsamkeit« geschrieben. Bereits sein Erstling »Becks letzter Sommer« aus dem Jahre 2008 war für DIE ZEIT das »interessanteste Debüt des Jahres«.
Jahrelang galt Benedict Wells, Jahrgang 1984, als eher publikumsscheu, und er gab kaum Interviews. Es war jedoch bekannt, dass der Deutsch-Schweizer viel Zeit seines jungen Lebens in Internaten verbrachte, und man könnte die Kindheit eines wohlsituierten Sprösslings in Elite-Einrichtungen vermuten.
Doch das Gegenteil war der Fall. In einem langen Interview im Podcast »Hotel Matze« im Jahre 2022 gab Wells persönliche Einblicke in sein Leben. Sein Vater war chaotisch und allzu träumerisch veranlagt und hat das eigene Leben und das seiner Familie nicht auf die Reihe gebracht. Die Mutter litt an psychischen Krankheiten, wurde nach der Trennung der Eltern nach der Geburt des Sohnes manisch-depressiv. So kam das Kind ins Heim. Und dennoch, schreibt Benedict Wells in »Die Geschichten in uns« »schimmerte immer wieder das Glück hervor. Vielleicht hatte ich kein richtiges Zuhause, aber ein emotionales«. Das Buch trägt die Widmung »Für meinen Vater, den Geschichtenerzähler«. In der Beschreibung der Eltern im Roman »Schloss aus Glas« von Jeannette Walls fühlte sich Wells damals »auf eine tiefe Weise verstanden«.
So erzählt Benedict Wells im ersten Teil des rund 400-Seiten-Buches auf den ersten 100 Seiten in offenen und berührenden Worten aus seinem Leben – jedoch immer mit Blick darauf, wie ihn Kindheit und Jugend zum Schriftsteller werden ließen. Ohne Studium zog Wells nach dem Abitur nach Berlin, um dort seinen Traum zu erfüllen: Bücher schreiben.
Nach unzähligen Verlagsabsagen nahm ihn schließlich der Verlag unter Vertrag, dessen Umschläge er ehrfürchtig bestaunte: Diogenes.
Auch »Die Geschichten in uns« ist eine Art Aufsteigergeschichte, denn einige Bestseller sollten folgen.
Der Versuch, kein Buch zu schreiben
Und dennoch deutet Wells im Interview von Hotel Matze und auf seiner Hard-Land-Bühnentour an, dass er gerne im Leben auch noch einmal etwas anderes machen wolle, als Bücher zu schreiben. So beginnt »Die Geschichten in uns« mit dem Satz: »Dieses Buch ist der gescheiterte Versuch, erst mal kein Buch mehr zu schreiben.«
Der zweite Teil des Buches ist dann eine Art Schreibratgeber, in dem verschiedene Aspekte des Schreibens von Romanen beleuchtet werden. Es geht von der Ideenfindung und Inspiration über Charaktere und Dialoge bis hin zur Verlagssuche. Auch diese Themen sind durchzogen von persönlichen Erfahrungen und Beispielen und mit vielen Zitaten von bekannten Schriftstellerinnen und Schriftstellern angereichert.
In einem dritten Werkstattteil stellt Benedict Wells dann frühe und erste Fassungen von »Hard Land« und »Vom Ende der Einsamkeit« den veröffentlichten Versionen gegenüber.
Die eigene Biografie und insbesondere auch die Rückschläge auf dem Weg zum Schriftsteller mit Schreibtipps zu verbinden, das erinnert natürlich sehr an Stephen Kings Buch »On Writing«, das in der deutschen Übersetzung den Wells-ähnlichen Titel trägt »Das Leben und das Schreiben«.
Vorbilder und Nacheifern
Niemand kupfert so souverän, ehrlich und erfolgreich bei anderen ab wie Wells. Das gilt auch für »Die Geschichten in uns«. Dass Kings Buch sein großes Vorbild war, wird gleich am Anfang offen erwähnt.
Das Schreiben Wells’, so wird spätestens bei der Lektüre von »Die Geschichten in uns« deutlich, ist geprägt von Vorbildern aus Büchern und Filmen und dem Nacheifern. Das macht er gekonnt und erfordert anschließend viel Arbeit am Text, bis dieser reif zur Veröffentlichung ist. All das verheimlicht Wells nicht, sondern legt es für alle mehr als freimütig und sympathisch offen.
Was taugt das Buch als Schreibratgeber?
Was taugt »Die Geschichten in uns« als Schreibratgeber? Für wen ist das Buch hilfreich?
In erster Linie ist »Die Geschichten in uns« natürlich ein Buch für alle, die den Autor und seine Bücher lieben. Sie kommen hier auf ihre Kosten, weil sich Wells offen, nahbar und ehrlich gibt und weil es hilfreich ist, seine Bücher zu kennen, die Wells immer wieder als Beispiel heranzieht.
Die Wellssche Art der Texterstellung mag sehr speziell sein, als dass sie für eine Mehrheit der Schreibenden als Vorbild dient. Aber sie ist gut nachvollziehbar und vermittelt ein »Auch-du-kannst-ein-Buch-schreiben-Gefühl«. Wells lässt einen vom eigenen Roman träumen.
Die Einsicht, dass der Weg zu einem fertigen Roman oft lang und steinig ist, kann für Schreibanfänger wertvoll sein. Für alle, die an ihren Texten verzweifeln, könnte das Buch eine Ermutigung darstellen.
Diejenigen, die sich schon länger mit der Theorie und Praxis des Schreibens beschäftigen, werden in Wells’ Buch nichts Neues finden. Genre-Schrifstellerinnen, die jedes halbe Jahr ein neues 400-Seiten-Werk veröffentlichen, werden sich bei der Lektüre eher wundern, wie man jahrelang an einem Roman arbeiten kann.
Ein irreführender Buchtitel
Im Grunde genommen ist der Titel des Buches irreführend, denn es geht hier nicht um »Die Geschichten in uns«. Es geht um die Geschichte(n) von Wells. Als Schreibratgeber fehlen dem Werk Impulse für die eigenen Geschichten und konkrete Schreibaufgaben. Wer hier mehr sucht, sollte besser zum Buch »Leben, schreiben, atmen« von Doris Dörrie greifen (Rezension hier), das ebenfalls im Diogenes Verlag erschienen ist.
Wenn der Verlag und der Autor jedoch geschäftstüchtig sind, lassen sie demnächst ein Arbeits- und Praxisbuch zu »Die Geschichten in uns« folgen.
Wolfgang Tischer
Benedict Wells: Die Geschichten in uns: Vom Schreiben und vom Leben. Gebundene Ausgabe. 2024. Diogenes. ISBN/EAN: 9783257073140. 26,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Benedict Wells: Die Geschichten in uns: Vom Schreiben und vom Leben. Kindle Ausgabe. 2024. Diogenes Verlag AG. 22,99 € » Herunterladen bei amazon.de Anzeige