JD Vance könnte Vizepräsident der USA werden, falls Donald Trump die Wahl gewinnt. Trotz des gestiegenen Interesses an Vance‘ Buch »Hillbilly Elegie« plante der Ullstein Verlag keine Neuauflage der deutschen Ausgabe. Ein ganz normaler Vorgang, der von einigen absurderweise als »aus dem Programm werfen«, »Cancel Culture« oder gar »Zensur« bezeichnet wird.
Verlagsprofil und wirtschaftliche Entscheidungen
Verlage sind Wirtschaftsunternehmen. Sie verlegen, was sich verkauft. Und dennoch verlegt nicht jeder Verlag alles. Von einem »Verlagsprofil« ist dann die Rede, das signalisiert, wofür ein Verlag inhaltlich steht. Was verlegt wird, bestimmte früher der Verleger (in der Tat fast nur Männer) und heute die Programmleitung. Wenn Verlage ein wirtschaftlich erfolgreiches Segment wittern, das nicht zum Verlagsprofil passt, wird meist ein Unter-Verlag, ein sogenanntes »Imprint«, gegründet, um das Verlagsprofil nicht zu verwässern.
Noch interessanter wird diese Abgrenzung innerhalb der Verlagskonzerne. Zur Verlagsgruppe Penguin Random House gehören beispielsweise über 40 Verlage, die sich mehr oder weniger gegeneinander abgrenzen.
Zur schwedischen Verlagsgruppe Bonnier gehören hierzulande Verlage wie Piper, Ullstein, Carlsen und die Münchner Verlagsgruppe (MVG). Ullstein steht eher für literarische Titel, die Münchner Verlagsgruppe mit Unterverlagen wie FinanzBuch oder Riva, deckt schwerpunktmäßig den Bereich der kontrovers-provozierenden Sach- und Unterhaltungsbücher ab (»Am Arsch vorbei geht auch ein Weg«).
Zwei Lesarten: Phänomen »Hillbilly Elegie«
Der Ullstein Verlag veröffentlichte 2017 das Buch »Hillbilly Elegie« eines gewissen JD Vance, dessen Rechte der Verlag für den deutschsprachigen Markt eingekauft hatte. »Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise« lautet der Untertitel. Vance entstammt einfachsten Verhältnissen, einem Menschenschlag, den man in den USA abfällig als »Hillbillys« bezeichnet. Diese »Hinterwälder« aus den Appalachen und dem Rust Belt gelten als einfache und zu Gewalt und Müßiggang neigende Menschen. Sie waren einfache Arbeiter in den großen Industriebranchen wie der Stahlindustrie, bevor diese im Zuge der Globalisierung ihren Niedergang erlebten, was diese Bevölkerungsschicht sozial weiter abrutschen ließ. Eine Bevölkerungsschicht und Wählerschaft, der Donald Trump viele Stimmen verdankt(e).
Vance wuchs in zerrüttenden Verhältnissen bei seiner alleinerziehenden alkohol- und drogensüchtigen Mutter auf, ging später zur militärischen Elite-Einheit der Marines, war im Irak-Krieg und studierte danach Jura in Yale. »Hillbilly Elegie« gilt als Analyse und Abrechnung mit diesen Menschen aus den Bergen der Appalachen, und gleichzeitig ist es die Geschichte eines Klassenaufstiegs. Vance beschreibt sich selbst als jemand, der den amerikanischen Traum lebt: Man kann es schaffen, wenn man nur will. Zudem ist es die Geschichte eines Menschen, der sich immer wieder anpassen und unterordnen musste, sei es, um sich vor familiärer Gewalt zu schützen oder um beim Militär, Studium oder im Job voranzukommen. Wenn es für ihn hilfreich war, gab sich »JD« in der Familie seines Vaters als gläubig und religiös aus.
Das im Plauderton verfasst Buch ist weder Roman noch Autobiografie, sondern etwas, das man als »Memoir« bezeichnet, eine subjektive Geschichte, die vorgibt, genauso passiert zu sein.
Beim Erscheinen 2016 wurde »Hillbilly Elegie« sofort zum Bestseller, da das Werk anscheinend die Trump-Anhängerschaft und den Trump-Aufstieg perfekt erklärt. Auch hierzulande wurde das Buch 2017, als es bei Ullstein auf Deutsch erschien, überaus positiv rezipiert. Noch 2023 lobte es Bundeskanzler Olaf Scholz in einem SZ-Interview, bei dem der Kanzler zu seinen Lesegewohnheiten befragt wurde. Es sei eine »ganz berührende persönliche Geschichte«, sagte Scholz.
Anpassung als Erfolgsstrategie?
Mittlerweile war jedoch klar, dass die Anpassungsfähigkeit des JD Vance bereits in eine andere Richtung gegangen war. Um Senator zu werden, so scheint es, wurde Vance vom Trump-Kritiker zum Trump-Verehrer, vom pragmatisch-religiösen zum dogmatisch-religiösen Menschen. »Leider kann man darüber heute mit dem Autor wohl nicht mehr diskutieren«, fürchtet Olaf Scholz.
»Hillbilly Elegie« liest man heute anders als 2016. Damals die berührende Geschichte eines Jungen, der den schlimmen Verhältnissen aus eigenem Antrieb entkam und die politischen Verhältnisse analysierte, liest es sich heute als die Geschichte einer knallharten opportunistischen Anpassung, wenn’s dem eigenen Überleben, dem Vorankommen und der Karriere dienlich ist. Welche Wahrheit wird hier wirklich erzählt?
Im Sommer 2024 hat Vance den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere erreicht. Donald Trump machte ihn zum »Running Mate«, zum Vizepräsidenten der USA im Falle eines Wahlsiegs im November.
Schlagartig nahm auch hierzulande das Interesse an dem acht Jahre alten Werk »Hillbilly Elegie« wieder zu. Doch auf der Ullstein-Website war das Buch als »vergriffen/keine Neuauflage« gekennzeichnet. Bei einem acht Jahre alten Titel nichts Ungewöhnliches. Doch aus aktuellem Anlass wird der Ullstein Verlag das Buch sicherlich rasch nachdrucken lassen?
Nein.
»Zum Zeitpunkt des Erscheinens lieferte das Buch einen wertvollen Beitrag zum Verständnis des Auseinanderdriftens der US-Gesellschaft«, schreibt der Ullstein Verlag auf eine Nachfrage des SPIEGEL. »Inzwischen agiert er offiziell an dessen [Trumps] Seite und vertritt eine aggressiv-demagogische, ausgrenzende Politik«, urteilt der Verlag laut SPIEGEL über seinen Autor JD Vance. Ullstein verlängert den Vertrag mit dem Autor daher nicht. »Ullstein-Verlag wirft Buch von J.D. Vance aus dem Programm«, betitelte der SPIEGEL seinen Artikel.
Andere Überschriften anderer Medien greifen zu noch heftigeren Formulierungen:
- Deutscher Verlag schmeißt J. D. Vance raus Berliner Morgenpost
- Ullstein cancelt J.D. Vance Cicero
- Buch von J.D. Vance gecancelt FAZ
Von »Zensur« ist sogar in den Social Media Kanälen die Rede. »In der Buchbranche herrschen offenbar Einheitsbrei, Mitläufertum und politische Korrektheit«, urteilte ein Autor des Cicero.
Ein neuer Verlag für Vance: Der Wechsel zu YES
Einem kleinen, unabhängigen und für viele unbekannten Verlag schien der Coup des Lebens geglückt. Der YES Verlag schnappte sich die deutsche Lizenz inklusive Übersetzung durch Gregor Hens und dem layouteten Buchblock. Der YES Verlag ist die Pascale Breitenstein und Oliver Kuhn GbR. Bis 2019 war Pascale Breitenstein Programmleiter beim Riva-Verlag, Oliver Kuhn war Programm-Geschäftsführer der Münchner Verlagsgruppe. Der YES Verlag betont seine Unabhängigkeit, der Vertrieb der Titel läuft aber exklusiv über die Münchner Verlagsgruppe. Wer nach dem YES Verlag sucht, landet auf der Website der MVG. Die Anbindung der beiden ehemaligen MVG-Mitarbeiter scheint weiterhin eng.
Unspektakulärer ausgedrückt: Weil der Autor JD Vance aufgrund seiner aktuellen Haltung nicht mehr ganz so gut ins Verlagsprofil von Ullstein passt, wanderte der Titel zu einem anderen, dem Bonnier-Konzern sehr nahestehenden Verlag, bei dem der Titel aktuell besser untergebracht ist. Ein aktueller weiterer Bestseller von YES: »Schummeln mit ChatGPT«.
Mal schnell eine Neuauflage drucken, ist im Jahre 2024 aufgrund der Papierpreise und der Verfügbarkeit von Druckpapier ohnehin nicht einfach.
Ein am 28. Juli 2024 bei Amazon bestelltes Exemplar wird daher noch von Amazon Fullfillment in Polen gedruckt, jenem Print-On-Demand-Dienstleister, der auch die Werke von Self-Publisher druckt. Buch, Papier und Umschlag wirken nicht sehr hochwertig. Mittlerweile ist eine bei GGP gedruckte Auflage im Buchhandel erhältlich.
»Hillbilly Elegie« ist wieder in den Top-10 der Taschenbuch-Bestseller.
Vance war nie weg.
Wolfgang Tischer
J.D. Vance: Hillbilly-Elegie: Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise. Taschenbuch. 2024. YES. ISBN/EAN: 9783969053645. 18,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Lieber Herr Tischer, ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich Ihren Artikel verstehen sollte. Die Überschrift widerspricht dem Inhalt – meiner Meinung nach.
Können Sie die Haltung des Ullstein-Verlags nun verstehen, oder finden Sie sie absurd?
Und wenn Letzteres: Warum?
PS: Was Sie mit Ihrem letzten Satz ausdrücken wollen, verstehe ich überhaupt nicht.
Lieber Herr Tischer, Fragen von Lesern Ihres Blogs sollten Sie schon beantworten. Ist eine Sache des Respekts einerseits und der Höflichkeit andererseits …
Beste Grüße
Renate Blaes