Jedes Jahr findet die Lit.Cologne – nach Aussagen der Veranstalter Europas größtes Literaturfest – fast zeitgleich mit der Leipziger Buchmesse statt. Das bedeutet für einige »entweder-oder« für andere zwei literaturintensive Märzwochen. Barbara Fellgiebel teilt ihre subjektiven Beobachtungen von der Lit.Cologne 2018 mit den Leserinnen und Lesern des literaturcafe.de.
In diesem Jahr wird die Lit.Cologne volljährig, sie findet zum 18. Mal statt. An 13 Tagen wurden an 28 Schauplätzen in Köln über 200 Leseveranstaltungen durchgeführt, davon knapp die Hälfte für Kinder und Jugendliche.
Nach einer unfreiwilligen Besuchspause von sechs Jahren hoffe ich, ab jetzt wieder jedes Jahr dabei sein zu können.
Warum? Weil die Lit.Cologne für erstklassige Unterhaltung steht. Weil dort die unterschiedlichsten Autorinnen und Autoren vorgestellt werden, gern mehrere zu einem besonderen Thema. Weil dort nur sprachgewandte, lesungserprobte Autorinnen und Autoren lesen oder vorgelesen werden – und zwar von den besten Schauspielerinnen, Schauspielern und Hörbuchstimmen, die es im deutschen Sprachraum gibt. Internationale Autorinnen und Autoren werden von erstklassigen Dolmetschern übersetzt, und Moderatorinnen und Moderatoren begeistern durch grandiose Vorbereitung und einfühlsame Fragen. Alles im Zeichen der Magie der Worte. Faszinierend, bereichernd, beglückend.
Die drei Gründer der Lit.Cologne, Werner Köhler, Edmund Labonté und Rainer Osnowski, sind inzwischen von einem jährlich größer werdenden Heinzelmännchenteam verstärkt worden, sodass jeder auf seine Weise und an seinem Platz hervorragende Arbeit leistet und dafür sorgt, dass es keine Organisationspannen gibt.
Warum ist dieses Festival ein so besonderer Erfolg?
Das ist der Stadt Köln und ihren Einwohnern zu verdanken. Denn wo sonst könnte man sich vorstellen, dass am 6. Dezember der Kartenvorverkauf für den März beginnt, und eine Woche später nur noch vereinzelte Restkarten erhältlich sind? Und das bei Ticketpreisen, die für Erwachsene 14 bis 59 Euro pro Veranstaltung, für Kinder 3 bis 6,50 Euro betragen.
Dienstag – 06.03.2018
Die Frankfurter Buchmesse beginnt bekanntlich inoffiziell mit der Verleihung des Deutschen Buchpreises, die Lit.Cologne mit der Verleihung des Deutschen Hörbuchpreises. Witzig, wie identisch viele der geladenen Gäste sind, darunter Hubert Winkels, Tanja Postpischil und – zu meiner besonderen Freude – die Autorin Regina Schleheck.
Götz Alsmann moderiert und übt den Applaus mit dem Publikum (für die Radio- und Fernsehübertragung). Vor meinem inneren Auge huscht Roger Willemsen vorbei, und mir wird schmerzlich bewusst, dass der die Applausprobe nicht gebraucht hätte. Überhaupt fehlt diese Lichtgestalt, die der Lit.Cologne so viele besondere Facetten verliehen hat.
Herr Alsmann macht einen ungewöhnlich aufgeregten Eindruck, denn jeder zweite Satz beginnt mit »Meine sehr verehrten Damen und Herren …«. Das kann genauso nerven wie »sozusagen«, »gewissermaßen« und »ich sag jetzt mal«.
Der deutsche Hörbuchpreis wird – zum 16. Mal – in sechs Kategorien verliehen, den Sonderpreis für ihr Lebenswerk erhält Eva Matthes.
Die Laudatio hält Christian Brückner – souverän. Kein Wunder, dass er der erste Träger dieses Preises war. In der WDR-Mediathek gibt es die Aufzeichnung dieser Veranstaltung.
Mittwoch – 07.03.2018
An diesem ersten Mittwoch gibt es nur eine Lit.Cologne-Veranstaltung, aber die hat es in sich:
Klaus Maria Brandauer liest Dostojewskis Großinquisitor im Kölner Dom! 2.000 Menschen lauschen dem begnadeten Schauspieler, der sich so eingehend vorbereitet hat und leider die Akustik des ehrwürdigen Gebäudes überschätzt hat. Die meisten Menschen können die vielen modulierenden Register, die er zu ziehen vermag, nicht gebührend würdigen. Wie sehr, sehr schade.
Ich hatte die Wahl zwischen Brandauer in Köln und »Irgendwas mit Menschen« im Kom(m)ödchen in Düsseldorf und entschied mich für Letzteres. Kay Lorentz, geschäftsführender Erbe und Nachfolger der legendären Kom(m)ödchengründer Kay und Lore Lorentz, ermöglicht mir Platz im seit Wochen ausgebuchten Theater. Ich frage ihn, was gutes Kabarett ausmache. Seine Antwort: »Haltung, gute Texte und ein perfekt eingespieltes Team.« Über alle drei Komponenten verfügt das inzwischen 70-jährige Kleinkunsttheater.
Donnerstag – 08.03.2018
Ich bleibe dem Kabarett und einem der besten deutschen Texteschreiber treu: Für heute Abend ermöglicht mir mein Lieblingskabarettist Wilfried Schmickler, bei der Aufzeichnung der Mitternachtsspitzen dabei zu sein. Gestern wie heute stammen viele der brillanten Texte von Dietmar Jacobs, der übrigens für seinen Dr.phil. zum Thema »Das Kabarett der DDR in der Ära Honecker« promoviert hat. Politisches Kabarett vom Feinsten. Sollten Sie kein regelmäßiger Konsument der Mitternachtsspitzen sein: keine Schenkel-klopf-unter-der-Gürtellinie-Witze, sondern tiefgründige »So-isses«-Satire.
Im WDR-Haus ging es vorher zur Sache: Boris Palmer, der grüne Bürgermeister Tübingens und Axel Hacke tauschten sich unter der Moderation Jürgen Wiebickes über ihre klugen Bücher aus. Anstand in schwierigen Zeiten und Wir können nicht allen helfen. Sehr kontrovers, sehr nachdenklich machend.
Anschließend zur allabendlichen After-Event-Party ins Schokoladenmuseum, wo sich die Lit.Cologne-Akteure treffen. Auf dem Weg dorthin komme ich am Literaturschiff vorbei, aus dem gerade die Menschenmassen mit auffallend verklärten Gesichtern strömen.
»Was haben Sie denn gehört?«, kann ich mir nicht verkneifen, ein Paar anzusprechen.
»Thomas Balou Martin hat aus dem neuen Roman des Holländers Herman Koch gelesen. Und die Moderatorin war großartig!« Das war Gisela Steinhauer.
Tagsüber finden knapp 100 fantastische Kinder- und Jugendveranstaltungen statt, die zum Glück von vielen Schulklassen besucht werden. Neu in diesem Jahr: Drei Veranstaltungen werden von Schülerinnen und Schülern dreier verschiedener Schulen moderiert. Da wäre ich zu gern dabei gewesen.
Auch die zunehmende Barrierelosigkeit der vielen Veranstaltungen verdient Erwähnung.
Freitag – 09.03.2018
Heute findet die lit.COLOGNE-Gala 2018 in der Kölner Philharmonie statt.
Thema: Krawalle und Liebe. Bettina Böttinger führt gekonnt durch das schwierige Programm, Katja Riemann und Martin Wuttke lesen im Wechsel, die WDR Big Band macht die vom angestrengten Zuhören verstopften Gehirnwindungen mittels ungewöhnlicher Jazzstücke zwischendurch wieder aufnahmebereit, und Fay Claassen sowie Katja Riemann singen. Bettina Böttinger zitiert zur Einleitung die vor wenigen Monaten verstorbene Silvia Bovenschen und sieht so zu, dass auch die gleichgeschlechtliche Liebe nicht außenvorbleibt.
Davor lasen drei Generationen Thalbach, d. h. Großmutter Katharina, Tochter Anna und Enkelin Nellie unter dem Titel »Ihr Mann ist tot und lässt Sie grüßen« alles über die Witwe mit Texten von Goethe, Shakespeare, Brecht, bis Yoko Ono, Helene Weigel und Margot Honecker. Ein Spektrum, wie gemacht für die enorme Bandbreite der begabten Schauspielerinnenfamilie. Besonders grandios, wie Katharina spontan aufspringt und der Enkelin das knarzende Mikrofon zurecht rückt, ohne dass Nellie deshalb aus dem Konzept kommt, oder wie Anna ihrer Tochter liebevoll, aber unerbittlich klar macht, dass diese die falsche Textzeile gelesen hat. Nichts ist peinlich, alles fließt.
Freitag um 22.00 Uhr beginnt der alljährliche Literaturmarathon:
Im Sendesaal des WDR lesen Promis sowie das WDR-Sprecher-Team 4 Stunden lang aus 100 Büchern zum Thema Neubeginn.
Wer keinen Einlass findet, schlägt sich mit oder ohne Schlafsack im Foyer vor dem Riesenbildschirm nieder.
Samstag – 10.03.2018
– leider mein letzter Lit.Cologne-Tag.
Auf ins Flora – ein filigraner, 1863 erbauter Glaspalast, dessen ursprüngliche Schönheit einer gewissen Funktionalität gewichen ist. Doch auch heute bezaubert das Flora und bietet für Veranstaltungen der Lit.Cologne einen gelungenen Rahmen.
Mein Glück kennt keine Grenzen: Nicht nur habe ich in dem hoffnungslos ausverkauften großen Florasaal eine Karte in Reihe 3 für Corinna Harfouch und Paul Ingendaay bekommen – der Platz neben mir gehört: Bettina Böttinger, der von mir so sehr geschätzten Moderatorin! Ich beglückwünsche sie zu ihrer gestrigen Moderation der Gala und bin auch schon in ein höchst anregendes Gespräch über ihre langjährige Freundin und meine ehemalige Schulkameradin Silvia Bovenschen verstrickt. Mühsam verkneife ich mir ein Selfie mit Bettina, sonst fände es sich hier, an dieser Stelle.
Paul Ingendaay ist seit 10 Jahren Lit.Cologne erfahren und bekannt für seine tiefgehenden, facettenreichen Präsentationen der unterschiedlichsten Autorinnen und Autoren. In diesem Jahr also Iris Murdoch. Corinna Harfouch outete sich im vergangenen Jahr als Iris-Murdoch-Fan, und so ist die Kombination der beiden für Erfolg prädestiniert.
Schade, dass er mit keiner Silbe die großartigen Übersetzerinnen erwähnt, will ich mir notieren, als er auch schon Stefanie Schaffer de Vries und Barbara Rojahn-Deyk nennt.
Danach will ich eigentlich mit ins Schokomuseum gehen, habe aber mit Håkan Nesser ausgemacht, ihn bei seiner Lesung zu treffen. Und die folgt jetzt.
Für viele mag es ein Deja-vu sein, denn Håkan Nesser (schwedischer Erfolgs- und nicht nur Krimiautor mit herrlichem Humor), Margarete von Schwarzkopf (langjährige dolmetschende Moderatorin) und Dietmar Bär (die deutsche Stimme Håkan Nessers) sind ein eingespieltes Team, das gute Unterhaltung garantiert und schon oft ein fester Programmpunkt der Lit.Cologne war. Die Programmmacher wären schön dumm, wenn Sie dieses beliebte Trio absetzten, denn als am 6. Dezember der Vorverkauf für die Lit.Cologne begann, war diese Veranstaltung nach einer knappen Stunde ausverkauft. Auch dass das Büchersignieren nach der Lesung genauso lange dauert wie die Lesung selbst, beweist die unendliche Popularität des sympathischen Schweden und – wieder ein Hoch auf die immer zu kurz kommenden Übersetzer – die geniale Arbeit von Paul Berf, der bescheiden und hoch erfreut neben der nicht enden wollenden Signierschlange steht.
Wann wird es endlich einen Literaturübersetzernobelpreis geben, denn wie viele Nobelpreisträger sind der Schwedischen Akademie im Original zugänglich?
Aber das ist eine andere Geschichte …
Ich begebe mich beglückt und bereichert zum Schokomuseum.
Ich freue mich schon jetzt auf »das 19. Mal« – die Lit.Cologne vom 19. bis 30.3.2019.
Barabara Fellgiebel
Barbara Fellgiebel lebt in Schweden und bereist die Welt immer auf Suche nach dem von ihr benannten ALFA-Effekt: Der Entdeckung eines/r Autors/in der/die so fasziniert, dass man unbedingt mehr von dieser beeindruckenden Literatur lesen oder hören möchte.
Großartig, liebe Barbara Fellgiebel! Wie immer ist es ein Fest, von Ihnen zu lesen. Sollten Sie sich jemals im Ruhrgebiet aufhalten, kontakten Sie mich bitte! Ich bin ein guter “guide” …
Herzlich
Ihre Ursula Maria Wartmann
(heute Abend Buchpremiere aus “Schwedische Verführung” im Literaturhaus Dortmund)