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Bachmanntagebuch 2019: Am Grab und im See

Bachmann mit Hut

Seit gut einem Tag bin ich nun in Klagenfurt, um die Tage der Deutschsprachigen Literatur (für Insider #tddl) und den Bachmannpreis 2019 live und vor Ort mitzuverfolgen – aus der Perspektive einer literaturinteressierten, aber literaturbetriebsfernen Zuschauerin, die zum ersten Mal in die Welt des Bachmannpreises eintaucht.

Einen Tag früher anzureisen, war auf jeden Fall gut, um sich in Ruhe akklimatisieren zu können. Aus dem Zug ausgestiegen erwartet mich ein hübsch hergerichtetes Städtchen mit der Infrastruktur für größere Events (Die »United World Games« sind gerade vorbei, zeitgleich zum Bachmannpreis wird Ed Sheeran am Wochenende zwei Konzerte geben, eine Woche später wird der Ironman stattfinden und Andrea Berg kommt auch). Man sollte Hotelbesitzer in Klagenfurt sein, denke ich mir. Auch die idyllische Wörtherseekulisse hält, was ich mir anhand der Bilder versprochen habe. Traumwetter dazu. Ein guter erster Eindruck, den dieses Klagenfurt am Ankunftstag macht.

Nach der ersten Nacht starte ich den Mittwoch mit einer kurzen Joggingrunde in den Tag. Ich liebe es, neue Gegenden laufend zu erkunden, was ich mir auch hier nicht entgehen lassen will. Es geht durch ein wenig durch das Industriegebiet und durch kleine Grünanlagen in der Nähe großer Wohnblocks. Ich begegne Menschen im Alltag, die auf dem Weg zur Kinderkrippe, zur Schule oder zur Arbeit sind. Auch andere Jogger sind unterwegs. Ein ehrlicher Einblick hinter die Kulissen, abseits der stattlichen Villen am See und der herausgeputzten Innenstadt. Um 8 Uhr morgens bin ich bereits 6,3 km gelaufen, habe viele Eindrücke bekommen und ein Lächeln mit mehreren Menschen ausgetauscht. Nach dem Frühstück suche ich das Grab von Ingeborg Bachmann auf. Der Zentralfriedhof Annabichl, wo sie begraben liegt, liegt rund 2 km nördlich der Innenstadt. In Klagenfurt bewegt man sich am besten mit dem Fahrrad fort, die Wegstrecke ist also gar kein Problem. Nach etwas Suchen finde ich das Grab von Ingeborg Bachmann, ein Grabstein mit ihrem Namen (und zwei weiteren Namen, es wird sich wohl um ihre Eltern handeln, wenn man die Jahreszahlen betrachtet). Das Grab ist mit Kies bestreut, und darauf befindet sich ein einzelner, pinker Blumenstock sowie ein paar kleine, kitschige Marmorfiguren. Der Grabstein verrät, dass Ingeborg Bachmann von 1926 bis 1973 gelebt hat, sie wurde 47 Jahre alt. Das Grab reiht sich in die vielen anderen Gräber ein, nichts Besonderes, denke ich, und doch ist mir Ingeborg Bachmann seit dem Besuch auf dem Friedhof irgendwie präsenter. Ich mag gelegentliche Abstecher auf Friedhöfe, da ich diese immer mit einer Portion Ehrfurcht für das Leben wieder verlasse. Das kann nie schaden. 

Das Grab von Ingeborg Bachmann auf dem Zentralfriedhof Annabichl in Klagenfurt
Das Grab von Ingeborg Bachmann auf dem Zentralfriedhof Annabichl in Klagenfurt

Nach dieser Erfahrung fällt es mir leicht, mich an meinem Leben zu freuen: An einem über 30°C heißen Tag ist klar, wo es nun hingeht: an den See. Ich radle die paar Kilometer zum Strandbad Loretto und kann es kaum erwarten, in den See zu springen. Das Wasser ist so wunderbar türkisblau. Und es hat die perfekte Temperatur – erfrischend, aber nicht kalt. Ich schwimme hinaus und genieße die Weite des Sees. Es fühlt sich so richtig wie Urlaub an. Auf der Liegewiese des Strandbads im Schatten erinnere ich mich daran, dass ich nicht nur zum Urlaubmachen gekommen bin. Die Frage, wer eigentlich Ingeborg Bachmann war, beschäftigte mich schon während der Zugfahrt nach Klagenfurt. Ich hatte mich völlig uninformiert auf den Weg gemacht. Da ich weder etwas zur Person noch zu ihren Werken sagen konnte, betrat ich in Klagenfurt als erstes den lokalen Buchladen, und kaufte mir kurz vor Ladenschluss schnell noch eine Biografie sowie einen Gedichtband von der in Klagenfurt geborenen Schriftstellerin und Lyrikerin (Der mit Sommerkleidung vollgepackte Koffer wurde während des Zwischenstopps im Buchladen auf dem Kinderwagenparkplatz zwischengeparkt). Der Gedichtband wurde im Strandbad ausgepackt und eine Kostprobe gelesen. Bachmanns Gedichte wirkten tiefgründig und melancholisch auf mich. Manche Sätze muss man mehrmals lesen, aber dann erschließt sich einem doch der Sinn. Von der Stimmung her folglich nicht so ganz passend zur Freibad-Atmosphäre (Ich musste daran denken, wie ich meinem Babysitterkind vor Jahren von Lars, dem kleinen Eisbären im sommerlichen Strandbad vorlas, worüber sich die Mutter Jahre später noch amüsiert hat). Doch Ort und Zeit passen dann doch, da die Person von Ingeborg Bachmann hier eine gewisse Präsenz hat. Eigentlich hätte ich gerne noch mehr von ihr gelesen, aber der erste offizielle Termin der Preisverleihung 2019 rief.

Um 18.30 Uhr, um einiges früher als in den letzten Jahren, wie ich mir sagen ließ, beginnt die Eröffnungsveranstaltung. Von der Chefin des ORF in Kärnten erfahre ich, dass der Termin vorverlegt wurde, weil die Arbeitszeiten der Mitarbeiter sonst unzulässig lange dauern würden, was vom Arbeitsgericht beanstandet wurde. Ihr ist es recht. Mir ehrlich gesagt auch, da ich durch die ganzen sportlichen Aktivitäten bereits um 18 Uhr recht hungrig und müde bin.

Kurz nach 18 Uhr begeben wir uns ins Studio, von wo aus die Veranstaltung live im Internet übertragen wird. Auf der letzten, für die Presse reservierten Stuhlreihe geht es heiß her, sämtliche Medienmenschen fotografieren und filmen das noch recht leere Studio aus sämtlichen Perspektiven, es werden Fotos und Stories auf Instagram in Echtzeit veröffentlicht. Es wird getwittert, was das Zeug hält. Das Studio füllt sich langsam mit wichtigen Leuten und Bachmann-Prominenz, mehr Pressevertretern, dem interessierten Publikum und den Autoren. Kurz vor 18.30 Uhr leuchten die Scheinwerfer für die Liveübertragung noch heller, und der durchgängig sehr formell wirkende Akt startet. Die Veranstaltung beginnt mit der Einlage eines Pianisten, der während des Abends für Livemusik sorgen wird. Grundsätzlich gefällt mir seine Musik – solange er nicht dazu singt. Der Großteil der circa 1,5-stündigen Veranstaltung besteht allerdings aus Dankes- und Grußreden, vom Lokalpolitiker über den Kooperationspartner zum Superintendenten (ein Bischof im österreichischen Hierarchienjargon). Die Aufgabe der Literatur, sei das »Darstellen«, nicht das »Bloßstellen«, erfährt der Zuhörer in einer Rede. Dass sich alle Beteiligten, insbesondere die Autoren und Juroren, möglichst individuell und exzentrisch darzustellen versuchen, so wie sie sich kleiden, ihre Haare tragen, aber auch wie sie sich verhalten und geben, war mein erster Eindruck der Veranstaltung. Dadurch scheint sich die Literaturszene auch auszuzeichnen. Es scheint mir schon fast wie eine Verpflichtung, dass man als Akteur der Szene seine Freiheit nutzt, sich als Individuum darzustellen. Aus der Finanzbranche bin ich anderes gewohnt, dort erscheinen die Leute auch zu After-Work-Veranstaltungen in Businesskleidung, was ein sehr viel homogeneres Gesamtbild ergibt.

Vor dem ORF-Studio
Vor dem ORF-Studio

Kurz vor Schluss wird noch die Lesereihenfolge der 14 Autoren ausgelost. Die Veranstaltung endet mit der Rede eines ehemaligen Bachmannpreis-Gewinners über »Kayfabe«. Nie gehört? Ich auch nicht – aber die Rede war phänomenal und das Highlight meines Abends. Hätte ich nie erwartet von dem Typen, der die Rede gehalten hat  – auch unverkennbar ein individueller Typ. Doch das Highlight des Tages war definitiv das Schwimmen im See.

Morgen um 10 Uhr geht es dann los mit den Lesungen. Ich bin gespannt.

Juliane Hartmann

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