Die Absage des Bachmannpreises 2020 war die einzig richtige Entscheidung. Eine Verlagerung ins Internet darf nicht erfolgen. Ein Kommentar von Wolfgang Tischer.
In der vergangenen Woche hatte der ORF verkündet, dass der im Juni geplante Bachmannpreis 2020 ausfällt. Es war eine richtige und vernünftige Entscheidung. Die Lage während der Corona-Epidemie ist unklar. Dies betrifft nicht nur das Ansteckungsrisiko, sondern auch die eventuellen Reisebeschränkungen und -einschränkungen.
Doch dann gab es Protest. Zunächst in den Social-Media-Kanälen. Den Literaturwettbewerb ausfallen lassen? Aber es gibt doch Zoom und Skype und diese ganzen modernen Kommunikationsmöglichkeiten! Wenn in diesen Zeiten Krethi und Plethi von daheim aus arbeiten, dann kann doch auch die Jury vom Homeoffice aus urteilen. Und die Lesungen schaut man gemeinsam per Livestream an. Der ORF solle sich mal nicht so anstellen und mit der Zeit gehen! Niemand muss doch für den Wettbewerb nach Klagenfurt reisen! Weblesen statt Wettlesen.
Und dann meldeten sich auch noch fünf der sieben Jurorinnen und Juroren zu Wort und forderten ebenfalls, den Preis durchzuführen. Es sei ein schlechtes Zeichen, jetzt wo nahezu alle Kulturveranstaltungen ausfallen, dass auch die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt abgesagt werden. Da müsse man doch alternative Möglichkeiten finden.
Doch wie diese Möglichkeiten aussehen, das vermochte man nicht zu sagen. Die übliche Zeremonie im Studio, nur ohne Zuschauer? Es wurde auf den Literaturclub im Schweizer Fernsehen verwiesen, der ja auch stattfände. Nur: Der Bachmannpreis ist keine einstündige Abendsendung, sondern geht mit dem Eröffnungsabend über fünf Tage. Autoren und Juroren können nicht in einer Quarantäne-WG auf Feldbetten im ORF-Studio schlafen, damit sie sich nicht im Hotel oder im Strandbad anstecken. Und was ist, wenn doch einer unter den Autorinnen und Autoren erkrankt? Liest die oder der dann mit Mundschutz?
Eilig – zu eilig – reagierte ORF-Chef Alexander Wrabetz, der offenbar ohne ausreichende Rücksprache mit den Kollegen vor Ort in Kärnten und mit den Sponsoren, verkündete, man werde eine Arbeitsgruppe bilden, um einen »Bachmannpreis spezial« digital zu realisieren. Der Einsatz erstaunte. War doch Wrabetz vor einigen Jahren noch dafür, den Preis aus Kostengründen ganz einzustellen. Nur massive Proteste konnten ihn damals umstimmen.
Wie der Standard berichtet, sorgt der aktuelle Meinungsumschwung an der ORF-Spitze für Verwirrung unter den Sponsoren, denn die stiften die Preisgelder. Das sind die Kärntner Elektrizitätswerke, der Deutschlandfunk, die BKS-Bank und natürlich allen voran die Stadt Klagenfurt, die den den mit 25.000 Euro dotierten Hauptpreis stiftet. Aber welches Interesse sollte die Stadt daran haben, einen Preis zu finanzieren, für den niemand mehr nach Klagenfurt kommen muss?
Zudem müssten die Wettbewerbsstatuten geändert werden, die vorschreiben, dass Juroren und Autoren vor Ort in Klagenfurt sein müssen. Als 2014 die Autorin Karen Köhler an Windpocken erkrankte und sie nicht an den Wörthersee reisen konnte, durfte sie nicht per Skype zugeschaltet werden und lesen. Es sollten gleiche Bedingungen für alle gelten und die sehen nun mal das Lesen Aug’ in Aug’ mit der Jury vor.
Wir sehen in letzter Zeit so viele bedrückende Bilder, in denen Menschen schlecht beleuchtet vor der Webcam in ihren Wohnungen sitzen. Leute vor chaotischen Bücherregalen, vor Schrankwänden, ein von unten aufgenommenes Doppelkinn mit Blick auf die Zimmerecke, geschmacklose Bilder an den Wänden. Und der Blick immer etwas dümmlich leicht neben der Webcam vorbei.
Nein, so will ich die Autorinnen und Autoren nicht sehen und so will ich auch die Jurorinnen und Juroren nicht sehen! Die nutzten in den letzten Jahren bisweilen bereits T-Shirts zur Selbstdarstellung. Ich will gar nicht wissen, welch witzige Utensilien sie da in den Bildhintergrund rücken würden. Der Bachmannpreis als neunköpfige gekachelte Zoom-Konferenz? Die sieben Juroren, Autor und Moderator? Hallo? Können Sie mich hören? Ah, Moment, gerade stockt der Livestream, bitte lesen Sie doch den letzten Absatz nochmals.
Mit einem (selbst auch nur teilweise) digital realisierten Bachmannpreis würde man die Maßstäbe nach unten setzen. Fernsehen ist Inszenierung. Der Bachmannpreis ist Inszenierung. Und er muss im Fernsehen bleiben! Mit der bedrückenden Webcam-Optik wird selbst größten Stars der Zauber geraubt. Ich habe Elton John schlecht ausgeleuchtet in seiner Küche sitzen sehen. Ich will nicht Klaus Kastberger schlecht beleuchtet in seiner Küche sitzen sehen.
Außerdem ist Klagenfurt mehr als nur eine Fernsehübertragung. Klagenfurt und die Tage der deutschsprachigen Literatur, das ist eben: Klagenfurt! Vor Ort sein. Diskutieren, am Lendhafen sitzen, zur Lesung des Literaturkurses gehen. Die Stimmung im Zuschauerraum spüren, im Wörthersee schwimmen oder beim Empfang der Bürgermeisterin auf den See blicken.
Die Absage 2020 war die einzig richtige Entscheidung. 2021 sehen wir uns alle vor Ort wieder. Und dann diskutieren wir parallel auf Twitter und Co über den Wettbewerb, der jedoch weiterhin real vor Ort in Klagenfurt stattfindet. Denn nur Klagenfurt ist Klagenfurt.
Der Bachmannpreis darf nicht zur Zoom-Konferenz verkommen. Nicht 2020 und auch nicht danach.
Wolfgang Tischer
Dem stimme ich nicht zu und ich bin sicher, daß der ORF eine Lösung, siehe auch meine bisherigen Kommentare, zusammenbringt, daß man Klaus Kastberger gut beleuchtet im Fernsehen sieht und mit neuen innovativen Methoden, der Krise entgegengeht!
Die Kinder und die Studenten müßen auch Homelearnig machen, betreten neue Wege und machen erfolgreich neue Erfahrungen dabei und ich freue mich über die vielen Homevideos und Homelesungen und denke immer noch, daß Literatur ist in Zeit, wie diesen sehr gut und wichtig ist und wenn sie auf neuen Wegen passiert, umso besser, liebe Grüße aus Wien!
1. April! Der Kommentar des Herrn Tischer ist wohl ‘n Aprilscherz, nich’ wahr? Spricht da wer, der sich mit neuen Techniken nicht anfreunden will? Oder ist’s der Verlust der Genüsse, die auf dem Spiel steh’n? Kein Lendhafen, kein Schwimmen im Wörthersee, kein Blick auf die Bürgermeisterin… ach nein, neben die Bürgermeisterin auf den See… Wenn es jemandem nicht passt, leicht dümmlich aus dem Computerbildschirm blickende Doppelkinngesichter anstarren zu müssen, dem kann ich nur anraten, einfach den Bildschirm auszuschalten und sich auf die Literatur zu konzentrieren. Um die geht’s ja schließlich. Beim nächsten Bachmannpreis werden wir dann umso extatischer im See baden.
Ach ja, den Aprilscherz habe ich vergessen, obwohl Wolfgang Tischer immer gerne mit seinen Tests sein Publikum überprüft, liebe Erika, ich bin ja leider eine, die alles viel zu ernst nimmt und mit der Ironie nicht so gut umgehen kann!
Denn eigentlich kann man dem Literaturcafe eine technische Affinität nicht absprechen und darf nicht vergessen, daß es auf dieser Linie ja sehr fortschrifttlich ist und beispielsweise beim vielgeschmähten Selfpublishing ein Vorreiter war!
Also entspannt bleiben und abwarten, was da im Juni passieren wird und im übrigen traue ich Herrn Kastberger, der mit seinen Ruderleiberln ja in Klagenfurt einen sehr erfrischenden Eindruck macht, sich nicht in seine Küche, sondern hintern seinen Schreibtisch setzen wird und falls es im Netz doch nicht so ganz professionell hinüberkommt, können wir uns hoffentlich auf das nächste Jahr im ORF-Theater freuen!
Mir schein, hier handelt es sich nicht um einen Aprilscherz.
Mir ist bewusst, dass ein gutes Cover den Verkauf fördert – damit haben wir uns ja alle abgefunden.
Aber ein schlecht ausgeleuchteter Autor soll schädlich für den Genuss seiner zu Papier gebrachten Gedanken sein?
Halt, ich weiß! Der Verfasser dieser Zeilen möchte nur das Blut besser sehen, wie einst beim Preisträger Rainald Goetz.
Lieber Herr Schulze!
In Zeiten, wie diesen sollte man wohl Abstriche machen, so predigt uns zum Beispiel derzeit der Unterrichtsminister ständig, daß man die Kinder beim Homeworking nicht überfordern soll und es nichts macht, wenn sie eine Aufgabe vielleicht nicht nach Plan durchführen und die Kulturveranstaltungen sind abgesagt, wir sitzen zu Hause und müßen aufpassen, damit wir nicht depressiv werden und vielleicht auch nicht durchdrehen, weil uns die Decke auf den Kopf fällt und außerdem soll man, höre ich jetzt immer, die Kultur fördern, lesen, sich online Lesungen anschauen, den Buchhandel unterstützen, etcetera!
Deshalb bin ich über jedes Homevideo froh, auch wenn es schlecht beleuchtet ist, aber der ORF ist da sicher Profi, kennt sich aus und kann die Veranstaltung, deren Sinn es ohnehin immer war, sie im Fernsehen zu präsentieren, sicher so gestalten, daß das Literaturcafe damit zufrieden ist und wenn sie vielleicht doch umstandsbedingt nicht so ganz perfekt ausfallen sollte, können wir uns ja auf das nächste Jahr in Klagenfurt freuen, wenn die Krise hoffentlich vorüber ist!
Ich würde sagen: Sowohl als auch. Sowohl sollten wir nicht auf Dauer auf so manch Erhebendes verzichten, nur weil wir es nicht in der gewohnten Weise oder Qualität erleben können. Und ebenso sollten wir mit Kreativität und Herzblut neue, vielleicht überraschend reichhaltige Wege finden, wenn die alten uns versperrt werden.
Was den Bachmannpreis anbetrifft: Wenn wir ihn nicht auf neue Weise mit all seiner Magie aufleben lassen können, vielleicht gar als Metamorphose, ihn aber auch nicht seines Zaubers berauben wollen durch allzu starkes Downsizing, vielleicht finden sich Alternativen, bis eine Einkehr am Wörthersee wieder verantwortbar ist.
Ich bin jemand, der sich mit neuen Techniken gerne anfreundet und stimme Herrn Tischer uneingeschränkt zu. Normalerweise traue ich Literaturbegeisterten ja am ehesten den Blick über den Tellerrand zu, aber anscheinend ist manch einer doch zu sehr hinter Stapeln von ungelesenen Büchern eingemauert. Falls es noch nicht alle mitbekommen haben: Dieses Jahr hätte eine Fußball-EM stattfinden sollen, auch die wurde auf nächstes Jahr verschoben. Corona macht vor nichts halt und es interessieren sich in diesem Land mehr Menschen – und zu denen gehöre ich absolut nicht – für die Fußball-EM als für den Bachmannpreis. Und nur, weil unsere Leidenschaft intellektuell anspruchsvoller ist, ist sie nicht mehr wert.
All die Sportfans und Musikbegeisterten, die Sportler und Musiker, haben es momentan schwerer. Als Autor kann man ganz normal weiterarbeiten, als Leser weiterlesen – und die Lesungen fallen momentan halt aus (können aber online stattfinden). Musiker sind auf die Einnahmen von Auftritten angewiesen und neue Songs können auch schlecht aufgenommen werden, wenn eine Band nicht in einem Studio zusammenkommen kann.
Und ja, nicht jeder hat ein tolles Studio im Keller wie z.B. Oliver Kalkofe.
Hoffen wir, dass es nächstes Jahr um diese Zeit vorbei ist und wir uns wieder an den beiden Buchmessen und dem Bachmannpreis erfreuen können.
Fast drei Wochen sind vergangen und viele kreative Medienexperimente waren zu bewundern. Auch Du, lieber Wolfgang, hast durch Deine Lesung der Pest von Camus (inklusive Making-of) gezeigt, wie mit einfachen Mitteln die Basics gewährleistet werden können.
Fest steht: Es wäre durchaus möglich visuell und akustisch ansprechende Lesungen über Video zu realisieren. Es wäre allerdings wohl doch eher schwierig, daraus ein atmosphärisch überzeugendes Event zu zaubern, da dies einiges an Design, Technik und – ja – Geld erfordern würde.
Ich kann mir zwar eine virtuelle Heimstatt vorstellen, dreidimensional geschmackvoll eingerichtet, vielleicht ähnlich dem Saal, den wir kennen, in der Fenster auf Live-Streams zu Autoren und Jury eröffnet werden, doch selbst wenn dies realisiert werden könnte, weiß ich nicht recht wie die Zuhörer ansprechend visualisiert werden könnten. Der Aufwand für all das wäre jedenfalls erheblich.
Lieber Christian,
es geht um Technik, es geht um Inszenierung, es geht um Wirkung – es geht aber in erster Linie um Politik und das Gewicht, das die Literatur künftig auch noch haben soll.
Die Technik ist kein Problem. Und natürlich ist es überhaupt kein Problem, den Wettbewerb irgendwie “im Internet” oder mit Unterstützung von Web-Techniken abzubilden. Einige argumentieren mit dieser begrenzten Sichtweise, dass das überhaupt kein Problem sei und man gerade jetzt alles daran setzen müsse, dass Literatur und Bücher überall aufscheinen, wo es nur geht.
Doch bei der Umsetzung darf man nicht zu kurz denken. Und man darf nicht allein in technischen Dimensionen denken. Obwohl der Bachmannpreis gesichert scheint, ist er dennoch fragil. Er ist kein Quotenbringer im Fernsehen, und es gibt durchaus immer noch Menschen, die fragen und hinterfragen, ob dass denn sein muss, dass dieser Wettbewerb in dieser Form im Fernsehen laufen muss. Eine ganz heikle Diskussion, die da vor einigen Jahren sehr öffentlich geführt wurde und der sich glücklicherweise einige widersetzt haben.
Den Wettbewerb jetzt – in welcher Form auch immer – herunterzufahren, könnte gefährliche Signale setzen. Daher muss eine alternative Umsetzung sehr sensibel erfolgen, um dem Wettbewerb nicht längerfristig zu schaden. Die Umsetzung eines “Bachmannpreis Spezial” darf nicht – bewusst oder unbewusst – denen in die Hände spielen, die den Wettbewerb in dieser Form ohnehin nicht mehr im Fernsehen haben wollen. Ein zu kurz gedachtes “Jetzt-mit-allen-Mitteln-eine-Alternative-finden” darf nicht dazu führen, dass dem Wettbewerb längerfristig geschadet wird. (WT)
Lieber Wolfgang,
vielen Dank für diese sehr eindringliche und interessante Mahnung. Ich hatte den Aspekt zwar aufgenommen, aber mehr am Rande, und jetzt lese ich manche Passage Deines Artikels noch ganz anders, z.B. den Hinweis auf Alexander Wrabetz und dem Kontrast zwischen seinem jüngsten Vorpreschen und seiner Einlassung vor einigen Jahren. Ich hatte nicht mehr auf dem Schirm wie schutzbedürftig Literatur ist, wie leicht so manches zerredet werden kann. Dieser Aspekt unterstreicht die Notwendigkeit, zunächst genau zu bestimmen, was die Daseinsberechtigung, das Besondere am Bachmannpreis ist, das eben nicht verloren gehen darf, wenn man alternative Darbietungen diskutiert. Es wäre in der Tat fatal durch eine neue Tür zu gehen, die sich als Falltür erweist. Diese Gefahr und die Besonderheiten dieser Veranstaltung vor Augen, habe ich nun noch größere Zweifel. Davon abgesehen kann mir ohnehin kein Medium diese unmittelbare Präsenz eines Menschen vermitteln, die ich erlebe, wenn ich ihn leibhaftig treffe. Dieser Aspekt bliebe stets unerreicht und sollte niemals auf Dauer aufgegeben werden.
Es geht oder sollte das um Literatur!