StartseiteBuchkritiken und TippsWie Bibel und Büchner: »Der Keim« von Tarjei Vesaas

Wie Bibel und Büchner: »Der Keim« von Tarjei Vesaas

Tarjei Vesaas: Der Keim
Eine archaische Geschichte, die aus der Bibel stammen könnte, und im Deutschen eine Sprache, die an Georg Büchner denken lässt. Im Guggolz Verlag ist mit »Der Keim« ein dritter Roman des Norwegers Tarjei Vesaas erschienen, erneut herausragend übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel.

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Dicht

Eine kleine Insel wird zu einem Ort von Mord, Sühne und Schuld. Aber auch Vergebung? Charaktere, Sprache, Metaphern, Beschreibungen und Dialoge: Alles ist dicht gesetzt und meisterlich komponiert im Roman von Tarjei Vesaas. Nichts erscheint überflüssig, und vieles wird nicht gesagt und geschrieben, weil es deutlich zwischen den Zeilen steht.

Alles beginnt so hoffnungsvoll: Ein Mann kommt auf eine Insel, um im Leben einen neuen Anfang zu finden. Wieder setzt Vesaas die Natur ein, um Inneres zu zeigen: »Er schaute sich neugierig um, durstig auf alles, was er sah, das Wachsen und Reifen überall, das die Luft schwer von Kräuterduft machte …«.

Doch Andreas, so heißt der neugierige, hoffnungsvolle Mann, wird Unglück über die Insel bringen, und mehr muss man selbst lesen.

Sprache

Tarjei Vesaas Roman könnte auch ein Theaterstück sein. Zeit, Raum und Handlung bilden eine aristotelische Einheit. Personen wie Haug und Dal lassen wiederum an Samuel Beckett denken, die Sprache der Übersetzung an Georg Büchner. Man meint eine Passage aus dem »Lenz« zu hören, wenn es beispielsweise heißt: »Ihm war, als würde etwas an ihm ziehen. Etwas leistete ihm Gesellschaft. Er wusste, da war niemand, dennoch. Es war nichts anderes als seine eigene Angst. Aber sie nahm Gestalt an, als wäre jemand hinter ihm, nach dem er sich umdrehen müsste.«

Es ist die lyrische und lakonische Sprache Vesaas, aber natürlich ist es in erster Linie die Sprache des Übersetzers Hinrich Schmidt-Henkel, der sie für dieses Werk gewählt hat. Eine preiswürdige Sprache, denn Schmidt-Henkel war für die Übersetzung von Vesaas Roman »Die Vögel« für den Preis der Leipziger Buchmesse 2021 nominiert. Danach folgte ebenfalls im Guggolz Verlag »Das Eis-Schloss« und jetzt, 2023, »Der Keim«. Verleger Sebastian Guggolz hat Tarjei Vesaas wiederentdeckt und mit Schmidt-Henkel einen herausragenden Übersetzer gefunden.

Tarjei Vesaas war und ist in seiner Heimat ebenfalls preisgekrönt, er starb bereits im Jahre 1970. Geboren ist er 1897. »Der Keim« wurde auf Norwegisch 1940 veröffentlicht.

Einheit

Vieles keimt in dieser Geschichte, die Hoffnung, das Böse, der Wunsch, die Insel zu verlassen … Selbst der Titel ist dicht an Bedeutung.

Und typografisch setzt es sich fort. Die kargen, aber nicht seltenen Dialoge sind nicht in Anführungszeichen gesetzt. Für diesen Roman wäre dies unnötig kleinteilig und verspielt. Stattdessen leitet die Worte ein Gedankenstrich ein. Alles hat sich in der deutschen Übersetzung perfekt zusammengefunden.

Auch die Leser sollten sich dich an diesen Text drängen, am besten man liest ihn an nicht mehr als drei Tagen.

Perfekt. Dicht. Vesaas.

Wolfgang Tischer

Tarjei Vesaas; Hinrich Schmidt-Henkel (Übersetzung): Der Keim. Gebundene Ausgabe. 2023. Guggolz Verlag. ISBN/EAN: 9783945370391. 24,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Tarjei Vesaas; Hinrich Schmidt-Henkel (Übersetzung): Der Keim. Kindle Ausgabe. 2023. Guggolz Verlag. 18,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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