Der Frühling kommt. Warum nicht ein nettes kleines Abschiedsgedicht für den Winterschal schreiben? Leider scheitert die Umsetzung, denn die ist lieblos und handwerklich dilettantisch ausgeführt. Textkritiker Malte Bremer macht einen Gegenvorschlag.
Mein Schal
Mein Schal
Bist herrlich warm und kuschlig weich,
wenn kalter Wind zum Halse greift,
Schützt mich, mit dicht gestrickten Maschen
Die Hände wärm ich in den Taschen.
Doch leider, hast auch kratzige Gebrüder
Da wäg ich ab das Für und Wider.
Trotz der Gefahr, mich mit Katarrh zu plagen
Schlag lieber auf den Kragen.
Der Lenz schickt erste warme Strahlen.
Die Abendkühle zu ertragen,
schätz ich die wollige Begleitung sehr,
gleichwohl, wird deine Freizeit mehr.
Mit Feinwaschmittel gut gepflegt,
getrocknet sauber zusammengelegt
Zum Sommerschlaf ab in den Schrank
und vielen Dank, bis wieder herbstes Zeit
Liegst wohl behütet für mich bereit.
Zusammenfassende Bewertung
Lieblos zusammengeschustert!
Die Kritik im Einzelnen
Da beginnt bereits das Gehapere: Weich und greift ist ein extrem unreiner Reim, denn er besteht lediglich aus einem EI … Nach greift müsste ein Komma stehen, denn der der Eingangssatz wird weitergeführt. zurück
Der weitergeführte Satz ist jetzt beendet, also muss nach Maschen ein Punkt stehen. Das Komma nach schützt mich ist fehl am Platz, also weg damit! zurück
Das Komma ist falsch, und am Ende der Zeile sollte mindestens ein Punkt stehen – inhaltlich besser wäre ein Ausrufezeichen. zurück
Warum diese Zeile mit Da beginnt statt mit einem logischen Dann, bleibt unerfindlich. Der Punkt nach Wider sollte zugunsten eines Kommas verschwinden, denn es folgt das Resultat des Abwägens. zurück
Jetzt bricht der Inhalt völlig zusammen: Warum soll ICH sich auf den Kragen schlagen? Was soll das denn bringen? Zudem wird jetzt auch noch das bisherige Versmaß zerstört, indem die Zeile mit einem Trochäus (also betont!) beginnt.
Wie einfach wäre eine winzige Korrektur: Ich schlage lieber hoch den Kragen … DAS kann jeder verstehen! zurück
Die wollige Begleitung ist zu lang! Hier passt ganz schlicht: schätz ich des Schals Begleitung sehr. Dass der aus Wolle besteht, ergibt sich aus dem ersten Abschnitt (Strophe bezeichnet nur ausnahmslos gleich-gebaute Verse!) zurück
Nun braucht es fünf Zeilen, um umständlich einen schrägen Schluss zu platzieren mit seltsamer Unsicherheit, wo denn ein Großbuchstabe hingehört: An den Anfang jeder Zeile? Herbst? Warum aber dann nicht im ganzen »Gedicht«, sondern erst hier? Und warum wird das große H bei »des herbstes Zeit« unterschlagen? Und in der letzten Zeile wechselt das Metrum in etwas völlig Undurchschaubares! zurück
Hätte der Verfasser mehr Hirn und Zeit investiert, käme das doch ganz passabel rüber! Hier ungebeten meine Variante:
Oh Schal!
Bist herrlich warm und kuschlig weich,
wenn kalter Wind den Hals angreift,
schützt mich mit dicht gestrickten Maschen!
Die Hände wärm ich in den Taschen.
Doch leider hast du Kratz-Gebrüder!
Dann wäg ich ab das Für und Wider.
Und trotz Gefahr, mich arg zu plagen,
schlag ich mir lieber hoch den Kragen.
Der Lenz schickt erste warme Strahlen.
Die Abendkühle zu ertragen
schätz ich des Schals Begleitung sehr!
Gleichwohl, wird seine Freizeit mehr.
Mit Feinwaschmittel gut gepflegt,
getrocknet und beiseit gelegt
zum Sommerschlaf ab in den Schrank.
Du tat’st mir gut, Schal! Vielen Dank!
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