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Textkritik: Reißaus vor dem flatternden Frühling

Aktuell wäre ein Frühlingsgedicht passend. Leider findet Textkritiker Malte Bremer nichts Geeignetes.

Frühling

von Christoph Geiser
Textart: Lyrik
Bewertung: 0 von 5 Brillen

Der Frühling flattert frisch herein
Durch Wald und Feld und durch die Lüfte.
Wer wollte es nicht gern begrüßen,
Das Sonnenlicht und tausend Düfte?

Der Winter hat reißaus genommen
Mit Schnee und Eis und Dunkelheit.
Die Uhr ist weiter fortgeschritten
In Richtung warme Jahreszeit.

Es blühen auf die Osterglocken,
Die Vögel zwitschern sanfte Töne,
Die Welt wirbt um sich, macht auf heiter,
Dass man sich immer dran gewöhne.

Und auch die Menschen werden herzlich.
Sie tauen plötzlich wie von selber auf.
Es ist wohl jedes Jahr das gleiche,
Es scheint so, wie ein Lebenslauf.

Den Frühling wird´s nicht weiter stören,
Es dreht sich um sich selbst so wunderbar.
Es will sich jeden Tag aufs neu vermählen,
Ist heiter nur, wie sonst ein Liebespaar.

Es kennt nur sich und sonst kein Morgen.
Es denkt nicht in Vergangenheit.
Und macht sich keine Zukunftssorgen.
Ist pure Gegenwart, ist Heiterkeit.

Und möcht´ so gerne ewig bleiben.
Doch alles das, das geht ja nicht.
Drum will er auch die Zeit vertreiben
Und Anteil nehmen im Gedicht.

Im lyrisch Versmaß sich einbinden,
In Schwarz auf weiß, und das im Nu.
So kann es später jeder lesen,
Dann freut er sich auch immerzu.

Derweil soll er im Draußen weiter walten.
Soll grünen, scheinen, spielen gar,
Bis dass die Zeit ist abgelaufen,
In diesem und im letzten Jahr.

© 2019 by Christoph Geiser. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Es macht einen fassungslos, dass dermaßen viel Blödsinn in so ein lächerliches Textlein gepresst werden kann!

Die Kritik im Einzelnen

Wie war das? Der Frühling flattert herein, und zwar flattert der durch Wald und Feld? Also durch Bäume UND Feldgewächse und gleichzeitig auch noch durch die Luft? Das ist maßlos übertrieben und inhaltlich mehr als fragwürdig! Eine misslungene Mörike-Anspielung? Zurück

Ich! Ich sehe keinen Grund, das Sonnenlicht zu begrüßen, schließlich war es ja nicht finster! Und 1000 Düfte sind mir 997 zu viel! Bereits die erste Strophe ist inhaltlich erfolgreich missglückt! Zurück

Das muss Reißaus heißen. Warum ist der Winter eigentlich abgehauen? Hat er Angst? Tipp: Die Natur zu vermenschlichen ist eher peinlich … siehe die Uhr, die angeblich fortgeschritten ist –aber trotzdem noch da! Was soll denn die Uhr in der warmen Zeit auch anderes tun als in der kalten, nämlich gehen? Zurück

Die Vögel zwitschern. Punkt! Das Spektakel der Vögel hat mit dem hilflosen Kitsch-Gezwitscher nichts zu tun! Dazu dann noch die Welt – eine Nummer kleiner geht wohl nicht? Warum denn nicht gleich das Universum?   – Je nun. Also die Welt! Die macht jetzt was, als der Winter Reißaus genommen hat: Sie wirbt um sich! Bislang war mir nur bekannt, dass für ein Produkt geworben wird von einer Firma oder einem Anbieter! Wie aber wirbt man um sich? Die auf dem Straßenstrich? Die machen aber weniger auf heiter, das hilft nämlich nicht! Die Welt als wahre Ware … Es geht tatsächlich noch schlimmer! Zurück

Das erste wahre Wort: Es ist jedes Jahr das Gleiche: Die Menschen tauen auf, werden herzlich, genau wie ein Lebenslauf: Der ist nämlich auch immer gleich … was ein inhaltlicher Pfusch wird hier zusammengemanscht! Zurück

WAS hat denn Frühling denn bisher gestört, damit es JETZT den Frühling nicht mehr weiter stören kann? Nix! Das ist einfach nur Sprachmüll: Der Frühling dreht sich um sich selbst, und zwar wunderbar. Hat seine Flatterei offenbar eingestellt und klammheimlich durch ein Um-sich-selbst-Drehen ersetzt sowie einen Massenvermählungswunsch und ist zudem heiter (also der Frühling) wie ein Liebespaar. Zurück

Themawechsel: Jetzt werden wir aufgeklärt, was ein echtes Liebespaar ausmacht:
§ 1.) Ein Liebespaar kennt kein Morgen, sondern nur sich.
§ 2.) Ein Liebespaar denkt nicht in Vergangenheit. Hat demnach also kein Erinnerungsvermögen.
§ 3.) Ein Liebespaar macht sich keine Zukunftssorgen
§ 4.) Ein Liebespaar ist pure Gegenwart + Heiterkeit
§ 5.) Ein Liebespaar möchte ewig bleiben (das geht leider, leider nicht, denn ewig bedeutet ja ohne Anfang und ohne Ende – aber dank Frühlingsgeflatter hat es ja angefangen! Je nun: Zerebrale Diarrhö ist ausgesprochen tragisch, da unheilbar! Eben! Zurück

Jetzt kommt endlich etwas Klarheit in dieses alberne Gefasel: Der Frühling muss Zeit totschlagen, und deswegen schreibt er halt einfach mal ein Gedicht. Aber warum auch nicht? Jeder kann schließlich Gedichte schreiben – warum also nicht auch der Frühling?  Zurück

Und fröhlich stümpert er drauflos: Im lyrisch Versmaß sich einbinden will der Frühling. Es hieße zwar korrekt in einem Versmaß – doch weil ein Versmaß vor allem in Gedichten auftritt, kann lyrisch einfach entfallen – aber wen juckt’s? Das ist schließlich dichterische Freiheit! Jawoll! Auch dass es in diesem Frühlingswörtermatsch gar kein Versmaß gibt: mal vier, mal fünf, mal sechs Betonungen, mal reimen sich nur zwei Zeile pro Vers, mal vier – egal! Es heißt zwar das Schwarz und das Weiß, aber dem Stümperfrühling ist das egal.  Zurück

Zuguterletzt soll der Frühling draußen – pardon: im Draußen – weiter walten … Was jedoch soll der Frühling walten? Oder soll er lieber verwalten? Aber WAS? Und spielen soll er auch noch! Wer sagt dem Frühling denn, was er soll? Z. B., dass er scheinen soll? Ist das nicht Aufgabe von Sonne, Mond und Sternen? Jetzt auch noch der Frühling? Und welche Zeit ist irgendwann abgelaufen? Die Lebenszeit des Frühlings? Oder die vom letzten und diesem Jahr? So steht es doch geschrieben! Zurück

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