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Textkritik: Gute-Nacht-Gedicht – Lyrik

Eine Textkritik von Malte Bremer

Gute-Nacht-Gedicht

von Stefan Schmidt
Textart: Lyrik
Bewertung: 3 von 5 Brillen

Die Nacht legt ihre Schlingen um uns
und wirft uns in die Leere des Raums
Schwerelosigkeit gleitet uns von der Hand
zur anderen
-rieselt durch die Finger wie Sand

Ein Herz-Schlag-t uns die Zeit
endlich lässt uns die Tiefe fallen
Ein Schrei geht Atem holen
zum Brunnen
an der Mutter Hand
ganz unten

Was, was… was habe ich geseh’n
etwas Schönes
ich bin müde
schlafengeh’n

© 2001 by Stefan Schmidt. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Das Gedicht zappelt zwischen Raum-Zeit-Menschheitskitsch und lyrischen Bildern; die Unentschiedenheit ärgert, die lyrischen Bilder erfreuen: Allein mit Streichungen ist eine Menge zu klären! Das kann was werden, wenn jemand will …

Die Kritik im Einzelnen

Darf es vielleicht etwas weniger sein als die Leere des Raums? Z.B. einfach nur Leere? Muss die Leere in einen Raum gefüllt werden, damit der Raum dann randvoll ist von der Leere? Ist stinknormale Leere nicht schlimm genug?
Es will mir einfach nicht in den Kopf, was an dieser ausgelutschten Kitschphrase dermaßen fesselnd ist, dass ich sie immer und immer wieder als Lyrik präsentiert bekomme! Es graust einem nur noch! zurück
Wenn Schwerelosigkeit wie Sand durch Finger rieselt, muss sie annähernd das gleiche Gewicht besitzen, andernfalls könnte sie nicht rieseln. Gleitende Schwerelosigkeit könnte ich mir gerade noch vorstellen, schließlich ist das schwerelose Gleiten eine Standardfloskel und damit Allgemeingut, aber dass Schwerelosigkeit von einer Hand zur anderen gleitet und zusätzlich sandmäßig durch die Finger rieselt: da wirft mein Vorstellungskraft die Flinte in das schwerelose Korn des leeregefüllten Hohlraums!
Zusammengefasst: in der Leere des Raums geht es fröhlich & leicht zu, da wird schwerelos geglitten und gerieselt, dass es eine wahre Pracht ist – aber erst, wenn die Leere mit uns gefüllt ist: vorher war da nichts, nicht einmal Schwerelosigkeit; also geht es in der Leere überhaupt nicht zu, wir schleppen die Schwerelosigkeit wie einen Sandsack mit, wenn die Schlingen der Nacht uns in die Leere des Raums schleudern.
Fabelhaft! Was sagt uns das? Leere mit uns drin = gewichtige Schwerelosigkeit! Warum wirft die Nacht mit uns? Gibt sonst niemanden, der sich das gefallen ließe. Ich ab jetzt auch nicht mehr, da kann in einem Text so oft uns stehen wie will: für mich ist Sense.
Verbesserungsvorschlag: von dieser Strophe nur die erste Zeile, den Rest mit Stumpf und Stil entsorgen! Und von der ersten Zeile möge bleiben: Die Nacht legt ihre Schlingen Mehr braucht es nicht, uns Menschen schon gar nicht! zurück
Das ist sehr gewollt, ich lasse es aber durchgehen wegen dem Wortspiel; uns die Zeit aber vereinnahmt erneut die Menschheit und pappt erwartungsgemäß die Zeit an den Raum der verflossenen Strophe und klärt über die Bedeutung des Herzschlags auf: zuviel, zuviel, zuviel – weg damit! Ein Herz-Schlag-t genügt vollauf. zurück
Nichts bleibt einem erspart! Die Tiefe soll wohl die Tiefe des Raumes sein (er kam aus der Tiefe des Raumes…), dem erneut seine ureigenste Leere abgesprochen wird! Dass die Tiefe euch bislang im Griff hatte (also doch nicht die Leere oder der Raum oder die Schwerelosigkeit) und euch jetzt fallen lässt (welch hirnsprengender Tiefsinn: die Tiefe lässt euch fallen. »Aber ja, liebe Zweifler: das bedeutet nämlich, dass es noch tiefer geht als die Tiefe, nämlich in die allertiefste Erkenntnis, wo es am finstersten ist!«); doch ihr werdet nicht einfach so & irgendwie fallen gelassen, sondern endlich: wie lange habt ihr euch nicht schon gewünscht, fallen gelassen zu werden? All zu lange hatte die Schwerelosigkeit euch im festen Griff: endlich naht sehnsuchtsschmalzige Runderneuerungsbefreiung: Fiat Lux! Auch dieser Zeile empfehle eine stillen und endgültige Auslöschung! zurück
Diese vier Zeilen haben meine uneingeschränkte Zustimmung: kein vereinnehmendes Menschheitsgefasel mehr, keine überdimensionierten Leerwörter, sondern ein Bild, das Assoziationen ermöglicht! Es geht doch, es geht doch: ich weiß es ja! zurück
Auch mit diesen Zeile kann ich mich anfreunden, da ein Sichtwechsel stattfindet: es könnte ein Dialog sein, so einer in der (Wieder)Einschlafphase, halb hier, halb noch im Traum. Aus rhythmischen Gründen würde ich in der ersten dieser vier Zeilen ein was entfernen; ob die letzte Zeile eingerückt werden sollte, ob es drei oder vier Zeilen sein sollen, welche Zeile warum mit Großbuchstaben beginnt, warum welche Satzzeichen: das möge alles der Autor entscheiden. Zum krönenden Abschluss die Kürzfassung dieses Gedichts im Zusammenhang:

Gute-Nacht-Gedicht
Stefan Schmidt
überarbeitet von Malte Bremer

die Nacht legt ihre Schlingen
ein Herz schlag t
ein Schrei geht Atem holen
zum Brunnen
an der Mutter Hand
ganz unten

was … was habe ich gesehn
etwas Schönes
ich bin müde
schlafen gehn

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© 2001 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.