Eine Textkritik von Malte Bremer
gewerbegebiet
schlaftrunkene gebäude
stützen den stadtrand
die straßen
zuckende neonscherben
im ampeltakt
die luft hängt tief
trübes blechgeflüster
runde um runde
der blaue lkw
das leben
hockt hinter dem stacheldraht
Zusammenfassende Bewertung
Eingesperrt hockt das Leben hinter dem Stacheldraht; außerhalb leben die Gebäude (sie stützen schlaftrunken den Stadtrand), die Straßen zucken (noch), Blech flüstert, der blaue LKW dreht seine Runden: Lebloses wird personifiziert, Menschen spielen keine Rolle; der Aufbau folgt einer formalen Logik: Die Abschnitte 1,3,5 enthalten Prädikate, während 2 und 4 ohne auskommen. Der in der Zeit des Expressionismus zum ersten Male dargestellte Moloch Stadt lässt seitdem nicht mehr los.
Dies Gedicht ist eine Versammlung von lakonischen Momentaufnahmen in stark reduzierter Sprache, das Trostlose eines Gewerbegebietes wird deutlich.
Die Kritik im Einzelnen
Mit diesem Abschnitt habe ich so meine Schwierigkeiten: Zunächst hat er als einziger drei Zeilen, ohne dass ich eine Erklärung finden könnte (das mag an mir liegen – aber wäre es ein zentraler Abschnitt, sollte ihm die Mitte gehören oder der Schluss). Weiteres Kopfzerbrechen rufen die »Neonscherben« hervor, die zudem noch »zucken« (was zwar technisch in Ordnung geht, aber bei den modernen Röhren kaum noch wahrzunehmen ist) – während gleichzeitig die Ampelfarben wechseln, und das geschieht wiederum nicht in einem Tempo, das die Bezeichnung »zucken« rechtfertigen könnte! Hier ist zu viel Licht hineingepackt. Vielleicht ließe sich das Neonlicht (es handelt sich ja zweifellos um einen späten Abend) in den ersten Abschnitt verlagern, z. B. »schlaftrunkene neongebäude« oder wie auch immer. Dann bliebe »die straßen / im ampeltakt«, was gut zum blauen LKW des 4. Abschnittes passte. zurück
© 2005 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.