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Textkritik: A1 – Prosa

Eine Textkritik von Malte Bremer

A1

von Hubert Geissler
Textart: Prosa
Bewertung: 2 von 5 Brillen

Normalerweise geht man erst am Ende über die Wupper,
aber ich
absolut jeden Tag.
Und dann wieder dieser verdammte Stau bei Langerfeld.
Alles wie immer, Gelaber im Äther
Siffwetter und schon
Schnee auf dem Kahlen Asten. Vielleicht später
Westen Besserung,
strichweise.

Ist das, was da vorne aufleuchtet, die Sonne,
oder schon das Jenseits?

Verdammt, da blitzen die Bullen?

© 2008 by Hubert Geissler. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Jammerschade: Die Schlusszeile zerstört das bis dahin großartige Gedicht.
Das macht dann summa summarum zwei trübe Brillen statt fünf leuchtenden.

Die Kritik im Einzelnen

Falls jemand die Redewendung »über die Wupper gehen« und ihre mutmaßlichen 3 Bedeutungen nicht kennen sollte: hier wird’s erklärt. zurück
Wer es genau wissen will; und dort scheint es sich wirklich häufig zu stauen: Google fand ca. 4550 Einträge zu dem Suchbegriff-Paar »Langerfeld Stau«. zurück
Wunderschön, diese lakonische Aufzählung des Wetterberichts via »Äther«, wo ja auch das Wetter realiter stattfindet; und dass statt dem »strichweisen Regen« unvermittelt eine »strichweise Besserung« prognostiziert wird. zurück
Der Rahmen zur Eingangszeile ist gespannt, dieses Ende wäre endgültig. zurück
Bis vor dieser Zeile stimmte das Gedicht: Die tägliche Langeweile im Stau (es geht nicht weiter), das miese Wetter, der völlig belanglose Wetterbericht (man steckt ja mitten im Wetter), die vage Verheißung einer strichweisen Besserung: man könnte genauso gut tot sein. Dabei schwingt mit eine leise Ironie, nämlich dass das Jenseits auch nicht viel mehr zu bieten hat oder das Leben gewissermaßen versifft ist. Jedenfalls konnte ich mich meines Schmunzelns nicht erwehren.
Aber dann wird einem diese völlig verkorkste Schlusszeile aufs Auge gedrückt, und die leise Freude weicht einer bitteren Enttäuschung: Schon der Ausruf Verdammt passt nicht, denn der Stau, in dem das lyrische Ich angeblich steckt, ist bereits verdammt; dann wird aufleuchten mit blitzen gleichgesetzt, was inhaltlich Blödsinn ist; und zuguterletzt erheische ich Auskunft, was das denn für ein seltsamer Stau sein soll, in dem die »Bullen« erfolgreich einzelne Raser erblitzen können?-:?! Nein: hier erwürgt oberplattester Witz-Komm-Raus den zuvor sorgfältig aufgebauten Humor! zurück

© 2008 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.