»Wir hatten nicht die Absicht, den Yukon genauso nachzubilden, wir er 1898 war«, sagt Stefan Dechant, der in der Neuverfilmung von »Ruf der Wildnis« für das Szenenbild verantwortlich war. Das war einer der Fehler des Films. Aber wie ist es im Yukon wirklich? Wolfgang Tischer war dort und berichtet, von dem Ort, an dem der Goldrausch 1898 begann.
»Wir hatten unsere eigene mythologische Version im Visier, unsere eigenen Pacific-Northwestern-Landschaften und Bilderwelten«, so Dechant weiter.
Leider war diese »mythologische Version« identisch mit den altbackenen Klischees der Vorgängerfilme. So hat das Team um Regisseur Chris Sanders erzählerisch und visuell leider nicht Neues erschaffen. Dabei hätte das den Film positiv von allen älteren Verfilmungen abheben können (siehe Filmkritik).
Was aber hat es mit dem Yukon auf sich? Was hat der Schriftsteller Jack London dort gemacht und wurden damals tatsächlich Hunde entführt, um vor die Schlitten gespannt zu werden, so wie es im Film zu sehen ist?
Was ist der Yukon?
Wenn Sie das Wort »Yukon« hören, woran denken Sie? Menschenleere Wildnis? Wälder und Berge? Winter und Kälte? Schlittenhunde? Goldrausch? Ein Film mit Charles Bronson und Lee Marvin? Trapper und Blockhütten? Jack London?
Der Yukon ist ein Territorium Kanadas, das hoch im Nordwesten des Landes liegt und im Westen an Alaska grenzt. Territorien sind kanadische Staatsgebiete mit weniger Eigenständigkeit als Provinzen wie Québec oder Ontario. Das liegt nicht an ihrer Größe, sondern vielmehr an ihrer Bevölkerungsdichte. So ist der Yukon flächenmäßig so groß wie Deutschland, Österreich und die Schweiz zusammen, doch leben dort nicht mal 40.000 Menschen, davon allein 25.000 in Whitehorse, der Hauptstadt des Yukon. Statistisch kommen im Yukon auf einen Quadratkilometer 0,07 Einwohner. Aufgrund der nördlichen Lage sind die Winter mächtig kalt. Die Durchschnittstemperatur in Dawson, ein Ort im Norden, der während des Goldrausches eine wichtige Rolle spielte, liegt im Januar bei -27 Grad Celsius, im Juli sind es gerade mal 16 Grad.
Der Tourismus ist eine wichtige Einnahmequelle im Yukon. Im Sommer gibt es sogar einen Direktflug von Frankfurt nach Whitehorse, ansonsten führt die Flugroute meist via Vancouver. Die Zeitverschiebung beträgt 9 Stunden.
Durch den Yukon und weiter nach Alaska fließt der 3.120 Kilometer lange Yukon River, der dem Gebiet seinen Namen gab. Die Ureinwohner nannten das Gewässer Yu-kun-ah, was ganz einfach »großer Fluss« bedeutet.
Das Yukon-Territorium entstand während des Goldrausches 1898 als Abspaltung der Nordwest-Territorien, um die teilweise chaotische Lage mit einer eigenen Polizeitruppe und einem neuen Grenzverlauf in den Griff zu bekommen.
Wann war der Goldrausch am Klondike und wie muss man sich das vorstellen?
Im Yukon, kurz vor der Grenze zu Alaska, mündet der Klondike-Fluss in den Yukon-Fluss. 1896 wurde dort eine größere Menge Gold entdeckt, was sich sehr schnell bis nach Kalifornien rumsprach. In Amerika herrschte Wirtschaftskrise. Tausende von Gold- und Glückssuchern machten sich auf den Weg in den Yukon. An der Mündung entstand der Ort Dawson, der kurz vor der Jahrhundertwende 40.000 Einwohner hatte, also so viele, wie heute im ganzen Yukon leben. Im Yukon selbst stieg die Zahl der Menschen damals auf 100.000.
Die Zustände am Klondike waren chaotisch. Es kam zu Hungersnöten und Krankheiten. Die meisten landeten mit dem Schiff in den Hafenstädten Skagway oder in Dyea an, die an der südlichen Spitze Alaskas lagen. Im Film »Ruf der Wildnis« wurde die Stadt Dyea digital wieder aufgebaut, tatsächlich existiert sie heute nicht mehr. Von dort aus marschierten die Goldsucher zu Fuß hinauf auf den Chilkoot-Pass, wo sich auf der Passhöhe die Grenze nach Kanada und zur Provinz British Columbia befindet, dann weiter nach Norden in den Yukon, meist auf Booten den Yukon River hinauf. Aufgrund der Hungersnot verfügte die kanadische Regierung, dass jeder, der die Grenze überquert, Nahrungsmittel für ein Jahr mit sich führen müsse. Dies bedeutete, dass jeder bis zu einer Tonne an Nahrungsmitteln und Ausrüstung besitzen musste. Als Konsequenz mussten die Menschen den Weg zwischen Dyea und der Passhöhe 30 bis 40 Mal laufen, denn Pferde, die die Güter an den Fuß des Passes brachten, waren schwer zu bekommen. So kamen rund 2.000 Kilometer Wegstrecke zusammen. Oben auf der Passhöhe wogen die kanadischen Grenzbeamten die mitgeführten Nahrungsmittel ab.
Die alten Schwarzweißfotos von den Menschen, die Mann hinter Mann im Schnee den steilen Chilkoot-Pass hinaufsteigen, sind legendär. Im Film »Ruf der Wildnis« sieht man die Menschenschlange als Zeichnung gleich am Anfang, kurz darauf auch »real« im Film. So spaßig wie Buck im Film den Berg hinaufspringt, war der Weg auf keinen Fall. Es dauerte Monate, bisweilen sogar Jahre, bis die Leute in die Klondike-Gegend gelangten.
Tatsächlich fanden die Leute am Klondike mehr oder weniger große Mengen an Gold. Doch die Claims waren schnell vergeben. Dawson war überwiegend eine gewaltige Zeltstadt, in der es kaum Frauen gab. Aufgrund der extremen Wetterbedingungen waren die hygienischen Zustände miserabel. Viele erkrankten an der Vitamin-C-Mangelkrankheit Skorbut. Die Karibuherden und Baumbestände wurden extrem dezimiert. Da die kanadischen Grenzbeamten darauf achteten, dass möglichst keine Waffen ins Land kamen, hielt sich zumindest die Gewalt in Grenzen.
Nur zwei Jahre, von 1896 bis 1898, dauerte der Goldrausch an, dann verließen die Menschen den Yukon wieder. Doch bis zum heutigen Tage wird am Klondike Gold abgebaut, allerdings industriell mit übergroßen Schürfbaggern.
Wie lange war Jack London im Yukon?
Auch der Kalifornier Jack London machte sich im Jahre 1897 von San Francisco aus auf den Weg an den Klondike, um dort nach Gold zu suchen. Er wurde von seinem Schwager begleitet, der jedoch vor dem Chilkoot-Pass umdrehte. London marschierte alleine weiter. Als gelernter Seefahrer fuhr er dann den Yukon-Fluss hinauf. Jack London war 21 Jahre alt. Den Winter verbrachte er mit Goldgräberkollegen in einer Hütte unweit von Dawson.
Zwar registriert er in Dawson einen Claim, also ein Schürfgebiet für sich, doch blieb London als Goldsucher erfolglos. Nach eigenen Angaben hatte das von ihm gefundene Gold einen Wert von 4 Dollar 50. Aufgrund einer Skorbut-Erkrankung verlor er vier der oberen Schneidezähne. Nach dem Winter kehrte er 1898 nach Kalifornien zurück. In den Yukon kam er Zeit seines Lebens nie wieder.
Doch er begann, seine Erlebnisse und Eindrücke im Yukon in Geschichten zu verarbeiten. 1903 erschien »Der Ruf der Wildnis« als vierteilige Fortsetzungsgeschichte in einer Zeitung, und seine Karriere als Schriftsteller begann, die ihn durchaus zu Ruhm und Ehre führte. »Wolfsblut« und »Der Seewolf« sind weitere seiner bekannten Romane. Jack London galt als der erfolgreichste amerikanische Schriftsteller seiner Zeit.
Mit nur 40 Jahren starb Jack London 1916 auf seiner Farm in Kalifornien. Selbstmord wurde gemunkelt, Depressionen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sein Körper mit den vielen Medikamenten und Schmerzmitteln, die London nahm, zusammen mit dem Alkohol, den er oft und regelmäßig trank, nicht mehr zurechtkam.
Doch mit seinen Geschichten hatte er dem Yukon und dem Goldrausch ein literarisches Denkmal gesetzt. Und wie man sieht, werden seine Bücher bis zum heutigen Tage verfilmt.
Gab es den Hund Buck wirklich?
Was man dem Film vorwerfen muss, dass er die Tiere comic-haft vermenschlicht, gilt nicht für Jack Londons literarisches Original. »Der Ruf der Wildnis« beschreibt das Leben eines Hundes, ohne ihn zu vermenschlichen. London erzählt, wie ein großer Mischlingshund mit dem Namen Buck von Kalifornien in den Yukon entführt wird, dort wird er als Schlittenhund eingesetzt. Buck muss sich unterordnen, sowohl den Menschen, die ihn teilweise misshandeln, als auch dem tierischen Anführer des Hundegespanns mit Namen Spitz. Doch Buck kann sich behaupten, wird schließlich selbst zum Leithund und nachdem er am Ende seiner Strapazen eine angenehme Zeit bei einem Trapper verbringt, entdeckt er seine tierischen Wurzeln und schließt sich einem Wolfsrudel an. Buck folgt dem »Ruf der Wildnis«. So erzählt es London und so erzählt es auch der Film.
London beschreibt selbst Gesehenes, denn tatsächlich wurden starke Hunde in den Yukon gebracht und zum Teil entführt. Hunde waren in der Lage, die Schlitten mit den Nahrungsmitteln und dem Hab und Gut der Goldsucher zu ziehen, wo Pferde aufgrund ihres Gewichts nicht eingesetzt werden konnten. Auch der grausame Umgang mit den Tieren war nicht selten. Oft hatten die Menschen kaum genug zu essen, man kann sich vorstellen, wie es den Tieren erging. Wie viele Hunde es im Yukon gab, ist nicht überliefert. »Der Ruf der Wildnis« war nicht Jack Londons einziger Roman mit einem Hund als Hauptfigur. Auch in Erzählungen wie »Ein Feuer machen« tauchen immer wieder Hunde auf, die meist am Ende den Menschen in der Natur überlegen sind.
Buck wird im Roman als Mischling zwischen einem Bernhardiner und einem Schottischen Schäferhund beschrieben. Tatsächlich hatten die Brüder Marshall und Louis Bond in Dawson einen solchen Hund, der Jack London als Vorbild für Buck diente. Bei den Brüdern kam London als Handlanger unter, nachdem er die Goldsuche aufgegeben hatte und bevor er nach Amerika zurückreiste.
Im Übrigen ist es völlig unrealistisch, dass ein Hund, wie im Film gezeigt, völlig untrainiert sofort im Gespann unmittelbar vor dem Schlitten platziert wird. Diese Tiere nennt man »Deichselhunde« oder »Wheel Dogs«. Sie sind darauf trainiert, nie den direkten Weg an einem Hindernis vorbei zu nehmen, sondern immer einen weiteren Bogen darum herum zu laufen, damit der Schlitten nicht umkippt oder gar gegen das Hindernis donnert.
Wie sieht es im Yukon und Dawson City heute aus?
Nun, zunächst einmal kalt und weiß. Am 18. Februar 2020 lag die Tiefsttemperatur in Dawson bei -28 Grad Celsius, als ich selbst vor vier Jahren so ziemlich auf den Tag genau in der Goldgräberstadt war, lag die Temperatur deutlich unter -30 Grad. Es waren kurze aber herrliche Tage mit blauem Himmel. Warm gekleidet macht es Spaß, durch die menschenleeren verschneiten Straßen zu spazieren.
Der breite Yukon River ist im Winter gefroren, sodass man mit dem Auto übers Eis ans andere Ufer fahren kann, um von dort auf den Ort zu blicken und auf den Klondike, der in den Yukon mündet. Wenn man Glück hat – was mir leider verwehrt war – kann man nachts Polarlichter sehen.
Im Winter hat Dawson rund 1.400 Einwohner, im Sommer sind es ein paar mehr. Unvorstellbar, dass vor 120 Jahren hier 40.000 Menschen lebten.
Und dennoch fühlt man sich in der Zeit zurückversetzt, wenn man nach Dawson kommt und durch den Ort wandert. Strenge Bauvorschriften geben vor, dass selbst neue Gebäude im historischen Stil errichtet werden müssen. Alte Gebäude wurden renoviert. Tatsächlich wähnt man sich ein klein wenig wie in einer Westernstadt.
Es gibt hier ein kleines Jack-London-Museum. Hierher hat man die Blockhütte Londons gebracht, die sich einige Meilen entfernt auf Stewart Island befand. Wobei: Genau genommen ist nur der untere Teil historisch. Der obere befindet sich in einem Museum in Kalifornien. Da man sich offenbar nicht einigen konnte, wer die Hütte bekommt, hat man sie aufgeteilt und den jeweils fehlenden Teil rekonstruiert.
Doch schnell wird einem im Yukon klar, dass Jack Londons Ruf in Deutschland legendärer ist als in Kanada.
Weitaus populärer ist im Yukon der kanadische Autor Robert W. Service (1847-1958), der Gedichte über den Yukon und die Goldgräberzeit schrieb – oftmals bitterböse und mit Witz. In den Kneipen von Whitehorse werde seine Gedichte noch heute gesungen.
Als Büste findet man Jack London allerdings in Whitehorse wieder. Ein Deutscher, der für den Toronto Star arbeitete und auf Einladung des Tourismusbüros in den Yukon reiste, bezeichnete sie vor einigen Jahren als »Must-See« im Yukon. Damit waren die Einheimischen nicht so ganz einverstanden. Zum einen gibt es das Museum in Dawson, zum anderen wird Jack London für seine nach heutiger Sicht nicht ganz korrekte Darstellung der indigenen Bevölkerung kritisiert. Natürlich war Jack London ein Kind seiner Zeit. Einige seiner früheren Werke sind durchaus vom damals üblichen Rassismus und der Kolonialsicht geprägt. Allerdings sympathisierte London auch mit der Idee des Sozialismus und begeisterte sich für die russische Revolution.
In späteren Jahren soll er sich einem humanistischen Menschenbild zugewendet haben, das Gewalt gegen Menschen und Tiere ablehnt.
Meinen ausführlichen Reisebericht in den Yukon und zu Jack London können Sie hier nachlesen und im folgenden Video ansehen. Viel Spaß dabei!
Wolfgang Tischer