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Filmkritik: »Ruf der Wildnis« mit Harrison Ford – Susi und Strolch im Goldrausch

Harrison Ford (links) mit Filmhund Buck (rechts) (Foto: 20th Century Studios/Disney)
Harrison Ford (links) mit Filmhund Buck (rechts) (Foto: 20th Century Studios/Disney)

Mit Klamauk und vermenschlichten Tieren richtet sich die Jack-London-Verfilmung »Ruf der Wildnis« an eine sehr junge Zielgruppe. Schade. Mit Harrison Ford und famoser Tricktechnik hätte daraus ganz großes Kino werden können.

Der Roman »Ruf der Wildnis« hat den amerikanischen Schriftsteller Jack London Anfang des 20. Jahrhunderts über Nacht bekannt gemacht. Es ist »der« Roman über den Goldrausch am Klondike im kanadischen Yukon-Territorium.

Das Besondere an der Geschichte ist, dass sie aus der Sicht eines Hundes geschildert wird. London erzählt spannend, ohne das Tier zu vermenschlichen. Es ist die Geschichte einer Befreiung, die Geschichte des Haus- und Hofhundes Buck, der aus Kalifornien in den Yukon entführt wird, weil dort starke Hunde fürs Ziehen der Schlitten benötigt werden. Nach zahlreichen Misshandlungen entdeckt Buck die Gene seiner Vorfahren und folgt dem »Ruf der Wildnis«.

1903 veröffentlichte Jack London die Story mit großem Erfolg als Fortsetzungsgeschichte in der Zeitung. Da London selbst am und im Yukon nach Gold suchte, ist der Roman von persönlichen Eindrücken geprägt.

Es gibt zahlreiche Verfilmungen des Romans, darunter eine aus dem Jahre 1935 mit Clark Gable oder eine weitere aus dem Jahre 1997 mit Rutger Hauer.

Nun reiht sich Harrison Ford in die Reihe der Hundeflüsterer ein und spielt die Hauptrolle in der Verfilmung von »Ruf der Wildnis«, die jetzt ins Kino kommt.

Die Trick- und Animationstechnik machen es möglich, dass der Bernhardinermischling Buck und die anderen Tiere im Film vollständig digital erzeugt sind. Das ermöglicht Einstellungen und Szenen, die mit dressierten Tieren so nicht umsetzbar gewesen wären. Der Trailer auf YouTube gibt einen Eindruck davon, was den Zuschauer erwarten könnte.

Action-Elemente und eine leichte Vermenschlichung der Tiere könnten perfektes Abenteuerkino fürs Herz bieten, das als geschichtlichen Hintergrund den Goldrausch am Yukon dramatisch in Szene setzt. Und mittendrin Harrison Ford als alter Trapper und Hundefreund John Thornton.

Den Roman von Jack London verwandelte Michael Green in ein Drehbuch. Green schrieb auch das Drehbuch zu »Bladerunner 2049«, spezialisiert sich ansonsten auf Superheldenfilme und -serien wie »Logan«, »Green Lanthern« oder »Heroes«. Regie führte Chris Sanders, dessen Haupteinsatzgebiet bislang die Drehbücher zu Animations- und Zeichentrickfilmen waren, wie »Lilo und Stitch« oder »Drachenzähmen leicht gemacht«.

Entstanden ist daher ein Film, der Buck als eine Art Superhund zeigt, ein Film voll von unnötigen Slapstick-Szenen wie aus Zeichentrickfilmen. Wenigstens reden die Tiere in diesem Film nicht, obwohl das eigentlich auch egal gewesen wäre bei der Stufe der Vermenschlichung, die sie hier bereits erfahren.

Der Anfang des Filmes, der Buck als Hund auf dem kalifornischen Gut zeigt, erinnert in der Animation und dem Verhalten des Tieres an »Scooby-Doo«, während der Film später, als sich Buck in eine weiße Wölfin verliebt, in eine Art »Susi und Strolch im Goldrausch« mit einer Prise »Dschungelbuch« verwandelt.

Voll digital: Filmhund Buck in »Ruf der Wildnis« (Foto: 20th Century Studios/Disney)
Voll digital: Filmhund Buck in »Ruf der Wildnis« (Foto: 20th Century Studios/Disney)

Dabei hat Drehbuchautor Michael Green durchaus die ursprüngliche Geschichte Jack Londons 1:1 in den Film gepackt. Was er allerdings noch drumherum erfunden hat, ist plump und vorhersehbar. Und genauso plump und vorhersehbar ist das auch umgesetzt, inklusive extravaganter Kleidung der Bösen, die in der kanadischen Wildnis deutlich mit »Moët & Chandon« beschriftete Kisten auf dem überladenen Schlitten transportieren müssen, um die Dekadenz und Dummheit dem Zuschauer ins Auge zu pressen. Und wenn man im Kino meint, dass der Film allmählich zu Ende sein könnte, dann weiß man aufgrund der einfachen Erzählmechanik, dass das nicht sein kann, weil ja der obligatorische Showdown mit dem Bösen noch nicht da war.

Das rasende Schlittenhundegespann bremst mit übereinanderkullernden Hunden, und Schlittenhundeführer landen im Schneehaufen, sodass Kopf, Beine und Arme herausragen wie aus einer Schneekugel im Zeichentrickfilm.

Diese billigen Zeichentrickfilmgags, an denen sich Kinder erfreuen können, beißen sich mit den durchaus realistischen und ganz selten auch dramatischen Szenen. Hier passen die überdrehte und die realistische Erzählweise nicht zusammen.

Wenn man in anderen Filmen sieht, mit welcher Akribie Szenenbilder und Ausstattung bis ins Detail ausgearbeitet werden, passt in »Ruf der Wildnis« vieles nicht zusammen. So zeigt der Film den kilometerlangen Aufstieg der Goldsucher am Chilkoot-Pass, der in alten Schwarzweißfotos dokumentiert ist, und die Kamera fährt mit nach oben zum Gipfel, wo sich die kanadische Grenze befindet.

Video: Die Reise zu Jack London - Auf Spurensuche im Yukon, Kanada 16
Die Goldsucher mussten Nahrungsmittel für ein ganzes Jahr mit in den Yukon bringen. 30 oder 40 Mal mussten sie den Chilkoot-Pass hinauflaufen. (Historische Aufnahme um 1900)

Doch Dawson, die damalige »Hauptstadt des Goldrausches«, wo der Klondike in den Yukon-Fluss mündet, ist nichts weiter als die klischeehafte Westernstadtkulisse, nur dass sie statt in der Prärie im Schnee steht. Warum hat man nicht digital das damalige Dawson der Schwarzweißbilder wiederaufgebaut, das neben wenigen Holzhäusern überwiegend aus Zelten bestand? Es wäre die Chance der Neuverfilmung gewesen, die verbrauchten Abenteuerfilmkulissen wirklichkeitsnaher zu gestalten. Ob das Versäumnis daran lag, dass die Filmfördergelder nicht aus dem Yukon, sondern aus British Columbia und Quebec stammten? So werden im Nachspann zwar »Yukon-Berater« aufgeführt, die waren aber offenbar eher dazu da, die Drehorte in Kalifornien und British Columbia ein klein wenig auf Yukon zu trimmen. Der Chilkoot-Pass liegt eben an der Grenze von Alaska nach British Columbia und wird daher detaillierter gezeigt als Dawson und der Yukon.

Video: Die Reise zu Jack London - Auf Spurensuche im Yukon, Kanada 12
Als Jack London 1887 in Dawson war, bestand die Stadt fast nur aus Zelten.

Mehr Akribie hat man in die politisch ausgewogene Schauspielerriege gesteckt. Neben dem weißen alten Mann Harrison Ford, gibt’s den jungen schwarzen Schlittenhundeführer (Omar Sy) mit weiblicher indigenen Begleiterin (Cara Gee).

Gutes und Billiges ist in dieser Verfilmung zusammengerührt und zusammengeb(r)aut worden, sodass es am Ende kein großer Film geworden ist, sondern doch nur ein weiterer Abenteuerfilm für ein jüngeres Publikum (FSK6), obwohl alle Voraussetzung für mehr gegeben gewesen wären.

Wolfgang Tischer

literaturcafe.de-Herausgeber Wolfgang Tischer ist bei -30 Grad selbst in den Yukon gereist
Wolfgang Tischer ist bei -30 Grad selbst in den Yukon gereist. Klicken Sie auf das Bild, um mehr zu erfahren.

Linktipps:

Film: »Ruf der Wildnis«. USA 2019. Regie: Chris Sanders. Drehbuch: Michael Green, nach dem Roman von Jack London. Mit Harrison Ford, Omar Sy, Dan Stevens, Karen Gillan, Bradley Whitford u. a. Laufzeit: 96 Min. FSK 6. 20th Century Studios/Walt Disney Studio Motion Pictures. Kinostart: 20. Februar 2020

Buch: Jack London; Lutz-W. Wolff (Übersetzung): Der Ruf der Wildnis: Roman. Taschenbuch. 2020. dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783423086653

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2 Kommentare

  1. Danke für die Rezension. Ich war schon am hadern, ob ich mir den Film im Kino ansehe oder dann doch lieber warte, bis er bei einem der einschlägigen Streamingdienste auftaucht.
    Jetzt fällt mir die Entscheidung leichter. Ich hatte ob des Trailers schon befürchtet, dass der Film doch eher auf jüngeres Publikum ausgelegt ist.
    Mich würde allerdings auch interessieren, ob der ganze Film so schlimm im “Uncanny Valley” landet, wie es im Trailer den Anschein hat?
    Für die, die nicht wissen, was das ist: Als “Uncanny Valley”, oder eingedeutscht “Unheimliches Tal”, nennt man ein Phänomen bei Special Effects. Es besagt, dass, je näher eine computergenerierte Figur an einer photorealistischen Darstellung ist, ohne diese aber tatsächlich zu erreichen, desto unheimlicher oder “falsch” wirkt sie auf den Betrachter. Das liegt daran, dass unser Gehirn über Jahrhunderttausende gelernt hat, wie etwas aussehen müsste. Tut es das nicht, ruft das ein unangenehmes Gefühl beim Betrachter hervor.
    Im vorliegenden Fall wurden in Rezensionen des Trailers z.B. die allzu menschlichen Gesichtszüge der Hunde bemängelt. Wäre die Figur abstrakter, also ein Hund mit Proportionen wie dem aus einem Comic, z.B., wäre das Problem nicht so gravieren.
    Mir persönlich stiess das im Trailer auch etwas übel auf. Mich reisst so eine Darstellung dann immer aus dem Film und ich sehe nur noch die visuellen Effekte, statt mich auf den Film und die Handlung zu konzentrieren. Wenn das im ganzen Film dann genauso ist, überlege ich mir doch ernsthaft, ob ich mir das überhaupt antue.

    • Hallo Matthias,

      tatsächlich wird der Film nach der Kinoverwertung wahrscheinlich erst mal exklusiv auf dem neuen hauseigenen Portal Disney+ zu sehen sein. 20th Century Fox gehört nun auch zu Disney und wurde in 20th Century Studios umbenannt. Interessanterweise ist im Trailer noch das Fox-Logo zu sehen, während es im fertigen Film schon “Studios” heißt.

      Was das Uncanny Valley angeht, so würde ich sagen: “In einem Seitental” 🙂 Einerseits kennen wir die überzogene Bewegung und Mimik der vermenschlichten Tiere aus Zeichentrickfilmen, so gesehen haben wir sie bereits gelernt. Man muss sich im Trailer nur die Szene anschauen, wie dem Hund die Tür vor der Schnauze zugeschlagen wird. Das ist Scooby-Doo oder auch Tom aus “Tom & Jerry”. Befremdlich und seltsam wird es aber, wenn diese Zeichentrickcharaktere nun in der realen Welt agieren. Harrison Ford mutiert eben nicht zur rumhüpfenden Disney-Figur, sondern bleibt Harrison Ford. Dieser Gegensatz irritiert im Film enorm.

      Mittlerweile habe ich andere Kritiken gelesen, in denen zu lesen ist, dass die animierten Tiere generell technisch nicht sonderlich gut umgesetzt seien und man z. B. in der Neuverfilmung von “König der Löwen” Besseres gesehen hätte. Ich denke aber, es liegt daran, das überhaupt im Film vieles “überdigitalisiert” wirkt. Das sind Stunts, das ist aber im Wesentlichen die Pseudo-Yukon-Landschaft selbst, die geradezu lichtartig überzuckert ist. Man spürt geradezu noch den Greenscreen. Und wenn man, wie du schreibst, ohnehin dazu neigt, die visuellen Effekte zu beachten, dann ist man hier verloren.

      Übrigens wurde während des Films Buck von Terry Notary dargestellt, damit die Schauspieler nicht einen Tennisball anspielen mussten oder gar den luftleeren Raum. Notary ist Spezialist für tierische Bewegungen. In diesem Video zeigt er zum Beispiel die Bewegungen aus “Planet der Affen”. Später wurde er durch den digitalen Buck ausgetauscht.

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