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Martin Sonneborn in BrĂ¼ssel: Die optimale Vorbereitung zur Europawahl

Das Buch »Herr Sonneborn geht nach BrĂ¼ssel - Abenteuer im Europaparlament«

Die Partei fĂ¼r Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die PARTEI) wird von den Medien gern als »SpaĂŸpartei« bezeichnet. Seit fĂ¼nf Jahren sitzt der Parteivorsitzende Martin Sonneborn als Abgeordneter im Europaparlament. Sein Buch »Herr Sonneborn geht nach BrĂ¼ssel« ist die optimale Vorbereitung fĂ¼r die Europawahl.

Ist dieses Buch Wahlkampfhilfe fĂ¼r die PARTEI?

Viele EU-Abgeordnete hassen ihn. Er gilt als faul und hält pietätlose Reden. Bei den vielen Abstimmungen im Europaparlament stimmt er im Sekundentakt gerne neutral und binär ab, also abwechselnd mit Ja und Nein.

Weil das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2014 die 3%-Sperrklausel fĂ¼r die Europawahl als verfassungswidrig erklärt hatte, sitzen seitdem Vertreter deutscher Kleinparteien im Europaparlament. Mit 0,6% der Stimmen kam Martin Sonneborn als Spitzenkandidat der PARTEI ins Europaparlament.

In der Satirezeitschrift Titanic, deren Chefredakteur er bis 2005 war, erzählt Sonneborn im »Bericht aus BrĂ¼ssel« regelmĂ¤ĂŸig von seinen Abenteuern im Europaparlament. Die gesammelten Berichte sind nun in Buchform Ă¼berarbeitet unter dem Titel »Herr Sonneborn geht nach BrĂ¼ssel – Abenteuer im Europaparlament« im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Ist dieses Buch Wahlkampfhilfe fĂ¼r die PARTEI, die in diesem Jahr erneut zur Europawahl antritt? Zweifelsohne. Es ist ein Buch, das Europa-BefĂ¼rworter und -Gegner gleichermaĂŸen lesen sollten. Wer wissen will, wie parlamentarische Demokratie auf europäischer Ebene in der Praxis wirklich funktioniert (und ob man das Ă¼berhaupt so nennen kann), der muss dieses Buch lesen. Denn wer könnte Ă¼ber die Arbeit eines Europaabgeordneten besser berichten als ein Parlamentsmitglied – und sei es noch so unseriös.

Einen Monat im Europaparlament fĂ¼r 33.000 Euro

Noch vor seinem Einzug in BrĂ¼ssel kĂ¼ndigte Sonneborn an, dass die PARTEI ihren Abgeordneten durch RĂ¼cktritt monatlich austauschen werde. 60 PARTEI-Freunde wolle er in fĂ¼nf Jahren durchs Parlament schleusen. Sonneborn rechnet vor, dass jeder von ihnen fĂ¼r diesen einen Monat mit Gehältern, Zulagen und Pauschalen rund 33.000 Euro erhalten wĂ¼rde. Hinzu käme ein sechsmonatiges Ăœbergangsgeld.

Doch diese öffentlich verkĂ¼ndeten Pläne wurden als »Verächtlichmachung des Parlaments« gewertet, und die Geschäftsordnung habe Mittel, dies zu verhindern.

Das lukrative Durchschleusen der 60 PARTEI-Mitglieder klappte nicht, doch legte dieser erste medienstarke Auftritt die PARTEI-Linie fest: Sonneborn versucht, die Absurdität vieler Regelungen, Vorschriften und Gesetze fĂ¼r sich oder gegen andere auszunutzen und auszuhebeln. Satire? Revolution? Oder doch nur Leistungsverweigerung?

100-Euro-Schein fĂ¼r 80 Euro abzugeben

Als die PARTEI begann, neue 100-Euro-Scheine fĂ¼r 105 Euro und später sogar fĂ¼r 80 Euro zu verkaufen, erschien dies ebenfalls grotesk. Hintergrund war, dass das Parteienfinanzierungsgesetz die Höhe der staatlichen Zahlungen an den Einnahmen einer Partei bemaĂŸ. Mit der Aktion steigerte die PARTEI ihre Einnahmen und erhielt mehr ZuschĂ¼sse, als sie beim Verkauf Verlust machte. Tatsächlich waren die Einnahmen der gesetzliche MaĂŸstab und nicht etwa die Gewinne. Der absurde Geldscheinverkauf war jedoch die Ă¼berspitzte Variante einer AfD-Aktion, die aus den gleichen GrĂ¼nden seinerzeit einen Goldhandel begann. Die PARTEI-Aktion fĂ¼hrte zu einer Ă„nderung des Gesetzes, sodass die AfD finanziell ins Trudeln kam. PARTEI-Ziel erreicht.

Blick ins Buch: Die PARTEI verkauft Geld
Blick ins Buch: Die PARTEI verkauft Geld und erhält dafĂ¼r Geld vom Staat

Das Ă¼ber 400 Seiten starke Buch liest man mit ungläubigem Interesse. Erzähltechnisch stimmt der Bogen. Eine Heldenreise? Mit den Figuren des BĂ¼roleiters, der europapolitischen Beraterin und des (depressiven) Redenschreibers transportiert Sonneborn die notwendigen Informationen, Zahlen und Fakten. Es gibt antagonistische Superschurken, wie den oftmals tobenden CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok, der zugleich Cheflobbyist des Bertelsmann-Konzerns ist, darin aber keinen Interessenkonflikt sieht (logisch!), oder den smarten SPD-Mann Jo Leinen, der mithilfe einer europäischen »Wahlreform« in Deutschland die Sperrklausel fĂ¼r die Europawahl durchsetzen will. Sonneborn zeigt anschaulich, dass das Argument, dass die Splitterparteien die demokratische Arbeit erschweren, vorgeschoben ist. Tatsächlich geht es darum, dass die Zahl der Splitter-Sitze den groĂŸen Parteien CDU und SPD zufällt, was ihre Macht in den Fraktionen stärken wĂ¼rde. Laut Sonneborn ist der Einfluss der Deutschen innerhalb der EU ohnehin groĂŸ. Auf Seiten der CDU nimmt man es dafĂ¼r in Kauf, dass man innerhalb der EVP-Fraktion auf demokratisch fragwĂ¼rdig agierende Regierungen wie Ungarn und Ă–sterreich angewiesen ist.

Indem Sonneborn immer wieder Zitate aus anderen Medien wie Spiegel, SZ, FAZ oder WELT als »sachdienliche Hinweise« einstreut, belegt er die eigenen Aussagen. GenĂ¼sslich nennt er immer wieder die Lobby-Interessen, Verurteilungen oder politischen Verstrickungen von EU-Parlamentariern.

Ein weiterer bemerkenswerter Abstimmungs-Coup gelingt Sonneborn bei der digitalen Privatsphäre. Man muss es gelesen haben.

Selbst eine pietätlose Rede mit vielen Sprachbildern und Anspielungen (»… ich habe dafĂ¼r gesorgt, dass Kanzleraltlast Helmut Kohl vom Netz genommen, demontiert und witwengesichert endgelagert wird.«), dient Sonneborn dazu aufzuzeigen, wie lĂ¼ckenhaft und falsch die Dolmetscher arbeiten (»Wenn schon diese kleine Rede derart unterhaltsam verdolmetscht wird, was bedeutet das dann fĂ¼r wirklich wichtige Reden?«).

Trotz »SpaĂŸpartei« und »Satiriker«-Stempel wird im Buch immer wieder deutlich, wann es Sonneborn ernst ist. Das ist der erwähnte Abstimmung-Coup, das ist Martin »Chulz« Schulz, den Sonneborn durchaus respektiert (und andersrum), und das ist die Reise nach Arzach (vormals Bergkarabach), ein erstaunlich ernster und melancholischer Teil des Buches.

Wie ernst wird Sonneborn?

Hat die politische Arbeit den Satiriker Sonneborn verdorben und dem ernsten Anliegen in die Arme getrieben? Ein klein wenig könnte man nach der LektĂ¼re den Eindruck gewinnen.

Jo Leinen ist es zur Europawahl 2019 nicht gelungen, die Sperrklausel bzw. seine »Wahlreform« fĂ¼r diese Europawahl durchzusetzen. Wenn es – wie es die aktuellen Umfragewerte suggerieren – gut läuft fĂ¼r die PARTEI, dann könnten in der kommenden Legislaturperiode sogar zwei Vertreter im EU-Parlament sitzen. Das könnte man als Happy-End des Buches werten. Denn obwohl es zunächst den Anschein hatte, konnte es die PARTEI nicht verhindern, dass die sogenannte »Urheberrechtsreform« durchs Parlament gebracht wurde. Sonneborn will sich kĂ¼nftig zumindest dafĂ¼r einsetzen, dass die Uploadfilter von VW produziert werden.

Wolfgang Tischer

Martin Sonneborn: Herr Sonneborn geht nach BrĂ¼ssel: Abenteuer im Europaparlament. Taschenbuch. 2020. KiWi-Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783462000443. 17,00 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Martin Sonneborn: Herr Sonneborn geht nach BrĂ¼ssel: Abenteuer im Europaparlament. Broschiert. 2019. KiWi-Paperback. ISBN/EAN: 9783462052619. 18,00 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Martin Sonneborn: Herr Sonneborn geht nach BrĂ¼ssel: Abenteuer im Europaparlament. Kindle Ausgabe. 2019. Kiepenheuer & Witsch GmbH. 11,99 €  Â» Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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