Mit gefälschten E-Mail-Adressen hatte sich ein ehemaliger Verlagsmitarbeiter über 1.000 unveröffentlichte Manuskripte verschafft (siehe Bericht). Ihm drohten bis zu 20 Jahre Haft. Ein New Yorker Gericht fällte nun ein vergleichsweise mildes Urteil. Dem Verurteilten ging es nie ums Geld. Er wollte nur lesen.
Der Fall sorgte vor gut einem Jahr im Januar 2022 für Schlagzeilen – auch im literaturcafe.de. Mit E-Mail-Adressen, die echten Verlags- und Agenturnamen zum Verwechseln ähnlich waren und etwas »Social Engineering« hat sich ein 29-Jähriger über 1.000 unveröffentlichte Manuskripte von Autorinnen und Autoren erschlichen. Auch Margaret Atwood berichtete, sie habe solche E-Mails erhalten, den Betrug aber rechtzeitig erkannt – im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen.
Dem italienischen Staatsbürger, der zuvor für den Konzern Simon & Schuster in der Londoner Niederlassung tätig war und die Branche gut kannte, drohten bis zu 20 Jahre Haft, wie die US-Behörden vor einem Jahr verkündeten. Der Mann wurde bei der Einreise in die USA verhaftet.
Das Bundesbezirksgericht in Manhattan hat den geständigen Manuskripte-Dieb jedoch nicht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, wie die New York Times berichtet. Er wird stattdessen nach Großbritannien oder Italien abgeschoben. Außerdem wurde der mittlerweile 30-Jährige dazu verurteilt, 88.000 Dollar (rund 81.700 Euro) an den Verlagskonzern Penguin Random House zu zahlen, um entstandene Anwalts- und Gerichtskosten auszugleichen. Seit seiner Verhaftung durfte er Manhattan nicht verlassen und musste eine elektronische Fußfessel tragen.
Über einen Zeitraum von fünf Jahren soll der Verurteilte mit über 100 falschen Identitäten die Autorinnen und Autoren dazu gebracht haben, ihm ihre unveröffentlichten Manuskripte auszuhändigen. Oft gab er sich als Lektor, Agentur- oder Verlagsmitarbeiter aus.
Was hat den Mann zu seinen Taten bewogen? Darüber wurde vor einem Jahr viel spekuliert. Tatsache ist, dass keines der Manuskripte illegal im Netz oder anderswo auftauchte.
»Ich habe die Manuskripte nie illegal veröffentlicht und es war auch nie meine Absicht«, zitiert die New York Times aus einem Brief des Verurteilten an die Richterin. »Ich wollte sie eng an meiner Brust tragen und genießen, bevor sie am Ende für alle zugänglich in den Buchhandlungen liegen. Es gab Zeiten, in denen ich eine besondere und einzigartige Verbindung zu den Autoren spürte, so als sei ich der Verleger des Buches.«
Solche Aussagen klingen wahrlich nach literarischer Besessenheit. Sie ähneln denen reicher Menschen, die ein Kunstwerk auf Auktionen ersteigern oder gar stehlen lassen, um es dann Abseits der Öffentlichkeit allein im eigenen Keller zu betrachten.
Die Anklage schrieb an die Richterin, dass die Betrügereien dazu geführt hätten, dass es bei den Opfern neben Rufschädigung zu »emotionalen und finanziellen Verlusten« gekommen sei. Der Mann habe mit den Diebstählen und Betrügereien selbst dann noch weitergemacht, als ihn Geschädigte des Diebstahls bezichtigten und sogar Medien über die damals noch anonymen Manuskript-Diebstähle berichteten.