Die Buchbranche hat mittlerweile ein enges Netz an Kongressen, Barcamps und Treffen, auf denen man sich der Zukunft von Branche und Büchern widmet. Dorthin pilgern die Social-Media-Brigaden der Verlage, um Spaß zu haben und sich von Dienstleistern und Beratern ausgedachte Visionen anzuhören.
Da ist es wohltuend und angenehm, die Veranstaltungen neuer Akteure zu besuchen, deren Beraterverseuchung noch gering ist und die Kultur vor Wirtschaft platzieren.
Also auf nach Hildesheim, wo sich der von den Studenten organisierte »LiteraturFutur«-Kongress am vergangenen Wochenende (24./25. Mai 2013) neuen Formen der Literaturvermittlung zuwenden wollte.
Inspiration am Ende der Welt
Bereits der Ort der LiteraturFutur war überaus inspirierend, was für einige gleichbedeutend mit »am Ende der Welt« sein mag. Die sogenannte Domäne Marienburg im Süden von Hildesheim beherbergt Seminarräume der Institute für Bildende Kunst- und Kunstwissenschaft, Theater und Medien sowie der szenischen Künste der Uni Hildesheim. Zwischen den historischen Gebäuden, die teilweise aus dem 14. Jahrhundert stammen, sind neue Räumlichkeiten gebaut, so auch das technisch topmodern ausgestattete uni-eigene Burgtheater.
Bildergalerie von der LiteraturFutur
Die Studenten hatten sich – unter der Leitung von Guido Graf vom Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft und gefördert durch Sparkasse und evangelische Kirche – eine illustre Runde nach Hildesheim eingeladen, die sich des Themas in wechselnden Besetzungen und Darreichungsformen annehmen sollte.
Freilich gehören viele davon zu den einschlägig bekannten Panelpuppen, die man immer wieder gerne auf die Bühne setzt. Doch (fast) alle hatten Interessantes zu sagen, wenngleich kaum etwas davon vertieft wurde.
Fazit vorweg: Verschnarchte Formen der Kongressinhaltsvermittlung
Nehmen wir das Fazit an dieser Stelle schon einmal vorweg: Die ganze Veranstaltung krankte daran, dass sie selbst alte verschnarchte Formen der Kongressinhaltsvermittlung einsetzte. Es waren viel zu viele Diskussionsrunden, die keine waren, mit zu vielen Teilnehmern und mehr oder weniger guten Moderatoren. Die Runden hatten z. B. mal das Verlags-Leser-Verhältnis oder mal das Verlags-Autoren-Verhältnis zum Thema, blieben aber in einer schwammigen Oberflächlichkeit ohne wirklich neue Erkenntnisse.
Dass die Akteure nicht auf der Bühne saßen, sondern vom Publikum umringt, war zwar gut gemeint, löste jedoch nur die Bühnen- durch die auch nicht sehr kommunikative Boxringsituation ab.
Boxring statt Bühne
Beispiel Runde 1, bei der es um die Frage ging, ob der Literaturbetrieb imstande sei, sich neu zu erfinden. Alles begann mit kleinen Statements der Teilnehmer. Hauke Hückstädt, Leiter des Frankfurter Literaturhauses, forderte eine Professionalisierung der Lesung, weg vom Wasserglas, schlechter Tontechnik und unwilligen Autoren. Das Publikum müsse mehr einbezogen werden, Lesung müsse Genuss statt Langeweile bedeuten.
Gute Punkte, das hätte man näher diskutieren können.
Die Autorin Kathrin Passig machte die Beobachtung, dass in Zeiten von Twitter und Co. die absolute und für alle gültige Literaturempfehlung nicht mehr funktioniere und nötig sei. Befremdlich fand sie den Grundtenor beispielsweise auf der Buchmarketingplattform Lovelybooks, bei der sich vieles um Bestenlisten drehe, um das schönste, spannendste, bestbewerteste Buch und um Bücher, die »man« gelesen haben muss.
Gute Punkte, das hätte man näher diskutieren können.
Alexander Vieß vom Börsenverein ging das ganze erwartungsgemäß wirtschaftlicher an und forderte von den Verlagen eine Abkehr vom DRM. Zudem sollte man erfolgreiche Projekte wie ENVIV von Dirk von Gehlen aus Verlagssicht nicht immer mit dem Argument der mangelnden Skalierbarkeit abtun.
Gute Punkte, das hätte man näher diskutieren können.
Aber all die Statements beleuchteten zu unterschiedliche Aspekte und waren daher in der großen Runde (zu der noch Johannes Ismaiel-Wendt und Autorin Rabea Edel gehörten) nicht zu diskutieren. Zu schnell war das Podium wortlos, und auch die Öffnung der Diskussion fürs Publikum brachte da nichts.
Verleger Jo Lendle: Wir werden uns anstrengen müssen
Auch die strenge Pecha-Kucha-Form für die Verlag-der-Zukunft-Runde nach der Mittagspause sah ähnlich aus. Daniela Seel von KOOKbooks gestaltete ihren Vortrag wie eine Performance, mäanderte durch den Raum und berichtete, dass Verlage Räume schaffen müssten und die Literatur sich ständig mit anderen Kunstformen austauschen müsse. Sascha Lobo, der mit Sobooks demnächst eine internet-optimierte Verlagsplattform anbieten will, gab interessante Einblicke in sein social-web-technisch basiertes Vernetzungs- und Verkaufskonzept, fokussierte sich damit aber auf einen ganz anderen Aspekt. Und Jo Lendle, ehemaliger Verleger des DuMont-Buchverlags, der nach einem Jahr Auszeit ab 2014 die Nachfolge von Michael Krüger als verlegerischer Geschäftsführer bei Hanser antreten wird, las seinen im persönlichen Ton gehaltenen Essay über die Aufgaben des Verlages vom Papier ab. Sein Fazit:
Verlage sind schon heute definitiv nicht mehr nötig. Autoren können ab sofort auswählen – und dabei womöglich die Vorteile der Arbeitsteilung erkennen. Verlage verlieren durch diese Wahlmöglichkeit ihr Türhütermonopol und werden zu Edel-Dienstleistern. Wir werden uns anstrengen müssen.
(Der ganze Vortrag kann hier nachgelesen werden)
Auch diese Positionen waren jede für sich überaus diskussionswürdig, doch in ihrer Breite nicht abzuarbeiten, geschweige denn auch nur annähernd zu vertiefen.
Unverdient versickert
Mit witzigen Einspielfilmen à la Roche & Böhmermann und drei Zweiergesprächsrunden mäanderte und versickerte die LiteraturFutur am Schluss etwas unverdient. Teilnehmer auf der Bühne sprachen wie verwirrt in den Raum und irritierten das Publikum, das zumindest durch treffend bissige Kommentare auf der Twitterwall gut unterhalten wurde.
Und dennoch war die #litfutur großartig und gelungen, weil die ländliche Atmosphäre sehr angenehm, das Publikum (fast 98% Studentinnen und Studenten) anders war, weil die geladenen Gäste interessant waren und Kunst und Literatur deutlich im Vordergrund standen.
Optimiert werden muss beim nächsten Mal die Darreichungsform der Inhalte und die Interaktion mit dem Publikum. Aber dafür gibt es in Hildesheim ja Studiengänge.
Wolfgang Tischer
Eine Literatur, die sich nur mit anderen Kunstformen bewegt, bleibt artifiziell und unbeweglich. Geschlossenes System. Als Brecht auf der Buehne kochen und richtig arbeiten liess, war s schon mal weiter.
Die alte Literatur war top down, produzierte Friktion, bemuehte Ideen, hohen Ressourcenverbrauch (staendiges Sponsoring), systemtheoretisch geschlossen, die neue verlagslose Literatur ist approximativ bottom up. Keine Lesebuehnen usw, was aber nicht richtig funktioniert, wenn old school Barrierelosigkeit kopiert. Und den literarischen Betrieb, die literarische Maschinerie dabei nicht los wird. Es sind andere Mentalitaeten. Old school Diskursaufbau ist Machtaufbau und Verteilung der Ressourcen an bekannnte Strukturen.