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Literatur als Kasperletheater: Das beleidigte Quartett

Volker Weidermann im literarischen Quartett (Foto: ZDF)
Volker Weidermann im literarischen Quartett (Foto: ZDF)

Zum zweiten Mal fielen sich Menschen vor laufender Kamera gegenseitig ins Wort und erwähnen dabei Buchtitel. Mit Literatur oder gar Literaturkritik hat die Neuauflage von »Das Literarische Quartett« weiterhin wenig zu tun.

Wirkte die Premiere noch sehr gehetzt, so ist die Sendung bereits mit der zweiten Ausgabe zum Kasperletheater verkommen.

Lautwerden statt Literaturkritik

Am ehesten war es noch der Gast der zweiten Sendung, Ursula März von der ZEIT, die den Versuch unternahm, so etwas wie literarischen Diskurs, Tiefe und Argumente in die Sendung zu bringen. Die drei Schnittmusterbögen der Stammbesetzung jedoch agieren wie Schauspieler beim Theatersport. Insbesondere Maxim Biller könnte man ohne Verlust – aber sicherlich mit höherem Unterhaltungswert – durch einen Schauspieler ersetzen. Man müsste ihm für den Bühnenauftritt lediglich die Anweisung geben: Du findest nur den von dir selbst vorgestellten Titel toll. Alle anderen machst du sofort nieder. Falle dabei den anderen möglichst oft ins Wort.

Rechthaberisches Lautwerden steht über sachlicher Literaturkritik. Das leisere Bonmot oder die intelligenteren Sticheleien kamen ebenfalls eher vom Gast Ursula März.

Volker Weidermann im literarischen Quartett (Foto: ZDF)
Volker Weidermann im literarischen Quartett (Foto: ZDF)

Volker Weidermann hat sein Erscheinungsbild mit dunklerem Anzug, Hemd und weniger schiefer Frisur für die zweite Ausgabe seriöser gestaltet und stellt an diesem Abend allen Ernstes ein Buch über die Familie Mann vor. Er begeistert sich am Thema, als habe es das preisgekrönte Breloer-Dokudrama, den anschließenden Spielfilm und die Bücher dazu vor einigen Jahren nicht gegeben. »Ich weiß mittlerweile über Thomas Mann mehr als über mich!«, bemerkt dazu sehr treffend Frau März. Klar, Weidermanns persönliches Steckenpferd sind die Exilschriftsteller. Mit »Ostende« hat er ein empfehlenswertes Buch über dieses Thema geschrieben. Aber warum man nun das vierhundertfünfunddreißigste Buch über »Die Manns« lesen sollte, das konnte er nicht vermitteln, außer dass er das Thema an sich mag. Als es Widerreden gab, schien Weidermann beleidigt.

Geschmackskritik an der persönlichen Auswahl

Neben dem blinden »Konflikt, Konflikt, Konflikt!«-Credo der Sendung (schon im Ankündigungstext wird penetrant darauf hingewiesen, dass in dieser Sendung »über Bücher gestritten« wird) ist das Beleidigtsein zum wesentlichen Bestandteil geworden. Der Schmollblick in der »literarischen« Runde wird forciert durch das Konzept, dass jeder Teilnehmer »sein« Buch vorstellt. Während der seriöse Literaturkritiker immer Werk und Autor trennt und das Werk, aber nie den Autor angeht, wird das »Literarische Quartett« zum Musterbeispiel für schlechte Literaturkritik. Hier wird nicht ein Buch an sich kritisiert, sondern gleichzeitig die Kompetenz und der Geschmack des oder der Auswählenden infrage gestellt. Mit Juli Zeh war dieses Auswahlkriterium in der ersten Sendung offensichtlich, die beleidigt schien, als man quasi nicht nur dem von ihr ausgewähltem Buch, sondern gleich auch noch ihrem Freund und Kollegen Ilija Trojanow jegliche schriftstellerische Qualitäten absprach. Eine ähnliche Konstellation ergab sich jetzt mit Weidermann, der seine geliebte Familie Mann vorstellte.

Das Konzept der persönlichen Buchauswahl führt dazu, dass die Bücher zu oft in den Hintergrund treten und zudem über Bücher gesprochen wird, die wenig Relevanz haben und die man nach der Sendung und dem »Streit« darüber auch gar nicht lesen möchte. Die ständige Konfliktsituation, das ständige Inswortfallen verhindert jede echte literarische Analyse des Werkes. Kaum jemand in dieser Sendung spricht beispielsweise ernsthaft über die Sprache eines Buches. Wir können aus dieser Sendung daher nicht lernen, wie »echte« Kritiker ein Buch beurteilen, weil wir nur eine Schlacht der Gefühle und Eitelkeiten erleben. Selbst auf Lovelybooks wird ein kitschiger Liebesroman ernsthafter diskutiert, als es die Schmolllippigen über ihre Bücher im Quartett vorführen.

Christine Westermann im literarischen Quartett (Foto: ZDF)
Christine Westermann im literarischen Quartett (Foto: ZDF)

Die persönliche »Buchpatenschaft« ist ein nicht unwesentlicher Unterschied zum alten Quartett unter Reich-Ranicki. Hier übernahm zwar auch immer ein Teilnehmer die Vorstellung eines Buches, aber es war nicht »sein« Buch. Da konnte es dann auch mal vorkommen, dass alle vier ein Buch schlecht fanden. Zudem diskutierte das damalige Quartett durchaus über Bücher auf der Bestsellerliste, und man konnte als Zuschauer nachvollziehen, wie die Kritiker zu den Büchern standen. Das ist eine literarische Auseinandersetzung mit der Lesewirklichkeit, wie sie fast nur noch Denis Scheck mit seiner Top-Ten-Besprechung zelebriert.

Wenig über, mehr gegen Bücher

Im neuen literarischen Quartett wird jedoch zu wenig über Bücher, sondern vielmehr gegen Bücher gesprochen. Wenn man sich die Sendung nur noch anschaut, um darüber auf Twitter zu lästern (#LiterarischesQuartett war zur Sendezeit Platz 1 der Trendthemen bei Twitter), dann ist das zwar amüsant, doch hat die Sendung ihren Sinn verfehlt. Die Twitter-Kinder schreien begeistert, wenn Kasperle Weidermann dem bösen Krokodil Biller mit der Wortkeule eins überbrät, während Oma Westermann entsetzt daneben steht.

Volker Weidermann im literarischen Quartett (Foto: ZDF)
Volker Weidermann im literarischen Quartett (Foto: ZDF)

Wäre man von Seiten des ZDF ernsthaft daran interessiert, dass in dieser Sendung über Literatur diskutiert wird, so sollten künftig Redakteure die Titel auswählen, die in der Sendung besprochen werden, und nicht ausschließlich die vier Diskutanten. In einem zweiten Schritt sollte man dann darüber nachdenken, ob die Rolle des Bösewichtes nicht neu besetzt werden sollte durch einen charmanten Bösewicht. Natürlich braucht die Sendung einen Unterhaltungswert, doch die konzeptionelle Konfliktfokussierung schafft ihn nicht.

Das Inswortfallen, das Laut- und Beleidigtsein stehen im Vordergrund, Bücher jedoch nicht.

Wolfgang Tischer

Link ins Web:

Die in der zweiten Sendung besprochenen Bücher:

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10 Kommentare

  1. Wann werden unsere Fersehgewaltigen endlich begreifen, dass Sendungen über Literatur ohne einen Showmaster von Kaliber eines MRR keinen Sinn machen?
    Es sei denn man wagt, was das Bayerische Fernsehen gesten gewagt hat: Eine Live-Ãœbertragung vom Poetry Slam aus Augsburg. Das war Literatur pur. Und ganz unmittelbar.
    Bravo BR !

  2. Der Fisch zittert vom Kopf. Volker Weidemann ist die ganze Zeit offensichtlich in Panik. Er hat Angst, er könne irgendwelche Kriterien nicht erfüllen. Dabei denkt er wohl ganz diffus an „leidenschaftlich“ und „kontrovers“. Von seiner Angst und Nervosität werden alle angesteckt. Und Biller, dessen Agenda es ist, Regeln zu brechen, ist auch völlig konfus, weil es gar keine Regeln zu geben scheint, und er nur noch wahl- und grundlos ältere Damen beleidigen kann, was ihm wohl sogar selber nicht ganz koscher vorkommt…. Insgesamt: ein Anblick grässlich und gemein…

  3. Warum macht Herr Tischer bei den bibliographischen Angaben Werbung für Amazon und nicht für den örtlichen Buchhandel? Und warum nennt er zwar die ISBN nicht jedoch die Übersetzerinnen der besprochenen Bücher?

  4. „Wir können aus dieser Sendung daher nicht lernen, wie »echte« Kritiker ein Buch beurteilen, weil wir nur eine Schlacht der Gefühle und Eitelkeiten erleben.“
    Treffend und leider wahr. Man ärgert sich über die verschwendete Zeit.

  5. Ich muss den anderen Kommentatoren recht geben: Die Sendung ist unerträglich. Das Gezänke und Gekeife zerrte dermaßen an meinen Nerven, dass ich das Video nach wenigen Minuten beendete. Als Twitter-Event ist die Sendung sicher ein Knaller. Als Literatursendung ist sie ein Witz.

  6. Ich hatte mich ja wirklich mal auf die Neuauflage des Literarirschen Quartetts gefreut.
    Doch wenn dabei das Literarische so auf der Strecke bleibt, dass man lediglich einem Quartett beim – wenig unterhaltsamen – Streiten zuschauen kann, dann ist es vor allem eins: Zeitverschwendung.
    Ob die von mir noch eine 3. Chance bekommen, wage ich zu bezweifeln.
    Sehr schade um ein Format, dass gerade viel Potential verspielt.

  7. Das sehe ich so ganz anders.
    Das Casting der Kritiker ist gelungen.
    Weidermann wirkt ängstlich, ja, Westermann moralisiert und Biller polarisiert.
    Ein Glück!
    Wenn hier nur über Literatur berichtet werden würde, statt gestritten, das wäre so langweilig. Das ist eine Fernsehshow für den Freitag Abend und kein Frühstücksfernsehen.
    Wie gut, dass Biller allen ins Wort fällt!

    Als ob man sich an das alte Quartett erinnern würde, weil die alle ohne Ego gewesen wären.

    Man kann über Bücher streiten, das ist doch das Tolle!

    Der Artikel hier im Literaturcafé, der wirkt hingegen beleidigt und angestaubt.

    Na gut, Literaturcafé, der Name allein verspricht ja schon angepasste Langweile.

    Klar, dass man sich hier eine brave Sendung wünscht, die Menschen anspricht, die gern lesen, weil sie dann nicht rausgehen müssen.

  8. Uns macht das neue Literarische Quartett regelrecht aggressiv. Eine fast unerträgliche Sendung. Wir quälen uns immer bis zum Schluss. Wir sind seit 30 Jahren Mitglied in einem Literaturkreis und hatten uns gefreut, dass dass Literarische Quartett neu aufgelegt wird. Aber so wird das nichts…wir schwanken zwischen Fremdschämen und Empörung. Dieses ständige Beleidigen und beleidigt sein! Schade, schade! Ein bisschen Hoffnung haben wir noch und halten noch etwas durch. Aber wenn es so weiter geht ist das Literarische Quartett wohl leider endgültig gestorben.

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