Dies sind die Anmerkungen zum Literarischen Quartett vom Oktober 2016. Sie können sich aber auch die Besprechungen der früheren Sendungen durchlesen. Diese sind zeitlos. Es tut sich nichts in dieser neuaufgelegten Literatursendung des ZDF, nur der Gast wird ausgetauscht. Diesmal war es der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic. Gelegentlich bringt zumindest der Austauschkandidat etwas Pepp in die Diskussion. Diesmal jedoch nicht.
»Ich hab‘ ein Problem damit, über Kollegen zu sprechen«, outete sich Glavinic recht schnell. Da dachte man als Zuschauer noch, er meine das inhaltlich. Es stellte sich heraus, dass es eher an der Semantik lag. Glavinic gelang selten ein vollständiger Satz: »Ich finde die richtigen Wörter gerade nicht.« Niemand verlangt, dass Schriftsteller gut reden müssen. Sie sollten gut schreiben können, was Glavinic durchaus kann.
Dabei war Glavinics Auftakt amüsant. Er verhielt sich zunächst ruhig und schien sich über das Wort-Gezerre zwischen Maxim Biller und Volker Weidermann zu amüsieren: »Von mir aus können Sie weitermachen.« Und Billers direkt an ihn gerichtete Frage, ob denn der Humor des besprochenen Buches von Thomas Melle ein deutscher, österreichischer oder jüdischer sei, parierte Glavinic süffisant mit den Worten: »Ich muss nicht jedem Humor gleich einen Reisepass ausstellen.« Doch damit hatte sich seine Eloquenz früh erschöpft. Kein Satz gelang ihm mehr, Glavinic wirkte fahrig und unvorbereitet. Eindeutige Urteile zu den Büchern wollte er kaum abgeben. Letzteres ist eigentlich sehr sympathisch, doch man merkte, dass der Österreicher dafür ganz andere Gründe hatte.
Was war noch? Die Rolle von Frau Westermann hat sich geklärt. Sie sitzt nur deshalb in der Runde, damit Maxim Biller sie gelegentlich direkt ansprechen und verbal abwatschen kann, damit sie mit einem unverständlichen Lächeln antworten kann, das gerade besprochene Buch fest in den Händen und meist vor das Gesicht gehalten. Immer wieder wollte sie an diesem Abend etwas aus den Büchern vorlesen, aber niemand in der Runde wollte das zulassen.
Zunächst wurden zwei Bücher besprochen, die beide die Chance haben, am kommenden Montag den Deutschen Buchpreis 2016 zu erhalten: Thomas Melles autobiografischer Text »Die Welt im Rücken« über seine psychische Erkrankung und der DDR-Roman »Skizze eines Sommers« von André Kubiczek.
Zunächst redeten alle über Thomas Melle und seine bipolare Störung. Es ist ein literaturkritisches Problem, dass bei seinem biografischen Text immer über Thomas Melle und seine bipolare Störung geredet wird. Selbst Volker Weidermann sprach emotional über den Text. Einzig Biller versuchte konsequent, dem Text als Text und Roman gegenüberzutreten, aber eben auf Biller-Art: Zack! Krach! Wumm! Die Melle-Diskussion scheiterte an der fehlenden literarischen Betrachtung und der Brachialität Billers.
André Kubiczeks Buch fanden alle misslungen – bis auf Frau Westermann. Auch wenn das Gespräch nicht sonderlich tiefgehend war, wurden zumindest einige literarische Kriterien gefunden, und die Diskussion über dieses Buch erstreckte sich nicht – wie sonst im literarischen Quartett üblich – allein darauf, ob den die Handlung logisch und glaubhaft sei.
Die beiden anderen besprochenen Bücher? Egal. So richtig wusste man nicht und konnte man anhand der Diskussion auch nicht ermitteln, warum man sie lesen sollte und warum sie im Quartett besprochen wurden.
Und sonst? Was sich bereits während der letzten Sendungen abzeichnete, wurde wieder einmal mehr als deutlich – vor allen Dingen, wenn man sich parallel auf Twitter umschaute und der Hashtag #Literarischesquartett an diesem Abend sogar Trend ist: Ohne Maxim Biller wäre die Sendung nichts. Die Menschen schimpfen über ihn, sie hassen ihn, sie lieben ihn. Sie schalten die Sendung ein wegen Biller, sie schalten die Sendung ab wegen Biller – oder verkünden es zumindest. Sie schätzen es, dass Billers Buchvorschläge durchaus lesenswert sind und dass er zumindest konsequent auf literarische Maßstäbe hinweist. Man hasst Billers Überheblichkeit und Stinkstiefeligkeit. Biller-Tweets dominieren die Diskussion zu #LiterarischesQuarett und das schon vor der Sendung. Biller ist der Untergang der Literaturkritik, Biller ist die Rettung der Literaturkritik. Biller ist gar keine Kritik. Biller ist wie eine Droge: Irgendwie nicht gut, irgendwie schädlich, aber irgendwie kommt man nicht davon weg. Ohne Biller würden wir einschlafen und gar nicht erst einschalten. Oder lieber ein Buch lesen.
Wolfgang Tischer
Link ins Web:
- Das Literarische Quartett vom 14.10.2016 in der ZDF-Mediathek
Die in der Sendung vom 14.10.2016 besprochenen Bücher:
- Thomas Melle: Die Welt im Rücken. Gebundene Ausgabe. 2016. Rowohlt Berlin. ISBN/EAN: 9783871341700. 19,95 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
- André Kubiczek: Skizze eines Sommers. Gebundene Ausgabe. 2016. Rowohlt Berlin. ISBN/EAN: 9783871348112. 19,95 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
- John Burnside; Bernhard Robben (Übersetzung): Wie alle anderen (Das autobiografische Projekt, Band 2). Gebundene Ausgabe. 2016. Albrecht Knaus Verlag. ISBN/EAN: 9783813507140. 22,92 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
- Ismail Kadare; Joachim Röhm (Übersetzung): Die Dämmerung der Steppengötter: Roman. Gebundene Ausgabe. 2016. S. FISCHER. ISBN/EAN: 9783100384140. 20,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Dieser Herr Biller ist, glaube ich eine Zumutung und ich finde seine Statements, wie er da über zwei Buchpreisbücher drüber fährt auch mehr als unerträglich und viel viel ärger, als die autroritären Urteile des Herrn Marcel Reich-Ranicki, die ich aus seiner Lebensgeschichte her noch verstehen kann und die mir qualitativ auch nicht so unbegründet erscheinen, wie hier.
Thomas Melle ist ein anerkannter Autor und ist bisher mit zwei Romanen auf der Long- oder auch auf der Shortlist gestanden, die die Bipoliarität in Romanform behandelten.
“Die Welt im Rücken” und das ist die einzige Kritik, die man daran haben kann, ist kein Roman, sondern eine Mischung zwischen Memoir, also Autobiografie und Personal Essay, also die literarische und wissenschaftliche Beschreibung seiner bipolaren Störung.
Und wenn Herr Biller wirklich glaubt, daß nur Voyeure dieses Buch lesen, dann hat er sich meiner Meinung nach wieder disqualifiziert und es steht, glaube ich, auch darin, daß es ein Buch für angehende Psychiater und wahrscheinlich für alle, die sich für diese Krankheit aufbereitet in einer literarischen Sprache interessieren, ist oder sein sollte.
Das Problem bei dieser Literaturgattung ist nun vielleicht und das habe ich auch bei anderen Kritiken so gesehen, daß ich hier wahrscheinlich nicht so kritisieren kann, wie ich es sonst bei rein fiktiven Werken gewohnt bin, denn ich kann zwar sagen, der ewige Wechsel zwischen Manie und Depression hat mich gelangweilt, weil das ist ja immer das gleiche, aber damit disqulifiziere ich mich selbst, denn das ist halt das Merkmal einer bipolaren Störung von der der Autor uns hier erzählt und da finde ich es sehr interessant zu wissen, wie die passiert und wie ein Betroffener sie erlebt und kann außerdem noch froh sind, daß ich diesen ständigen Wechsel nicht selbst erleben muß.
Die Frage, wie weit das Buch natürlich trotzdem aufbereitet ist, bleibt natürlich, aber dafür ist es ja ein literarisches Werkt und steht, wenn auch kein Roman, meiner Meinung nach, zu Recht auf der Shortlist.
Und da meine beiden Favoriten Katja Lange-Müller und Sybille Lewitscharoff nicht mehr im Rennen sind, hoffe ich sehr, er gewinnt und ich wünsche dem Buch etwas bedarftere und qualifiziertere Leser, als es Herr Biller offenbar war.
Buch zwei, “Skizze eines Sommers“, das mir auch sehr gut gefallen hat und das meiner Meinung nach, auch etwas seltsam beprochen wurde:
Ja, ich weiß, die DDR war eine Diktatur und kein Honiglecken und der Protagonist offenbar der Sohn eines Funktionärs und daher wahrscheinlich priveligiert, trotzdem denke ich, daß ein Sechzehnjähriger, mit der Frechheit seiner Jugend, einem Haufen Geld und einer sturmfreien Bude, diese Diktatur vielleicht einen Sommer lang genießen konnte, fein, wenn das ging.
Er mußte dan ohnehin in diese Eliteschule und ging mit schwarzbemalten Augenlidern dorthin und er machte seine Kritik auf sehr subtile Art, ging in schwarzen Kleidern in die Schule, passte nicht auf und machte seine Witzchen und es ging durch.
Milan Kunderer und andere Autoren haben Bücher geschrieben, in denen das nicht durch gegangen ist und ich habe mir auch gedacht, daß Andre Kubiczek seine DDR-Jugend etwas verklärt beschrieben hat.
Trotzdem habe ich Kritik in dem Buch gesehen und trotzdem hat es mir gefallen und trotzdem steht es auf der Shortlist, die in meinen Augen kein Quatsch ist und die Kritiker, die ihn dorthin gewählt haben, werden wahrscheinlich auch gewußt haben haben warum.
Am Scluß noch etwas zu Thomas Glavinic, der als Autor vielleicht seine spezielle Art hat, mit der ich manchmal meine Schweirigkeiten habn und mir manche seiner Bücher auch nicht besonders gefallen, weil sie mir zu aggressiv zu über drüber oder was immer sind.
Hier wurde er als Kritiker eingeladen und ich finde, er hat sich bemüht durchaus bemüht das sachlich und objektiv zu tun.
Mit der Art des Herrn Biller habe ich aber meine Schwierigkeiten und ich denke so soll und darf Literaturkritik nicht sein, denn kein Buch ist Quatsch und die beiden bewerteten schon einmal besonders nicht und wenn Herr Biller das Beschäftigen mit der bipolaren Störung, als Voyeurismus sieht, hat er. glaube ich. das Buch und seinen Sinn nicht verstanden und sich in seiner Unkenntnis vielleicht auch ein bißchen bloß gestellt!
Der Schriftsteller Glavinic hat ja herum gestottert, dass man nicht erkennen konnte, was er meinte.
Klare und deutliche Sprache und was er sagen wollte blieb unklar.
Wenn er genauso schreibt, wie er spricht, dann gute Nacht
Gibt es denn eine Literatur-Sendung, welche man empfehlen kann? Oder sind solche Sendungen generell nicht empfehlbar?
Ich muss gestehen, ich habe keine Ahnung von solchen Sendungen, weil ich viel zu selten den TV einschalte.
Ich sehe mir eigentlich alles an, was es an Literatursendungen im deutschsprachigen Raum gibt. Auf das literarische Quartett werde ich in Zukunft wohl eher verzichten, nachdem ich alle bisherigen Sendungen im Vergleich mit ähnlichen Konzepten gesehen habe, muss ich sagen, es ist mit Abstand das Schlechteste: Streit ohne Streitkultur. Es bleibt der Eindruck zurück, dass da Leute sitzen, die weder Bücher noch Menschen mögen. Über die Bücher habe ich meistens so gut wie nichts erfahren.
Dabei gibt es wunderbare Alternativen: Das vierteljährlich stattfindende “Lesenswert Quartett“ ist Genuss pur. Es ist keine nette Plauderei, es geht inhaltlich ganz schön zur Sache, es wird gestritten, aber eben mit Kultur und Freude an und in der Auseinandersetzung.
Dann gibt es noch die ebenfalls vier Mal stattfindende Diskussionsrunde von der 3sat-buchzeit, es diskutieren – was sonst eher selten ist – drei Frauen und ein bewusst zurückhaltender Gert Scobel, seit Jahren in annähernd gleicher Besetzung, das gibt eine eigene Atmosphäre – Intellekt mit Charme!
Und dann noch: Ein Klassiker mit jahrelanger, wechselhafter Geschichte: Der Literaturclub im Schweizer Fernsehen und auf 3Sat. Von dort habe ich die brauchbarsten Buchempfehlungen, weil so diskutiert wird, dass man danach eine ziemlich klare Vorstellung von den Büchern hat.
Schade, dass der Autor die Sendung offenbar nicht zu Ende gesehen hat. Ich kann es fast verstehen, denn die erste Hälfte war grottig, manchmal nur unfreiwillig komisch. Weidermanns Eingangsmonolog unverständlich, verhaspelt, was sich auf die anderen Redner auszuwirken schien: keiner redete nachvollziehbar, gar argumentativ, Biller furzt jedem einfach gerne ins Gesicht und rüpelt ahnungslos, aber bösartig. Bis – ja, bis Kadare auf den Tisch kam. Und das lohnte: Biller plötzlich in Hochform, einen genialen Autor nicht nur preisend, sondern erklärend. Frau Westermann, ihre Frage, warum man das lesen sollte: Eben weil es fern von ihrem Alltag und ihrer Alltagserfahrung ist. Große Literatur. Bin froh, bis zum Ende durchgehalten zu haben. Und Glavinic: guter Autor, dumpfer Redner, si tacuisses! Kadare dagegen auf die Leseliste setzen, z.B. mit “Der zerrissene April”, den Nobelpreis braucht er eh nicht.
was sollte Herr Glavinic in der Sendung? Bekommt keinen vollständigen Satz zusammen, kann nichts annähernd sachgerecht begründen/erklären und erdreistet sich der Frechheit gegenüber dem Publikum, dass er im Moment nicht mitreden könne, weil er seine eigene Schrift nicht lesen könne, d.h., im Kopp hat er gar nichts. Hat der etwa ein Honorar von meinen GEZ-Gebühren erhalten?
@Pjesma Compositae:
Und jetzt das Ganze bitte nochmal nüchtern, ja?
Ich meine, die ganze Versuchsanordnung ist tendenziell sexistisch: Männer, die primär Recht haben wollen und eine Frau, die intellektuell nicht mithalten kann, mit Gefühlen “argumentiert” und von den Männern nicht ernst genommen wird.
Ich kann Herrn Herburger nur zustimmen, eine schlechtere Literatursendung kenne ich im TV nicht – Herr Reich-Ranicki und Herr Karasek (gut, dass er die Sendung nicht mehr erlebt hat) drehen sich im Grabe um vor Entsetzen. Man erfährt nichts über die Bücher, lediglich Gezerre und persönliche Beleidigungen. Ich empfehle ebenfalls das “Lesenswert Quartett” mit Denis Scheck, hier findet wirkliche Auseinandersetzung mit der Literatur statt. Bitte mehr davon!
ich stimme Herrn Herburger und Frau Lachenmann ebenfalls zu. Diese
Sendung lädt nicht zum Lesen ein. Dagegen war die letzte “Lesenswert” wieder ein Genuss!
Und wieder eine gescheiterte enttäuschende Sendung.
Ich freute mich jedes Mal darauf, aber mittlerweile sehe ich ein – das wird nix mehr! –
zumindest nicht in dieser Besetzung. Es gäbe genügend erfahrene Kritiker/innen, die für mehr Tiefgang, literarischen Weitblick und vorallem eine bessere Gesprächskultur geeignet wären. Ich würde
auch für eine reine Kritiker/innenrunde plädieren, zumindest in der Stammbesetzung, damit wäre eine, mittlerweile “tragische” Figur, wie Herr Biller, höchstens mal zu Besuch und dann wieder an seinem Schreibtisch, wo er auch verweilen sollte. Wie in anderen Beiträgen schon erwähnt wurde, ist dieses Literarische Quartet mit Abstand die schlechteste derartige Sendung (Glavinic hat das Niveau nochmal auf seine ganz eigene Art nach unten gesenkt) – die Beste ist für mich der Schweizer Buchclub (gelingt auch nicht immer), aber die letzte Oktobersendung mit R. Schrott, zeigt für mich sehr gut, wie es gelingen kann, sehr anregend, informativ u. tiefgehend über Bücher u. deren Inhalte zu sprechen und kontrovers zu diskutieren.
Herr Weidemann könnte das grundsätzlich auch, jedoch nicht im andauernden Konkurrenz- und Argumentationsgerangel mit Biller, das ist zu stressig und führt meist zu garnichts. Ich fürchte die Sendung wird bleiben, da die Zuschauerzahlen angeblich relativ hoch sein sollen und es dem ZDF vermutlich vorallem darum u. weniger um die inhaltliche Qualität gehen dürfte.
Neugierde auf gute oder weniger gute Bücher oder auf das erneute Scheitern der Kritiker/innenrunde??