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Lektüre im Norden: »Ostfriesensturm« von Klaus-Peter Wolf

Warum nicht in Ostfriesland zum Ostfrieslandkrimi greifen? Wolfgang Tischer liest »Ostfriesensturm« von Klaus-Peter Wolf. Lesen und sehen Sie seine Leseerfahrung in Text und Video.

Immer einen Ostfriesen im Titel

Unterwegs in Ostfriesland. Da könnte man etwas aus der Region lesen. Buchstäblich paletten- und tonnenweise ist der aktuelle Krimi »Ostfriesensturm« von Klaus-Peter Wolf im Eingangsbereich der großen Buchhandlungen aufgebaut. Es ist »der neue Fall für Ann Kathrin Klaasen«, heißt es auf dem Cover, der 16. präzisiert die Rückseite.

Wolfs Krimis landen sofort auf der Bestsellerliste, und es ist sympathisch, dass man nicht dazu übergegangen ist, die Romane zunächst im Hardcover und teurer auf den Markt zu bringen. Die Klaasen-Krimis erscheinen nach wie vor als Fischer Taschenbuch. 2007 erschien der erste Fall, einmal im Jahr gibt’s einen neuen Band, hinzu kommen Spin-Offs mit Nebenfiguren. Die Hauptreihe hat immer einen Ostfriesen im Titel: Ostfriesenkiller, Ostfriesenblut, Ostfriesengrab, Ostfriesensünde, …

Ostfriesland merchandisingmäßig erschlossen

Im Grunde genommen sind es Regionalkrimis. Wolf baut nicht nur reale Orte von Norddeich bis Wilhelmshaven ein, er lässt auch real existierende Personen auftauchen. Die Kommissarin wohnt im selben Viertel der Stadt Norden wie der Autor, und das Café, in dem Wolf der eigenen Legende nach beim Schreiben anzutreffen ist und in dem seine Protagonisten Törtchen und Konfekt erwerben, wirbt auf der letzten Seite des Romans. Wolf hat sich Ostfriesland merchandisingmäßig voll erschlossen. Natürlich gibt es auch Bildbände über »sein Ostfriesland«.

»Moin! Sie haben sicherlich alle Bände gelesen«, begrüße ich die Buchhändlerin der kleinen unabhängigen Buchhandlung in Ostfriesland, indem ich »Ostfriesensturm« hochhalte. »Kann man mit dem 16. Fall beginnen, auch wenn man die 15 davor nicht gelesen hat?«

Alle, antwortet die Buchhändlerin, habe sie nicht gelesen. Aber wie bei einer guten Reihe üblich, könne man jederzeit einsteigen. Wenn ich »Ostfriesensturm« kaufe, könne ich ihr ja berichten, wie ich’s fand.

Was ich erwarte

Also lese ich mit all meinen Vorurteilen über deutsche Regionalkrimis in Ostfriesland den »Ostfriesensturm«. Tatsächlich sind einige Bände bereits vom ZDF verfilmt worden. Ich habe diese Filme nicht gesehen und stelle mir die Landschaft als Schwenkfutter vor. An diesem Ufer der Nordsee Wolf, am anderen irgendwo Pilcher.

Ich erwarte leichte Krimiware, bei der man trotz aller Toten auch mal schmunzeln darf, in der es zwischen den Kommissaren menschelt und Gerichtsmediziner unfreundlich darauf verweisen, dass sie Genaueres zum Tathergang erst nach der Laborauswertung sagen können.

Ich beginne mal so: Da gibt es eine Szene, bei der im Polizeipräsidium Hasch-Kekse abgegeben werden, die dann versehentlich irgendwie als Konferenzgebäck im Besprechungsraum der Polizei landen. Alle sind berauscht. Eine überflüssige Szene, bei der ich die ZDF-Zuschauer schmunzeln sehe.

Im Roman hätte man sie verlustfrei streichen können.

Was ich bekomme

Denn: »Ostfriesensturm« unterhält mich durchaus, und ich lese die 550 Seiten an zwei Tagen weg. Natürlich müssen hier Sanddornkekse gegessen und Tee getrunken werden. Wolf baut zudem von Wilhelmshaven über Wangerooge die Region komplett ein. Als eine Art »Product Placement« wird das Buch »Mein Langeoog« von Regula Venske erwähnt. Das ist kollegial ok.

Klaus-Peter Wolf mag ein Vielschreiber sein, doch dadurch ist das Morden aktuell und spielt während der Corona-Zeit. Im Frühjahr 2022 wirkt das keineswegs überholt und bereits jetzt liest man mit einer gewissen Fassungslosigkeit, dass damals »Ausländer« – also Nicht-Ostfriesen – das Land- und die Ferienwohnungen verlassen mussten. Menschen aus Nordrhein-Westfalen waren plötzlich illegal. Die Idee des Grundplots – einem Serienmörder wird ein »fremder« Mord untergeschoben – mag nicht mehr originell sein. Ein klein wenig ärgere ich mich, dass der Serienmörder aus nicht nachvollziehbaren Gründen eklatant vertrauensselig wird, was ihm wahrscheinlich zum Verhängnis wird, aber so arbeitet selbst Stephen King. Dennoch sind die meisten Figuren gut ausgearbeitet und Wolf erzählt in einem Interview, dass diesmal ein bitterer Teil der Geschichte autobiografisch geprägt sei. Zum Schluss hin scheint ein alter Bekannter der Serie aufzutreten oder referenziert zu werden, doch das tut dem Ganzen keinen Abbruch. Man kann den 16. Fall als Ersten lesen. Nicht alles wird am Ende aufgelöst, aber das akzeptiere ich. So ist es schließlich auch am Staffelfinale einer Serie.

Anfüttern der Leserschaft

Tatsächlich baut Wolf schon jetzt ein »Demnächst bei Ann Kathrin Klaasen« ein, indem am Ende des Romans bereits der Beginn des 17. Falls zu lesen ist, der erst im kommenden Jahr erscheinen wird. Dieser lang dauernde Cliffhanger soll nicht nur die Erwartung von Leserin und Leser steigern, er hilft auch dem Autor, in der Geschichte zu bleiben. Dieses Anfüttern der Leserschaft ist gut dosiert.

»Ist okay«, sage ich drei Tage später der Buchhändlerin fast schon ostfriesisch knapp. »Hat mich unterhalten, und man kann ›Ostfriesensturm‹ auch zum Einstieg lesen.« Dass es bei mir wahrscheinlich dabei bleiben wird, sage ich nicht. Vielleicht suche ich irgendwann doch wieder einmal Lesestoff im Norden.

Wolfgang Tischer

Klaus-Peter Wolf: Ostfriesensturm: Das Original - Die Nummer 1 in der Spannung (Ann Kathrin Klaasen ermittelt 16). Kindle Ausgabe. 2022. FISCHER E-Books. 9,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige
Klaus-Peter Wolf: Ostfriesensturm: Das Original - Die Nummer 1 in der Spannung. Taschenbuch. 2022. FISCHER Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783596700035. 13,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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