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Langeweile zum Nachlesen: Warum ich mir den Zukunftskongress TOC in diesem Jahr erspare

Ein TOC-Vortrag im Jahre 2010Heute, am Vortag der Buchmesse, findet in Frankfurt zum 4. Mal die TOC-Konferenz statt. TOC steht für »Tools of Change (for Publishing)«. Diese Veranstaltung wird vom renommierten O’Reilly Verlag mitgetragen, der seinerzeit immerhin den Begriff Web 2.0 populär gemacht hat. TOC-Kongresse fanden und finden bereits schon länger in den USA statt.

Doch in diesem Jahr werde ich mir die TOC ersparen.

Drei Jahre lang hatte ich gehofft, dass ich hier wirklich Neues und Zukunftsweisendes über das Buch und die Verlagsbranche erfahre. Dreimal wurde ich bitter enttäuscht.

Ich versuche es diesmal mit einem Zukunft versprechenden Buch.

Der Erfinder des Web 2.0 kam nicht

Das Alternativprogramm in Papierform trägt den Titel »Book: A Futurist‘s Manifesto – A Collection of Essays from the Bleeding Edge of Publishing« – das ist quasi das Buch zur Konferenz.

Vor drei Jahren sollte auf der ersten TOC in Deutschland der Verlagsgründer Tim O’Reilly auftreten und die abschließende Keynote halten. Das war raffiniert, denn normalerweise plätschert so ein Kongress irgendwann aus. Doch bei diesem Top-Sprecher blieb man, denn damals war der Begriff Web 2.0 noch nicht ganz verbraucht und man war gespannt, was der Verlagsleiter und Vordenker sagen würde.

Aber Tim O’Reilly war krank und kam nicht. Und auch nicht in den Jahren danach.

In gewisser Weise ist das ein Symbol, denn der Kongress, der im Titel suggeriert, dass dort die Dinge vorgestellt und erläutert werden, die die Veränderung bringen, ist eine schnarchlangweilige Veranstaltung, in der Regel besucht von älteren Verlagshaudegen, die sich so einreden können, ganz vorne mit dabei zu sein. Im Grunde genommen würde es reichen, wenn sie Blogs und andere Plattformen nutzen würden, statt die Plattitüden zu hören, die mittelmäßige Referenten hier von sich geben.

So erzählte beispielsweise im letzten Jahr eine Autorin aus Alaska in typisch amerikanischer Werbeverkaufsmanier, wie sie u. a. Twitter und Facebook für die Selbstvermarktung einsetzt. Unterhaltsam – und doch: gähn.

Unterhaltsam – und doch: gähn

Nun mag man einwenden, dass viele Kongresse so ablaufen. Sie sind sauteuer, sodass sie sich oft nur Führungskräfte leisten können, und da die von dem Thema keine Ahnung haben, ist für die tatsächlich vieles neu und revolutionär, was für die wirklichen Profis kalter Kaffee ist. Ich hatte mir von der Marke O’Reilly tatsächlich mehr erhofft.

Ein weiteres Manko ist, dass viele der Vortragenden irgendein »CEO« oder »Founder« irgendeines kleinen Verlagsunternehmens meist irgendwo in den USA sind. Und viele Vorträge sind daher nichts weiter als mehr oder weniger schlecht getarnte Werbevorträge. Da geht man zu einem Vortrag über »Social Reading« und bekommt im Grunde genommen nur ein Unternehmensprodukt vorgestellt, mit ein paar allgemeinen Zahlen zum Thema als Alibi.

Seltene Highlights

Sicher: Es gab hin und wieder ein Highlight, einen Sprecher, der sein Geld wert war und neue Impulse brachte, doch war dies in den vergangenen drei Jahren viel zu selten der Fall.

Und natürlich war es so, dass man die interessanteren Gespräche und Infos eher informell in der Lobby fand. Dennoch war die Veranstaltung wie die Hotelräumlichkeiten, in denen sie stattfand: muffig, plüschig – und Zukunft wehte nur sehr selten durch die abgestandene Luft der Teppichflure.

Diejenigen, die den Verlegern zeigen, wie Zukunft geht, waren ohnehin nicht da. Apple war in Form seiner Fanboys stets präsent, doch nicht auf der Liste der Redner. Und auch Amazon nicht. Zumindest Google war da, doch galt es vor drei Jahren noch, die Verleger vom Bücher-Scan-Projekt zu überzeugen, sodass ein triftiger Grund in eigener Sache bestand. Für Apple und Amazon gibt es diesen nicht.

Selfpublisher, die zeigen, wie man als Ein-Mann- oder Ein-Frau-Unternehmen an Verlagskonzernen vorbeiziehen kann? Fehlanzeige. Die Branche agierte gewohnt selbstreferenziell.

Kein Grund also, in diesem Jahr den Tag dort wieder zu verschwenden.

Das Buch zu Konferenz ist wie die Konferenz selbst

Book: A Futurist‘s Manifesto - A Collection of Essays from the Bleeding Edge of PublishingStattdessen ein Blick in das erwähnte Buch »Book: A Futurist‘s Manifesto – A Collection of Essays from the Bleeding Edge of Publishing«, das unter der Marke und mit dem TOC-Logo bei O‘Reilly erschienen ist.

Das Ergebnis ist ähnlich wie der Kongressbesuch: Ein viel versprechender Titel, doch die Inhalte sind eher banal, kratzen höchstens an der Oberfläche von interessanten Entwicklungen. Es sind, man ahnt es, oftmals die schriftlich fixierten Vorträge der TOC – inklusive gruselig gestalteter Powerpointfolien, deren Typografie fernab jeder Zukunft liegt. Es sind oft kleine Aufsätze der »Founder« und »CEO« irgendwelcher US-Unternehmen.

Klar, es ist alles irgendwie drin und erwähnt, von Fanfiction über DRM bis zum idealen digitalen Workflow. Wer die aktuellen Themen der Verlagsbranche nicht oder nur vom Hörensagen kennt, der mag hier einen kleinen ersten Einblick gewinnen.

Doch wer sich mit diesen Dingen tatsächlich schon beruflich beschäftigt und wer Blogs und Twitter und all die anderen Kanäle verfolgt, der kommt sich vor wie in einer Grundschulklasse, in der gerade das 1×1 gelehrt wird.

Es ergeht mir mit dem Buch wie in den drei Jahren zuvor bei der TOC: Man schaut mal in den ein oder anderen Vortrag rein, doch verlässt man den Saal bzw. das Kapitel schon vor dem Ende eher enttäuscht.

Als Foyer des Buches, in dem die wirklich interessanten Dinge besprochen werden, müssen dann die erwähnten Blogs und Social-Media-Kanäle dienen.

Wolfgang Tischer

Hugh McGuire; Brian O'Leary PH.D.: Book: A Futurist's Manifesto: A Collection of Essays from the Bleeding Edge of Publishing. Taschenbuch. 2012. O'Reilly Media. ISBN/EAN: 9781449305604. 25,43 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige

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3 Kommentare

  1. Erinnert mich an meine Schulzeit. Andere brauchten für ihre Aufsätze 10 Seiten, ich nur 3. Und bis heute weiß ich nicht, womit diese Mitschüler ihre Seiten gefüllt haben.
    Das ist ein Mysterium, das ich in diesem Leben wohl nicht mehr ergründen werde.

  2. Immer wenn Leute, die eigentlich nichts mit ihren Händen arbeiten (auch nichts nennenswertes zu Papier bringen) von „Tools“ oder „Werkzeugen“ reden, wird es wird es spannend, amüsant und kurios. Zwar nicht lange,aber immerhin. Und wenn man das „Werkzeug“ dann kritisiert, dann heißt das nicht, dass es evt. nichts taugt, sondern das man richtig „geschult“ werden muss.

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