Buchbegeisterte Menschen kennen Juli Zeh und Ilija Trojanow als Romanautoren. Da ist beispielsweise Trojanows preisgekrönter Roman »Der Weltensammler« oder Juli Zehs Werke »Schilf« und »Adler und Engel«.
Für ein besonderes Projekt haben die beiden jetzt zusammengearbeitet. »Angriff auf die Freiheit« heißt das Buch, das bei Hanser erschienen ist. Ein Projekt, dessen Ursprung gewissermaßen im Stuttgarter Literaturhaus liegt, denn für eine Essay- und Veranstaltungsreihe schrieb Trojanow den Beitrag »Mit Sicherheit in den Untergang« über die bedenkliche Zunahme staatlicher Kontrolle und Überwachung. Die Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh, so die Legende der beiden, las den Beitrag in der Stuttgarter Zeitung, und aus einem eMail-Wechsel heraus entwickelte sich die gemeinsame Arbeit an diesem Buch und an einem Thema, das beiden gleichermaßen wichtig ist: die schleichende Aushöhlung demokratischer Grundwerte durch die Überwachungs- und Datensammelwut des Staates und der Wirtschaft.
Entstanden ist ein Werk, das irgendwo zwischen Sachbuch, Pamphlet und Streitschrift anzusiedeln ist. Ein polemisches Buch, das den Leser direkt anspricht, in dem aber, das betont Trojanow mit Nachdruck, nichts erfunden sei und alle geschilderten Dinge bereits Wirklichkeit sind. Lediglich die Konzentration auf eine Person, wie es das Anfangskapitel schildert, sei die übliche literarische Verdichtung.
Geschildert wird wie mit dem Motiv, die Gesellschaft »sicherer« zu machen und vor »Terroristen« zu schützen, die persönliche Freiheit des Einzelnen mehr und mehr eingeschränkt wird. Zeh und Trojanow gehen der Frage nach, wo die Gründe dafür liegen, dass »der Staat« unterstützt von den Medien die Angst der Bürger vor terroristischen Anschlägen permanent schürt, obwohl das Risiko als Kind im Schwimmbad zu ertrinken siebenmal höher sei, als bei einem Terroranschlag ums Leben zu kommen.
Trojanow legt Wert auf die Feststellung, dass im Buch keine Verschwörungstheorien aufgestellt werden. Warum der Staat die Überwachung seiner Bürger mit Videokameras, Vorratsdatenspeicherung und biometrischen Ausweisen stetig vorantreibt, bleibt bewusst offen.
Das Buch ist lesbar, denn die beiden Autoren wollen eine klare Position beziehen. Für Trojanow und Zeh wird der Bürger unter Generalverdacht gestellt und die präemptive Verbrechenbekämpfung höhlt demokratische Prinzipien aus. »Im Nachhinein kann Geschichte gut analysiert werden. Wir wissen genau, warum die Weimarer Republik unterging und welche Dinge damals zum Scheitern der Demokratie führten. Aber erkennen wir es, wenn wir mittendrin stecken?« Für Zeh und Trojanow ist Demokratie und Freiheit nichts, was man sich einmal erkämpft und das dann für immer besteht.
Kritiker werfen dem Buch vor, dass es an Tiefgang und Recherche fehle, obwohl ein 40-seitiger Anhang Quellen und Belege auflistet.
Für andere, die mit dem Thema vertraut sind, bietet das Buch keine neuen Erkenntnisse.
Dabei machen gerade diese beiden Kritikpunkte das Buch für neue Leserkreise interessant. Juli Zeh und Ilija Trojanow langweilen nicht mit Zahlen, Verweisen und Fußnoten. Und sie bringen in einem plakativen und direkten Stil den Sachverhalt auch denen Nahe, die nicht zu den kritischen Computernutzern zählen. Solchen Lesern mag klar werden, wie Sie ihre wertvollen persönlichen Daten für wertlosen Tand wie Plastiksalatschüsseln und Frotteehandtücher an Payback und Co. verschleudern.
Warum die oft gehörte Begründung: »Aber ich habe doch nichts zu verbergen« genau die falsche Antwort ist, auch das zeigt das Autorenduo in seinem Buch.
Der eingängige Stil des Buches macht es zum Geschenkbuch der besonderen Art, um es gerade den Leuten in die Hand zu drücken, für die das Thema Überwachung und Freiheitseinschränkung noch kein Thema ist.
In dem kurz vor der Bundestagswahl 2009 veröffentlichten Buch gehen die beiden Autoren in einem kurzen Kapitel der Frage nach, welche der im Bundestag vertretenen Parteien man denn wählen müsste, um Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die Antwort ist ernüchternd: Keine Partei hat sich gegen die Zunahme der Überwachung eingesetzt. Selbst Grüne und FDP, die derzeit in der Wahlwerbung anderes behaupten, handelten in der Praxis gegenteilig.
Warum die Piratenpartei, die in der Tat gegenteilige Positionen vertritt, im Buch kaum Erwähnung findet, welche Reaktionen bei Lesern und den politischen Parteien auf das Buch hin erfolgten, davon erzählen Juli Zeh und Ilija Trojanow im Interview, das Wolfgang Tischer mit den beiden nach einer Veranstaltung im Stuttgarter Literaturhaus führte.
Thematisch naheliegend wollte Tischer von den beiden auch wissen, warum die Namen Ilija Trojanow und Juli Zeh nicht unter dem Heidelberger Appell zu finden sind.
Wer in der Audio-Datei direkt zum Interview vorspulen möchte: es beginnt ab Minute 7:30.
Juli Zeh; Ilija Trojanow: Angriff auf die Freiheit: Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte (dtv Sachbuch). Taschenbuch. 2010. dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783423346023
Ilija Trojanow; Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit: Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte. Broschiert. 2009. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783446234185
Ilija Trojanow; Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit: Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte. Kindle Ausgabe. 2009. . 7,99 € » Herunterladen bei amazon.de Anzeige
Literaten, die sich politisch engagieren? Wählt die Poeten-Partei!
http://richtersblog.wordpress.com/2009/09/25/heute-wahlwerbung-der-poeten-partei-2/#comments
Ein sehr interessantes Interview, wobei es natürlich eigentlich traurig ist, dass man den Leuten erstmal in einem Buch erklären muss, dass Datenschutz ein durchaus wichtiges Thema ist.