Wellers Wahre Worte am Café Tisch
April 2003 - Die monatliche Kolumne von Wilhelm Weller


F wie friendly fire

Interview mit General Tommy Lee Jones

Wilhelm Weller


Neue Zeiten brechen an. Nachdem der Bocksgesang bereits viele Jahre anschwoll, sehen wir nun endlich die Stunde des Heroismus gekommen - auf den geschichtlich und biblisch geweihten Schlachtfeldern des Nahen Ostens.
     Noch wissen wir nicht, ob der heutige US-Präsident in die Geschichte eingehen wird als Georg der Jüngere oder Georg der Eroberer, auf jeden Fall wird er eintreten in eine glorreiche hall of fame - Alexander, Cäsar, Napoleon, Churchill und Roosevelt warten dort sehnsüchtig mit ausgebreiteten Armen auf den neuen Gladiator, den neuen furchtlosen Drachentöter.
     Hat er nicht vor Jahren bereits den Alkohol besiegt? Was kann ihm Satan Saddam da noch anhaben?

Aber versuchen wir, bei aller Begeisterung, bei allem Wüstensturm und Harndrang, nüchtern zu bleiben.
     Jedenfalls wollen wir dem schon früher erwähnten Paradigmenwechsel nun auch an dieser Stelle entschiedenen Tribut zollen:
     Ab sofort verstehen wir uns als - was sonst? - literarische Kombattanten, die - wem sonst? - der Wahrheit zum Sieg verhelfen wollen.
     Über eine dem Militärischen entwöhnte und dem Banalen verfallene Öffentlichkeit prasseln derzeit neue Anglizismen ein, die nach Erklärung verlangen. Und wir dürfen in military affairs nicht ebenso ahnungslos bleiben, wie wir es in computer affairs vor 10 Jahren noch waren.
     Daher werden wir unsere monatliche Kolumne für eine befristete Zeit in ein militärisches Glossar umwandeln, das seinen zahlreichen, wissbegierigen Lesern das neue ABC der Kriegsführung beibringt. A wie atomar, B wie biologisch und C wie chaotisch.
     Dazu errichten wir zunächst einen Brückenkopf am inneren Ring des Alphabets, nahe dem Zentrum - bei F - von dort aus soll in beiden Richtungen das feindliche Feld des Unverständnisses aufgerollt werden.
     Militärische Verstärkung erfahren wir bei dieser ersten didaktischen Angriffswelle durch General Tommy Lee Jones, der sich trotz schwerster Verletzungen vor seinem Rücktransport in die USA für ein kurzes, informatives Telefoninterview zur Verfügung stellte:

WW: General Jones, happy welcome in Germany! We are proud to present you our many readers…

GJ: Danke! Wir können Deutsch miteinander reden, mein Großvater war ein Berliner.

WW: That's great! General Jones, wir hören in diesen Tagen viel von einer neuen, militärischen Taktik, die es in dieser Form und in diesem Ausmaß bei früheren Aktionen der USA, etwa in Vietnam, noch nicht gab. Ich spreche von »friendly fire«, das beim Vorrücken auf Bagdad offenbar auf breiter Front für Schock und Einschüchterung (»shock and awe«) sorgte.

GJ: You are right. »Friendly fire« ist ein Kernelement dieser Operation. Es handelt sich ja um einen asymmetrischen Krieg, das heißt, der Gegner ist uns waffentechnisch weit unterlegen. Daraus dürfen unsere eigenen Truppen keine falschen Schlüsse ziehen. Selbst wenn der Marsch auf Bagdad ein Spaziergang wäre, der uns dort wahrscheinlich erwartende Häuserkampf wird kein Kinderspiel sein.

WW: Sollen durch das »friendly fire« die alliierten Truppen also auf den wahren Ernst der Lage vorbereitet werden?

GJ: Exactly. Wir simulieren so möglichst realitätsnah einen starken Gegner. In den ersten Kriegstagen kam es vor, dass unsere Soldaten noch Späße machten. Ein gefährlicher Leichtsinn. Das ist inzwischen überwunden. Die durch friendly fire trainierten Gefechtseinheiten zeichnen sich jetzt durch hohe Disziplin und Konzentration aus.

WW: Werden diese Einheiten beim Sturm auf Bagdad die Vorhaut sein?

GJ: Friendly Fire löst einen automatischen Vorwärtsdrang aus. Für die Männer verbietet sich jeder Blick zurück.

WW: General Jones, eine persönliche Frage: Sie haben durch friendly fire beide Beine verloren. Sie kommen in Ihr Land zurück als amerikanischer Patient. Empfinden Sie darüber Bitterkeit oder sogar Wut?

GJ: Meine Armee, ich, wir sind Patrioten. Wenn wir bereit sind, für eine gerechte, patriotische Sache unser Leben zu lassen, müssen wir auch bereit sein, unsere Arme oder Beine zu verlieren. Wer soll sonst gegen die Aliens kämpfen?

WW: General Jones, wir danken Ihnen, dass Sie sich trotz Ihrer misslichen Lage einige informative Minuten Zeit für uns und unsere Leser nahmen. As we Germans wish: »Hals- und Beinbruch

 
Das Interview mit General Jones führte unser embedded columnist
Wilhelm Weller

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